Einige USA-Kenner bewerten den Ausgang der Präsidentenwahl in der Neuen Welt. Allgemeine Fassungslosigkeit: so sind die Empfindungen am besten zu umschreiben, die am „Day After“ viele Menschen haben.

Leonberg - Allgemeine Fassungslosigkeit: so sind die Empfindungen am besten zu umschreiben, die am „Day After“ viele Menschen aus dem Altkreis haben, die zu den Vereinigten Staaten eine besondere Beziehung haben. Sei es jetzt durch familiäre Bindungen, Freunde oder häufige Reisen. Sie hatten mit einem knappen Rennen um die Präsidentschaft, aber doch mit einem Sieg von Hillary Clinton gerechnet.

 

Klasse ist auf Tour in den USA

Live erleben gerade die Weil der Städterin Krista Eichler, Lehrerin am Goldberg-Gymnasium in Sindelfingen, und ihre Schüler aus dem Theaterunterricht die Zeit vor und nach der Wahl in den USA. Denn dort ist die Klasse gerade auf Tour mit dem Stück „Einer flog über das Kuckucksnest“, das sie in Schulen aufführen. „Gerade sind wir in Kentucky, das ist traditionell ein republikanischer Staat“, erklärt sie. Dort wird natürlich gefeiert. „Alle reden hier sogar von einer Revolution, einem Sieg über das Establishment.“ Ihr Onkel sei Republikaner, aber selbst der sei mit George W. Bush damals nicht zufrieden gewesen.

Korruption lautet immer wieder das Stichwort. „Auch hier sieht man Trumps Äußerungen problematisch“, ergänzt ihr Kollege Tobias Walldorf, der ebenfalls mit auf Tour ist. „Aber viele denken, dass nur mit jemandem wie ihm ein politischer Wandel möglich ist.“ Sie wollten außerdem, dass ihr Präsident sich wieder mehr auf die Probleme im eigenen Land konzentriere und weniger auf den Rest der Welt.

Krista Eichler vermutet unter den Trump-Wählern auch zahlreiche Protestwähler. Trotzdem habe sich eines in Gesprächen immer wieder herauskristallisiert: „Keiner der Kandidaten ist wirklich beliebt“, sagt sie. Und noch etwas haben viele Bürger gemeinsam, meint Walldorf: „Sie sind froh, dass die Wahl nun endlich vorbei ist. Viele waren der ganzen Debatten und Beleidigungen im Wahlkampf inzwischen müde.“

Regelmäßige Amerika-Besuche

Einer, der die USA und besonders die Südstaaten gut kennt, ist Werner Metz. Seit fast 20 Jahren fährt der Kardiologe aus Leonberg regelmäßig nach South Carolina und Georgia. Er weiß, wie die Leute dort ticken. „Die Demokraten sind regelrecht verhasst“, sagt der Mediziner, der für die Freien Wähler im Kreistag sitzt. „Die Menschen sind radikale Republikaner, die wollen, dass alles so bleibt, wie es ist und der Staat sich aus den Dingen heraushält.“ Als Rassisten würde Metz sie gleichwohl nicht bezeichnen. „Sie sind einfach uneinsichtig“, sagt der Facharzt, der selbst gute Bekannte in den Südstaaten hat. „Freundliche Menschen, so lange es nicht um Politik geht. Sagt man ein positives Wort über Hillary Clinton, gibt es sofort Streit.“ Selbst die vom amtierenden Präsidenten Obama eingeführte Krankenversicherung stößt dort auf Ablehnung.

Mit Blick auf das deutsch-amerikanische Verhältnis ist Werner Metz, der ursprünglich aus Weil der Stadt kommt, nicht gerade optimistisch: „Die Gefahr einer starken Isolationshaltung ist jetzt vorhanden.“ Auch für seine eigenen Reisepläne sieht der Herzspezialist schwarz: „Die Kontrollen sind jetzt schon heftig. Künftig dürfte die Einreise noch schwerer werden.“

Lewa pflegt weitläufige Beziehungen über den Atlantik

Deutschlands Maschinenbauer haben vor einer Abschottung der weltgrößten Volkswirtschaft gewarnt. Immerhin hängen hierzulande rund 1,5 Millionen Arbeitsplätze vom amerikanischen Markt ab. „Wir können nur hoffen, dass der neue Präsident seinen Worten keine Taten folgen lässt“, warnt Thilo Brodtmann, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbandes VDMA . Die Vereinigten Staaten sind nach der EU der größte Absatzmarkt für Maschinen „Made in Germany“. Trump hatte im Wahlkampf angekündigt, Zölle und andere Handelshemmnisse aufzubauen. Darauf, dass in den Aussagen von Trump viel Populismus und Wahlkampfgetöse steckt, hoffen auch die Wirtschaftsunternehmen aus Leonberg, die weitläufige Beziehungen über den Atlantik pflegen. Dazu gehört auch der Pumpen-Hersteller Lewa. „Wir respektieren die demokratische Entscheidung des amerikanischen Volkes und warten mögliche Veränderungen ab“, sagt Peter Wagner, der Geschäftsführer der von Leonberg aus gesteuerten Lewa Nikkiso Industrial Division. „Mit unseren lokalen Landesgesellschaften und 300 Mitarbeitern sind wir solide aufgestellt und schauen zuversichtlich in die Zukunft“, sagt der 50-Jährige. Er steht seit Jahresanfang dem weltweit führenden Hersteller von Membrandosierpumpen, Prozesspumpen sowie Dosiersystemen vor.

Englischlehrerin stammt aus der Neuen Welt

Judith Baiker ist Lehrerin für Englisch und Geschichte im Gymnasium in Weil der Stadt. Natürlich sei die Wahl im Unterricht Thema gewesen. „Die Schüler kamen sogar von sich aus und wollten unbedingt darüber sprechen“, erzählt sie. Und sie waren bereits gut im Thema, denn ihre achte und ihre zwölfte Klasse haben aktuell die Geschichte der USA und das dortige Wahlsystem auf dem Lehrplan. „Viele haben ungläubig reagiert und sich nun auch gefragt, was das für sie konkret bedeutet.“ Gerade einige Achtklässler hätten wissen wollen, ob die Wahrscheinlichkeit einer atomaren Bedrohung nun steige. Die Zwölfer hätten einen genaueren Blick auf das Wie und Warum geworfen, berichtet die Lehrerin. Manche hätten hinterfragt, wie es Trump habe gelingen können, so viele Stimmen zu holen, obwohl er kaum eigene Inhalte in den Wahlkampf eingebracht habe. „Die meisten sagten auch, sie verstehen nicht, wie man Trump wählen kann, aber es gab auch welche, die nachvollziehen konnten, dass jemand Clinton nicht wählen wollte.“ Sie selbst versuche, möglichst wenig Meinung zu machen. „Die Schüler sollen sich ihre eigene bilden. Dass sie das Ganze hinterfragen, ist eine gute Sache“, findet Baiker.

Eine Deutsche in New York

 Evi Batten (64) lebt seit über 40 Jahren in New York und erklärt: ,,Die schweigende Mehrheit der Amerikaner kam zu Wort und hat für Trump gestimmt.“ Auf den Autos zahlreicher US-Bürger sei der Slogan ,,The silent majority for Trump“ (Die schweigende Mehrheit für Trump) zu sehen. ,,Viele Amerikaner haben jahrelang mit angesehen, wie die Regierenden sich nicht um ihre Belange gekümmert haben und sich von den Medien beeinflussen ließen“, sagt die ehemalige Leonbergerin. Echte Demokratie müsse dem Wähler erlauben, sich auszudrücken.

VHS-Chef hat die Jugend in den USA verbracht

„Begeisterungsstürme können Sie von mir nicht erwarten“, sagt Uwe Painke. Der Leiter der Volkshochschule Leonberg erlebte seine ersten Schuljahre in den USA, damals in den Siebzigern. Den Wahlkampf hat er deshalb sehr intensiv verfolgt. „Ich bin sprachlos, was sich ein Mensch leisten kann und trotzdem gewählt wird“, sagt der Pädagoge, der seine Doktorarbeit über Strategien gegen Gewaltkriminalität in den USA geschrieben hat.

Er sieht in der Wahl Donald Trumps ein deutliches Zeichen für Politikverdrossenheit. „Es war aber auch keine besonders gute Wahl. Hillary Clinton steht für ein System, das sich zu viel geleistet hat“, meint Painke. Allerdings habe sich Trump noch viel mehr geleistet.

Die USA seien ein geteiltes Land. „Es gibt viele Menschen, die bitterarm sind. Vor allem im sogenannten „Rustbelt“ (Rostgürtel), den früheren Stahl- und Kohlestaaten, die alle für Trump gestimmt haben“, analysiert der VHS-Leiter. Dazu komme das Bildungsproblem. „Bildung ist ein Luxusgut, das sich viele nicht leisten können. Und die sind dann anfälliger für einfach gestrickte Lösungen.“ Ob die Präsidentschaftswahl auch Auswirkungen auf die Bundestagswahl im kommenden Jahr hat, bleibe abzuwarten. Painke: „Demokratie ist ein wertvolles Gut und man muss sorgsam damit umgehen.“