Wie prägt die Religion den Alltag? Welche Rolle und welche Rechte kommen dabei der Frau zu? Bei einer Podiumsrunde im Edith-Stein-Haus kommt viel Gemeinsames der Religionen ans Licht.

Leonberg - Drei Frauen unterschiedlichen Glaubens haben sich am Mittwochabend im Edith-Stein-Haus vielen Fragen gestellt. Und dabei kamen mehr Gemeinsamkeiten der Religionen ans Licht, als zunächst gedacht.

 

Wie prägt die Religion den Alltag? Welche Rolle und welche Rechte kommen dabei der Frau zu? Die Sozialpädagogin Elionora Rosenkranz von der Gesellschaft christlich-jüdischer Zusammenarbeit ist jüdischen Glaubens, die Islamwissenschaftlerin Simone Trägner-Uygun ist Muslima und Mary Erinc, die im Ministerium Ländlicher Raum arbeitet, praktiziert den christlichen Glauben. Die Frauen stehen mit beiden Beinen im Leben und vereinen Familie und Beruf.

„Nicht die Politik soll im Fokus stehen, sondern das alltägliche Leben von Frauen, die ihren Glauben leben und praktizieren“, stellt die Pastoralreferentin Beatrice Dörner von der katholischen Erwachsenenbildung zu Beginn klar. Sie hat mit ihrer Kollegin aus der evangelischen Erwachsenenbildung, der Bildungsreferentin Ursula Wagner, den Abend organisiert. „Wir wollen mit den Menschen reden, nicht über sie“, erklärt auch Wagner und nimmt ihren Platz in der Runde ein.

Im Alltag ist Religionszugehörigkeit nicht wichtig

Die Plauderstunde beginnt vor einem kleinen, aber sehr interessierten und aufmerksamen Publikum. Im Alltag spiele die Religionszugehörigkeit keine Rolle, meinen alle drei Gäste. „Man nähert sich auf einer praktischen Ebene an“, findet Simone Träger-Uygun. Sie trägt ein Kopftuch und ist damit die einzige, deren Religion „sichtbar“ ist. Wie Elionora Rosenkranz berichtet sie von der multikulturellen Nachbarschaft, in der Religion keine Rolle spiele. Mary Erinc ist mit einem Muslim verheiratet ist, für sie ist das gleichberechtigte Nebeneinander zweier Religionen im Alltag ganz selbstverständlich.

Natürlich ärgern sich alle drei Frauen über typische Vorurteile, denen sie immer wieder begegnen: Christen missionieren, muslimische Frauen sind fremdbestimmte Wesen und haben keine Rechte, Juden sind geldgierige Kapitalisten, bei denen die Frau nichts zu sagen hat. Doch das sind eben Vorurteile, wie im Gespräch schnell klar wird. Vielmehr ist eine ganze Reihe an Gemeinsamkeiten zu Tage getreten, zum Beispiel der hohe Stellenwert der Familie in allen drei Religionen und die Autorität der Frauen im häuslichen Bereich: „Hier hat die Frau das Sagen“, sagt Rosenkranz und lacht. Was nicht automatisch bedeute, dass sie außerhalb dieses Bereiches keine Entscheidungen träfen, das betonen ebenfalls alle drei. Übereinstimmung auch bei Mildtätigkeit und Spendenbereitschaft. „Alles, was von Gott kommt, ist ein Geschenk, das man teilen muss“, erklärt die Islamwissenschaftlerin Trägner-Uygun. Mary Erinc findet, dass im christlichen Deutschland gut organisierte Hilfswerke wie Diakonie oder Caritas viele Aufgaben übernehmen. Abgaben zahlen übrigens Muslime wie Juden an ihre Religionsgemeinden, was die meisten Anwesenden überrascht.

Auch bei der Frage nach Bildung und Ausbildung, vor allem bei den Mädchen, ähneln sich die Religionen überraschend. „In Verbindung mit der Pflicht zur Mildtätigkeit haben sich jüdische Gemeinden schon immer darum bemüht, Schulen und Ausbildungsstätten auch für Mädchen zu unterhalten“, erzählt Elionora Rosenkranz, „und von jeher war es üblich, dass jüdische Mädchen lesen, schreiben und rechnen lernten.“ Bildung ist ein hohes Gut, dessen waren sich Juden, Muslime und Christen stets bewusst. In der Entstehungszeit des Islam waren es oft gelehrte Frauen, die den Menschen die Worte des Propheten nahebrachten. „Es gab früher sehr viele weibliche Gelehrte, das ist in den Jahrhunderten verloren gegangen“, hat Simone Trägner-Uygun recherchiert.

Eine Erklärung dafür hat sie nicht, allerdings spielen, wie bei der Bildung christlicher und jüdischer Mädchen, wirtschaftliche Überlegungen sicherlich eine große Rolle: „Wenn die Familie entscheiden musste, welches Kind lernen durfte, fiel die Wahl immer auf den Sohn als zukünftigen Ernährer der ganzen Familie. Für die Töchter blieb dann meist kein Geld übrig“, so Elionora Rosenkranz. Auch das ist eine Gemeinsamkeit in allen drei Religionen und eher eine Folge der wirtschaftlichen Möglichkeiten denn ein religiöses Gebot.

Der Mensch hinter der Religion wird sichtbar

Vieles wurde angesprochen, vieles beantwortet, vieles blieb offen. Doch näher gekommen ist der Mensch hinter der Religion auf alle Fälle: „Ich finde ganz toll, was Sie erklärt haben“, spricht eine Besucherin Simone Trägner-Uygiun an, „aber was ist mit dem, was da draußen passiert? Wie stimmt das damit überein?“ Darauf weiß die Muslimin auch keine Antwort, aber sie stellt klar: „Die Männer vom IS und ähnlichen Gruppierungen, die können nicht mal beten und haben vom Koran wenig Ahnung.“ Damit ist ein kurzer Abstecher in die Politik doch unvermeidlich geworden.

Was sie sich wünschen, kommt zuletzt an diesem Abend zur Sprache. „Dass sich die verschiedenen Religionen begegnen, sich verstehen, respektieren und akzeptieren“, macht Elionora Rosenkranz den Anfang. „Ich wünsche mir, dass die Menschen hinter das Kopftuch schauen und muslimische Frauen als Individuen wahrnehmen“, das ist Simone Trägner-Uygun ein Anliegen. Mary Erinc beantwortet die Frage mit zwei Wörtern: „Mehr Nächstenliebe.“