Seit 1684 ist der Leonberger Pferdemarkt nur achtmal ausgefallen – wegen der tödlichen Maul- und Klauenseuche und des Zweiten Weltkrieges. Corona hat ihm zwei weitere Ausfälle in Folge beschert.

Leonberg - Kein Wiehern und Stampfen auf dem Marktplatz. Keine Richter, die die schönsten Rösser in der historischen Altstadt und im Reiterstadion küren. Keine Kutscher, die Gespanne mit zehn feurigen Pferden lenken. Keine Leonberger Hunde in der Stadt. Kein Handschlag, der das abgeschlossene Geschäft besiegelt. Auch kein „Ehedrama“ ob des erworbenen „Kruschts“ bei den fahrenden Händlern. Kein Kater nach dem Absacken in einem Keller. Aber vor allem, und das tut besonders weh, kein bunter und fröhlicher Umzug, den Zehntausende Menschen am Wegesrand säumen, bewundern und ihm Beifall spenden. Das ist der Pferdemarkt anno 2022.

 

Die Zeiten waren hart, damals vor 340 Jahren – klingt doch irgendwie bekannt. Der Dreißigjährige Krieg war gerade einmal ein paar Jährchen her, das Schwabenland kam nur mühsam wieder auf die Beine. Auch in Leonberg lag die Wirtschaft am Boden. Und schon wieder hatten sich die hohen Herren in Europa in den Haaren. Der französische „Sonnenkönig“ Ludwig XIV. warf begehrliche Blicke über den Rhein, und die Türken setzen sich in Marsch gen Wien.

Ungünstige Lage für den Handel

So mussten, wie alle anderen auch, die Leonberger ein hübsches Sümmchen aus ihrem Stadtsäckel beisteuern, damit der „Türkenlouis“ Markgraf Ludwig-Wilhelm von Baden sich und seine Truppen in Bewegung setzte. Es seien „trangseelig- und gelltklemme Zeiten“, schrieben es die Leonberger Bürger, als sie die Verwaltung von Stadt und Amt ersuchten, die örtliche Wirtschaft durch einen Pferdemarkt anzukurbeln.

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Nicht nur die große Politik war ein Problem für die Infrastruktur der Stadt. Auch ihre ungünstige Lage abseits der großen Handelsstraße war ein Hemmschuh für die wirtschaftliche Entwicklung. Kaum ein Bürger fand im Handwerk sein Auskommen, fast jeder betrieb nebenher Landwirtschaft. Das war die Ausgangslage, als 1682 eine Gruppe Bürger den Vorschlag machte, vom Herzog Friedrich Karl einen weiteren Jahrmarkt genehmigen zu lassen, der mit einem Ross- und Viehmarkt verbunden werden sollte. Im Rathaus war man skeptisch. Die Magistratsmitglieder fürchteten, dass hohe Organisationskosten der Stadt mehr schaden als nutzen könnten.

Falschinformation für die Obrigkeit

Ein Jahr später sah man das Ganze optimistischer: Neben dem Jahrmarkt im Herbst wolle man einen im Frühjahr „in den Fasten“ abhalten, zumal es 100 Jahre früher einen solchen gegeben habe, der aber wegen „laidiger Kriegszeiten und anderer beschwerlicher Zeiten“ abgeschafft worden war. „Tatsächlich sprechen die Archivquellen eine andere Sprache“, weiß die Leonberger Stadtarchivarin Bernadette Gramm. „Weder in Rechnungen noch in den Protokollen ist von einem zweiten Markt die Rede.“

Was kommt also dabei heraus, wenn man, diplomatisch formuliert, eine Falschinformation für die Obrigkeit mit einem Bürgerbegehren vermischt? Dann alles noch mit der schwäbischen Lebenseinstellung garniert, dass man auf keinen Fall das Jammern vergessen sollte? Das war das Erfolgsrezept für eine Attraktion, die seit vielen Jahren aus dem Leben der Stadt am Engelberg nicht mehr wegzudenken ist – der Pferdemarkt.

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Die Vorteile lagen auch für den Herzog auf der Hand: Wohlhabende können mehr Steuern bezahlen. Die Pferde mussten nicht mehr in Pforzheim, im wenig geliebten badischen Ausland, gekauft werden. Die Obrigkeit ordnete eine Bürgerbefragung an, die mit 95 zu 30 Stimmen zugunsten des zweiten Marktes ausfiel. Der Roß-, Vieh- und Krämermarkt „Zu Lichtmess“ in Leonberg fand am 14. und 15. Februar 1684 erstmals statt.

Zählung gerät etwas durcheinander

Der Markt läuft gut. Im Jahr 1871 wird der Termin endgültig auf den zweiten Dienstag im Februar gelegt. Durch Heinrich Essig wird 1878 ein Hundehandel fester Bestandteil des Marktes. 1768 ist Herzog Carl Eugen zu Gast, sein Adjutant hält das in seinem Tagebuch fest. Als dieses 1911 veröffentlicht wird, hält man den Eintrag für die Ersterwähnung. Das führt 1920 zur 150-Jahr-Jubiläumsfeier, nachdem der Markt im Ersten Weltkrieg zweimal ausgefallen war. 2013 forscht das Archiv nach und stellt die Zählung richtig. Nur achtmal war er bis dahin ausgefallen – wegen Krieg und Maul- und Klauenseuche. Corona hat dem Leonberger Nationalfeiertag bisher zwei weitere Ausfälle beschert.

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Eine treibende Kraft beim 150-Jahr-Jubiläum 1920 ist der Fotograf Karl Stadelmann. Reitervorführungen, Festzug und Karussell kommen hinzu. Stadelmann hat auch das damalige Werbeplakat gestaltet: ein Pferd, einen Bauern und einen Leonberger Hund. Das Motiv wurde 1992 wieder aufgegriffen und ist bis heute gängig.

Der Mix aus pferdespezifischem Fachprogramm, Sport und Unterhaltung macht heute die Attraktivität des Pferdemarktes aus. Doch es war nicht immer so: 1973 standen nur zehn Pferde auf dem Marktplatz. Mittlerweile werden jährlich bis zu 130 Handelspferde gezeigt. Mehr dürfen es aus Sicherheitsgründen nicht sein.