Der Leonberger Wolfgang Dietrich ist seit zwei Jahren der Projektsprecher von Stuttgart 21. Im Interview mit unserer Zeitung erzählt er, unter welch schwierigen Bedingungen er seinen Job angetreten hat, und warum er ihn verlängert hat.

Da war doch was: Vor fast genau zwei Jahren eskalierte in der Landeshauptstadt der Streit um den neuen Stuttgarter Hauptbahnhof in einer Demonstration und einem umstrittenen Polizeieinsatz. Die Mehrheit der Stuttgarter war gegen das Projekt – und gegen den damaligen Ministerpräsidenten Stefan Mappus. Heute ist Mappus Geschichte, ein grüner Ministerpräsident im Amt – und fast zwei Drittel aller Stuttgarter befürworten laut Umfragen das Projekt. Eine Zwischenbilanz des Wahl-Leonbergers.
Herr Dietrich, in Stuttgart tobt der OB-Wahlkampf. Viele Stuttgart-21-Gegner scheint zu überraschen, dass das Thema für die meisten Bürger abgehakt ist?
Bei der Umfrage zur OB-Wahl in Ihrer Zeitung kam vor allem eines heraus: Dass nur noch 37 Prozent der Befragten gegen das Bahnprojekt sind. Dieses Votum übertrifft noch das Ergebnis der Volksabstimmung zu dem Projekt, und es bestätigt ein Stück weit auch unsere Arbeit, die auf ehrliche Transparenz setzt.

Das ist immer noch mehr als ein Drittel.
Das ist wahr, aber man muss dabei auch sehen, was hinter uns liegt. Als ich vor ziemlich genau zwei Jahren als Projektsprecher anfing, lag die Ablehnung laut Umfragen bei rund 50 Prozent. Ich hatte meinen Schreibtisch noch nicht einmal bezogen, da passierte etwas, das ich mir nie hätte vorstellen können und wollen: Im Schlossgarten eskalierte die Situation, auch friedlich demonstrierende Menschen wurden verletzt, ebenso Polizeibeamte. Dieser Schwarze Donnerstag hat die Stimmung, bezogen auf das Projekt, über eine lange Zeit enorm geprägt.

Wie kam es zum Wandel?
Nach der Landtagswahl im Jahr 2010 hatten viele Projektgegner ein Ziel erreicht und einen grünen Ministerpräsidenten ins Amt gewählt. Die von der Landesregierung um den Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann angestoßene Volksabstimmung hatte ein sehr eindeutiges und somit befriedendes Ergebnis: Selbst in Stuttgart gab es eine klare Mehrheit für das Projekt, außerhalb der Landeshauptstadt war das Ergebnis noch eindeutiger.

Und dieser Trend hat sich fortgesetzt?
Ich glaube, dass sich diese Entwicklung fortsetzt, wenn man größere Baufortschritte sieht und die Faszination dieses Projekts deutlicher sichtbar wird. Dann sieht man, wie viel man für das Geld bekommt.

Wie viel bekommt man denn?
Es geht doch nicht um den Bahnhof allein. Es geht um eine städtebauliche Neuordnung, um einen neuen Bahnknoten und die Einbindung Stuttgarts in das Hochgeschwindigkeitsnetz der Bahn. Stellen Sie sich mal vor, in Leonberg könnte man auf einen Schlag 100 Hektar Innenstadtfläche neu gestalten, und das Bauland gehörte bereits der Stadt und nicht Investoren! All das, was Grüne wie Palmer und Kretschmann immer gefordert haben, ließe sich verwirklichen. Mit der besseren Anbindung des Flughafens und die Messe an die Stadt und an das Fernverkehrsnetz werden zudem die Verkehrsprobleme der Region entlang der Stauschwerpunkte Stuttgarter Kreuz und Echterdinger Ei angegangen.

Sieht man das am Beispiel des Flughafenbahnhofes derzeit nicht ganz anders? Der Streit findet nicht mehr auf der Straße, sondern zwischen den Projektpartnern statt. Wir erinnern an das Stichwort Mehrkosten wegen des Filderdialogs ...
Die Projektpartner haben allesamt bekannt, dass sie zu den beschlossenen, von demokratisch gewählten Gremien ratifizierten Verträgen stehen. Wenn nun neue Planungen und Varianten auf den Plan kommen, muss man auch nach dem Subsidiaritätsprinzip darüber reden, wer an den daraus resultierenden Mehrkosten wie viel bezahlt. Auf nichts anderes hat der Bahn-Vorstand Volker Kefer in seinem jüngsten Brief hingewiesen.

Sie haben vor zwei Jahren gesagt, Ihr Engagement bleibe zeitlich befristet. Nun haben Sie nach der Volksabstimmung als alter Fußballfan ihren Trainervertrag verlängert?
Hinter der damaligen Verlängerung, wie Sie es nennen, steckte die Erkenntnis, dass man gerade auch nach diesem Erfolg die Kommunikation verstärken muss und nicht in die Fehler der Anfänge verfallen darf. Ich sehe mich in dieser Entscheidung bestätigt, unser Anfrageportal im Internet kommt an, unser auf Transparenz setzendes Projektmagazin wird mit Lob und Respekt bedacht. Wir verzeichnen auch bei der Ausstellung im Bahnhofsturm, die neu gestaltet wird, ein zunehmend wachsendes Publikumsinteresse.

Welche Strategie verfolgen Sie bei der Kommunikation?
An Nummer Eins stehen für mich interessierte Bürger – sie sollen aus erster Hand von uns erfahren, wie und wo gebaut wird. Auch und gerade dann, wenn es beim Bauen mal Probleme gibt. Zudem geht es darum, mit Genehmigungsbehörden und beteiligten Baufirmen einen partnerschaftlichen Dialog zu führen. So soll es dann auch im Kontakt mit den Projektpartnern sein – die ja alle zwischenzeitlich das Projekt „konstruktiv-kritisch“ begleiten.

Sollten deshalb nicht diese gerade oben auf der Prioritätenliste stehen?
Die Projektpartner sind wichtig, noch wichtiger aber sind die Bürger. Die müssen wir möglichst alle mitnehmen auf die Reise. Das haben wir in der Vergangenheit nicht immer gut gemacht.

Am Wochenende haben sich viele Bürger bei einer Demonstration wieder als Projektgegner zu erkennen geben . . .
Man muss, denke ich, unterscheiden zwischen kritischen Menschen, die offen sind für Argumente der anderen Seite, und zwischen Menschen, deren Haltung zementiert ist. Ich freue mich über jeden, der ehrlich, offen und kritisch unser Tun begleitet. Es gibt aber auch einen schrumpfenden Kreis von Gegnern, die für uns leider kaum mehr zu erreichen sind. Darunter ist auch eine kleinere Gruppe, die das Projekt als Projektionsfläche für tiefer liegende Ressentiments gegen staatliche Organe sieht. Das merkt auch die neue Landesregierung, die es nicht leicht hat in dieser Gemengelage. Das möchte ich ausdrücklich betonen.

Und Sie selbst bleiben also noch für einen längeren Zeitraum ein Pendler zwischen Leonberg und Stuttgart?
Ja, zumindest noch eine gewisse Zeit, denn es gibt gerade in den nächsten Monaten noch viel zu tun.