Ein Startup-Unternehmen arbeitet in der Vergärungsanlage an einem Forschungsprojekt.

Leonberg - So richtig will es nicht zusammenpassen. In Hemd, Anzug und Lederschuhen stehen Dave Tjiok, Burkhard von Stackelberg und Gabriel Szilagyi in der Halle der Vergärungsanlage Leonberg. Während im Hintergrund Bagger den Biomüll, der im Kreis Böblingen eingesammelt wird, zu Haufen zusammenschieben, erklären die drei Jung-Unternehmer, woran sie in einer Ecke der Halle arbeiten: an der Herstellung von Biokohle, gewonnen aus den Abfallresten.

 

Noch ist das Ganze ein Pilotprojekt, welches durch die Universitäten Hohenheim und Stuttgart sowie mehrere Firmen und den Abfallwirtschaftsbetrieb im Kreis Böblingen unterstützt wird. Doch wenn alles gut läuft, könnte es bald eine Marktzulassung geben für das Produkt, das sowohl zum Heizen, als auch zum Düngen verwendbar ist.

Der Abfall wird verkocht und getrocknet

„Das läuft ähnlich ab wie in einem Schnellkochtopf, nur komplizierter“, sagt Dave Tjiok, der mit seinen Kollegen von der Firma Smart Carbon bereits seit zehn Jahren an dem Projekt arbeitet. Vor drei Jahren hat Smart Carbon eine Anlage in Leonberg aufgebaut. Dort werden die Gärreste mit Chemikalien wie Zitronensäure verkocht und dann entwässert. Was noch übrig bleibt, wird gepresst. Anschließend kann die Biokohle je nach gewünschtem Zweck aufbereitet werden, etwa als CO2-neutraler Brennstoff, zum Düngen oder um Böden fruchtbarer zu machen, um nur einige Einsatzmöglichkeiten zu nennen.

Viel Zeit und Arbeit haben die Forscher investiert. Und auch so manchen Rückschlag erlebt. „Bioabfälle aus der Tonne haben bislang keine guten Ergebnisse geliefert, ebenso wenig wie Klärschlamm aus Kläranlagen“, erklärt Wolf-Anno Bischoff, der mit seinem Unternehmen Terr Aquat seit drei Jahren Feldversuche mit der Biokohle durchführt – auf Gemüsebeeten. Am besten eigneten sich Gärreste – also das, was nach dem Vergären wie in der Anlage in Leonberg neben der Autobahn übrig bleibt. Hier wird aus dem Bioabfall Biogas gewonnen, das zur Stromerzeugung genutzt wird.

Der Kreis hofft auf Kostenersparnis

Bislang wurden die Gärreste weit weg zu Kompostanlagen gekarrt. „Das ist ein hoher Kostenaufwand. Deshalb sind wir sehr interessiert an dem Projekt“, erklärt Wolfgang Bagin, der Chef des Abfallwirtschaftsbetriebs. Die Biokohle müsse aber auch vermarktbar sein. Zudem sei die Frage zu klären, was mit dem Wasser aus der chemischen Aufbereitung passiert. Etwa, ob und wie es gereinigt werden muss, bevor es in die Kanalisation eingeleitet wird.

Innovation auch ohne Automobil

Parallel läuft ein weiteres Projekt, bei dem aus den Gärresten Phosphor gewonnen wird. „In den Bioabfällen stecken noch viele Nährstoffe, die nicht richtig genutzt wurden. Die Abfälle landen dann oft in Verbrennungsanlagen und die Stoffe wie Phosphor gehen verloren“, erklärt Jennifer Bilbao von Fraunhofer-Institut in Stuttgart. Auch sei der Anteil dieser Stoffe in der Biokohle nicht immer passend, etwa bei einer Verwendung als Pflanzendünger. Deshalb wird der Phosphor erst extrahiert und kann später in der gewünschten Menge wieder beigemischt werden.

Seit 2010 gibt es die Firma Smart Carbon, die ihren Sitz in Jettingen hat. „Gegründet haben wir uns aus dem Erfinderclub an der Uni“, erzählt Dave Tjiok. Auch der Grünen-Landtagsabgeordnete Bernd Murschel aus Leonberg ist begeistert: „Man sieht, im Innovationslandkreis Böblingen passiert etwas – und das nicht nur in der Automobilindustrie.“

So entsteht die Biokohle

Verfahren:
In der Anlage wird die sogenannte Hydrothermale Karbonisierung angewandt. Bei Temperaturen zwischen 180 und 220 Grad Celsius werden die Gärreste verkocht. Das Gemisch wird anschließend getrocknet und gepresst. Je nach späterem Verwendungszweck können weitere Stoffe beigemischt werden. Ein Durchlauf dauert derzeit sechs Stunden. Auf eine Tonne Gärreste kommen dabei 500 bis 600 Liter Wasser, die entsorgt werden müssen.

Konkurrenz:
Im Bereich Biokohle gibt es in Europa derzeit nur wenige Produkte. So gebe es in Deutschland eines, das aus Buchenholz hergestellt werde, und ein weiteres aus Braunkohle.

Zulassung:
Jedes Produkt muss einzeln zugelassen werden. Neben einer Betriebsgenehmigung für die Anlagen müssen verschiedene Auflagen erfüllt werden zu Geruchs- und Lärmemissionen sowie für das Abwasser.

Anwendungsmöglichkeiten:
Hier gibt es ein breites Spektrum: Brennmittel, Bodenverbesserung, Trägerstoff für Düngemittel, Absorption von Altlasten, Filterstoff für Abwasserreinigung, Torfersatz, Kompostierhilfe, Güllezusatz, Bindemittel für Ammonium. Die Biokohle besteht überwiegend aus reinem Kohlenstoff. Wird sie in den Boden eingearbeitet, wird das von Pflanzen aufgenommene CO2 langfristig der Atmosphäre entzogen (Klimawandel).