Wilfried Gaißert hat sich als Vereinsvorsitzender und als Sprecher das Aufsichtsrates von Atrio 25 Jahre lang für die Belange von Menschen mit Behinderung eingesetzt. Für ihn ist es ein Betätigungsfeld, in dem die Herausforderungen nie ausgehen.

Leonberg - Von der bescheidenen „Beschützenden Werkstatt“ von 1968 über die stetig wachsende „Werkstatt für Menschen mit Behinderung“ zum Unternehmensverbund Atrio, dem drittgrößten produzierenden Arbeitgeber der Stadt, hat sich die Begleitung von Menschen mit Handicap immer neuen Herausforderungen gestellt. Seit mehr als 40 Jahren dabei, davon 25 Jahre als Vorsitzender des Vereins und das Aufsichtsrates tätig, hat Wilfried Gaißert 2016 den Vorsitz abgegeben.

 

Doch als reguläres Aufsichtsratsmitglied ist Gaißert weiterhin im Verein tätig. Den Vorsitz der 30 Mitglieder, denen unter anderem acht Kommunen des Altkreises Leonberg angehören, hat der Stuttgarter Rechtsanwalt Gerd Winkler inne. „Wir sind ein Arbeitsverein, dem Personen in der Regel nur angehören, wenn sie bereits fachlich mit dem Thema Behindertenarbeit verbunden sind“, erläutert Gaißert.

Kontinuität ist wichtig

„Zum Vorsitz bin ich wie die Jungfrau zum Kinde gekommen“, sagt Wilfried Gaißert, der bis 2010 Leiter der Leonberger Kämmerei war, im Rückblick. 1991 habe es im Verein Schwierigkeiten gegeben, den Vorsitz zu besetzen, sogar eine Auflösung stand im Raum. Dann wurde bei der Stadt nachgefragt, ob diese den Verein übernehmen könne. „Da fiel der Blick von Oberbürgermeister Ortlieb auf mich, der ja schon seit 1975 Mitglied im Verein war“, sagt Gaißert schmunzelnd. Auch der damalige Leonberger Finanz- und Sozialbürgermeister Wolfgang Rückert habe als sein direkter Vorgesetzter seine Zustimmung gegeben.

„Kontinuität ist uns immer wichtig gewesen, auch bei den Geschäftsführern im Verein, die die Werkstatt für Menschen mit Behinderung leiten“, sagt Gaißert. Bis 2000 war über viele Jahre Karl Wurst der Geschäftsführer. Dann wurde die Werkstatt aus dem Verein Behindertenhilfe als Tochtergesellschaft ausgegliedert. 1994 wurde auch eine Zweigstelle in Höfingen eröffnet.

Geschäftsführer wurde der heute hauptamtliche Vorsitzende von Atrio, Bernhard Siegle. „Die Aufgaben des stetig wachsenden Produktionsbetriebes wurden immer aufwendiger, es ging um Haftung, darum, zeitnahe Entscheidungen zu treffen, denn wir stehen in Konkurrenz zu jeder anderen Zulieferfirma“, sagt Siegle. Die Automobil-Industrie in der Region, Geze, Perma-Trade und andere Kunden schätzen die Zuverlässigkeit der Werkstatt.

Im Jahr 2002 wurde die Atrio-Stiftung gegründet. Die unterstützt finanziell Projekte, die sonst kaum mit Fördergeldern rechnen können. Das Ergebnis war, dass 2007 die Satzung geändert und ein hauptamtlicher Vorstand eingesetzt wurde, den nun der neu geschaffene Aufsichtsrat kontrolliert. Das nächste Projekt war die Integrationsfirma Leda, die Menschen mit und ohne Behinderung Arbeit gibt. Im Jahr 2013, als Behindertenhilfe, Werkstatt und Stiftung in Atrio umfirmierten, wurde in Höfingen die Werkstatt Pfad für psychisch kranke Menschen eröffnet.

Gegenwärtig bieten die Werkstätten, die einen Jahresumsatz von 21 Millionen Euro erzielen, 300 Arbeitsplätze, die von 77 Mitarbeitern betreut werden. Im Förder- und Betreuungsbereich sind 48 Beschäftige und 26 Mitarbeiter tätig, bei Leda 24 Mitarbeiter. Zum Atrio-Angebot gehören aber auch die Tagesbetreuung für Senioren und Wohnen mit Assistenz, die von fast 180 Personen in Anspruch genommen werden. Um die kümmern sich 105 Mitarbeiter.

Neue Herausforderungen

„Es ist erfreulich zu sehen, wie sich das Selbstverständnis der Einrichtung in fast fünf Jahrzehnten gewandelt hat“, sagt Wilfried Gaißert. „Stand anfangs das Beschützen, dann das Betreuen von Menschen mit Behinderung im Vordergrund, geht es heute um Inklusion, um Teilhabe in allen Lebensbereichen, um das selbstbestimmte Arbeiten, Leben und Wohnen.“

Bernhard Siegle ergänzt: „Unsere Arbeit erfährt einen starken Wandel, wir sind nie fertig und es heißt, mit den Angeboten immer auf der Höhe der Zeit zu bleiben.“ Neue Themen kämen hinzu mit neuen Herausforderungen: So strukturiert der verein die Tage für Rentner, kümmert sich um behinderte Menschen mit Demenz und begleitet Menschen mit Autismus.