Bei einem großen Festakt wird das Siegel am Tunnelportal des Alten Engelbergtunnels angebracht.

Leonberg - Jetzt ist es offiziell: Am Sonntag wurde die Plakette „Europäisches Kulturerbe-Siegel“ in einer feierlichen Zeremonie am Portal des Alten Engelbergtunnels angebracht. Das Siegel war der KZ-Gedenkstätte Leonberg bereits im März dieses Jahres in Bulgarien von der Europäischen Kommission als Teil des „Verbunds der Gedenkstätten im ehemaligen KZ-Komplex Natzweiler“ (VGKN) verliehen worden. Der Verbund der Gedenkstätten des ehemaligen elsässischen Konzentrationslagers Natzweiler-Struthof besteht aus zwölf bürgerschaftlich getragenen Gedenkstätteninitiativen in Baden-Württemberg sowie zwei im Elsass. Das KZ Leonberg, in dem Deportierte aus 24 Ländern Zwangsarbeit leisten mussten, fungierte als Außenlager des Hauptlagers Natzweiler-Struthof.

 

Wie die stellvertretende Vorsitzende des VGKN, Brigitta Marquart-Schad, vor den zahlreichen Zuhörern am Tunnelportal des Engelbergtunnels betonte, handelt es sich bei dem nun ausgezeichneten Gedenkstättenverbund „um das einzige transnationale Projekt unter den inzwischen 38 Trägern des Kulturerbesiegels“. Die Europäische Kommission zeichnet mit dem Siegel „Meilensteine in der Gestaltung des heutigen Europas aus“. Die Vorsitzende der KZ-Gedenkstätteninitiative Leonberg, Marei Drassdo, erklärte wie wichtig in diesem Zusammenhang die „Bedeutung des europäischen Gedankens“ sei.

Wertschätzung für die Gedenkstätteninitiative

Der Erste Bürgermeister von Leonberg, Ulrich Vonderheid, lobte das große Engagement der Gedenkstätteninitiative und die jetzt erfolgte Auszeichnung: „Dadurch erfährt die Initiative eine längst überfällige Wertschätzung.“ Es sei nicht einfach, gegen die Verdrängung anzuarbeiten, obwohl „die Ereignisse, an die hier erinnert wird, für uns alle kulturprägend sind“. Für Leonberg sei, so Vonderheid, die Ausszeichnung etwas ganz Besonderes. „Wesentlich bekanntere Orte haben sich schon um das Siegel bemüht und es nicht bekommen.“

Am Sonntag anwesend waren auch Schüler der Klasse 9 b des Robert-Bosch-Gymnasiums in Gerlingen sowie deren Lehrer Michael Volz. Im Rahmen der Behandlung des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus im Unterricht setzte sich die Klasse auch mit den Ereignissen im KZ Leonberg auseinander. Unter anderem lasen die Schüler in den Erinnerungen von Albert Montal, einem französischen Zwangsarbeiter, der im Alter von 15 Jahren Insasse im KZ Leonberg war. Die Schüler hatten im Anschluss an einen Besuch der Gedenkstätte Bleistiftzeichnungen angefertigt, auf denen sie das Leben der Gefangenen im Lager bildhaft umzusetzen versuchten. Volz, der auf Grundlage des Textes des französischen Zwangsarbeiters auch ein Theaterstück entwickelt hat, betonte, „dass es nun an den Schülern ist, die Erinnerungen weiterzutragen“. Die Bleistiftzeichnungen der Klasse 9 b sind in der Gedenkstätte ausgestellt.

16 Großplakate von 32 Künstlern aus Deutschland und Frankreich

Marei Drassdo erinnerte in ihrer Rede auch daran, dass am 15. Juli 1938, genau vor 80 Jahren, im französischen Evian Vertreter aus 32 Nationen zusammengekommen waren, um über die damals rapide anwachsende Zahl jüdischer Flüchtlinge aus Deutschland und Österreich zu beraten. Ziel der Konferenz sei gewesen, die teilnehmenden Nationen dazu zu verpflichten, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. „Die Konferenz endete weitestgehend ergebnislos“, so Marei Drassdo.

Enthüllt wurde am Sonntag darüber hinaus ein plakatgroßes Kunstwerk des deutsch-französischen Künstlerduos Isolde Wawrin und Marie-Pascale Engelmann. Das Plakat ist Teil eines Projekts im Rahmen der Siegelverleihung an die transnationale Gedenkstätteninitiative. 32 Künstler aus Deutschland und Frankreich hatten sich jeweils paarweise zusammengefunden, um 16 Großplakate zum Thema „Fraternité“ (zu deutsch: „Brüderlichkeit“) zu entwerfen. Eine dieser Plakatwände ist fortan in der Gedenkstätte KZ Leonberg zu sehen.

Das Konzentrationslager Leonberg durchliefen in den Jahren 1944 und 1945 insgesamt rund 5000 Häftlinge. In den beiden zugemauerten Autobahntunneln mussten die Zwangsarbeiter unter primitivsten Bedingungen in Zwölfstundenschichten Flugzeugteile für die Firma Messerschmitt montieren. Insgesamt kamen in Leonberg mindestens 389 Menschen ums Leben. Die Todesrate dürfte aber weitaus höher gewesen sein, da zu Tode erschöpfte Arbeiter vor ihrem Ableben in Sterbelager abtransportiert wurden.