Zum Tag „Nein zu Gewalt gegen Frauen“ spricht die Landtagspräsidentin im Haus der Begegnung.

Leonberg - Die Renninger Kreisrätin Heiderose Berroth hat bei der abschließenden Diskussion gleich ein griffiges Beispiel parat, das ihre Erfahrungen mit Männern in der Kommunalpolitik auf den Punkt bringt. Als sie in einer Fraktionssitzung eine richtig gute Idee hatte, sei ein männlicher Kollege so angetan davon gewesen, dass er den Vorschlag in seinem Redebeitrag gleich als den seinen verkauft hat. „Und der nächste Redner sagte dann: Wie der Kollege gerade vorgeschlagen hat .  .  .“, erzählt Heiderose Berroth und ärgert sich heute noch darüber. „Ich habe mich dann einfach nochmal gemeldet und mich bei dem Kollegen bedankt, dass er meine Idee aufgegriffen hat“, fügt die ehemalige Gemeinderätin hinzu und gibt das Mikrofon zurück an Muhterem Aras. Die Landtagspräsidentin ist anlässlich des internationalen Tags „Nein zu Gewalt gegen Frauen“ als Rednerin im Haus der Begegnung. Der Abend ist eine Kooperation von evangelischer Erwachsenenbildung, der lokalen Agendagruppe „Frauen für Gleichberechtigung“, des Frauenzentrums Leonberg, der Frauenunion und Thamar, der Beratungsstelle gegen sexuelle Gewalt. Und der Andrang ist groß, sogar ein paar wenige Männer sitzen im Publikum.

 

„Arbeit wird schlechter bewertet“

„Wird eine Branche weiblicher, sinken automatisch Anerkennung und Gehalt“, sagt Muhterem Aras und bemüht die Geschichte: Im 19. Jahrhundert waren gut ausgebildete, junge Männer Sekretäre. Diesen Job nutzten sie als Sprungbrett, sie lernten die Firma kennen und übernahmen oft später selbst den Chefposten. „Als Frauen dann im 20. Jahrhundert Sekretärinnen wurden, litt das Ansehen des Berufs, die Karriereaussichten waren dahin“, so die Landtagspräsidentin. „Frauen werden also schlechter bezahlt als Männer, weil ihre Arbeit meist schlechter bewertet wird.“ Die Ökonomin hat sich bewusst dazu entschieden, den Fokus ihrer Rede nicht auf die körperliche Gewalt gegen Frauen zu legen, wie es der Anlass vermuten lässt, sondern auf die strukturelle Diskriminierung gelegt. Arbeit und Familie bilden in der heutigen Gesellschaft immer noch einen Gegensatz. Männer lösen diesen in Form von Karriere und Geld auf, Frauen mit Familie und Kümmern. Und das kommt an.

„Für viele Frauen ist es einfach lukrativer zu heiraten, statt zu arbeiten“, sagt die Landtagspräsidentin. Zumindest auf den ersten Blick. Aber von 100 verheirateten Frauen verdienen nur sechs über 2000 Euro netto. Heißt, nur diese sechs Ehefrauen können selbstständig für ihren Ruhestand sorgen. Für Aras ist das strukturelle Diskriminierung beider Geschlechter.

Hilfe annehmen ist kein Verbrechen

Sie selbst ist verheiratet, hat zwei Kinder und eine Steuerkanzlei. Löst also den Konflikt zwischen Arbeit und Familie völlig auf. Wie schafft sie das? „Mein Sohn rief mich in einer Sitzung an, er schreibe morgen einen Test und ich solle jetzt mit ihm lernen, sonst schreibt er ’ne sechs“, erzählt die Landtagspräsidentin. Daraufhin habe sie eine Nachbarin angerufen, „die Ute“, mit der sie bis dato nichts zu tun hatte, ob sie helfen könne. Und sie sagte ja. „Wir müssen aufhören, perfekt sein zu wollen und Hilfe annehmen. Das ist kein Verbrechen“, erklärt Muhterem Aras.

Für sie ist die Erziehung eines Kindes eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. „Baden-Württemberg ist das Land der Ehrenämter, es gibt so viel Potenzial in der Nachbarschaft, das genutzt werden kann. Es muss nicht immer die eigene Verwandtschaft sein“, sagt sie mit Nachdruck. Ihr Appell an die Frauen ist klar: Sich selbst mehr zutrauen und nicht immer versuchen, es allen recht zu machen. Denn perfekt ist niemand, weder Frau noch Mann. Wie Simone de Beauvoir sagte: Frauen, die nichts fordern, werden beim Wort genommen. Sie bekommen nichts.