Katja Hechel ist eine Extremsportlerin, die einer lebensgefährlichen Beschäftigung frönt: Schwimmen in Wasser, das unter fünf Grad kalt ist. Doch das außergewöhnliche Hobby bringt auch Vorteile mit sich.

Sport: Jürgen Kemmner (jük)

Eine drohende Erkältung? Ach was. Und auch die eine Grippewelle löst bei Katja Hechel kein Unbehagen aus, alles lässt sie ziemlich kalt. „Ich weiß wirklich nicht“, sagt die Frau aus Leonberg, „wann ich zuletzt mal krank gewesen bin. Ich wüsste nicht mal, wann ich eine Erkältung gehabt hätte.“ Die 51-Jährige kennt ein Rezept, um die Abwehrkräfte so zu stärken, dass ihre Antikörper im Blut mit übernatürlichen Kräften gesegnet sind, um sämtliche aggressive Viren und jedes böse Bakterium lässig abzuwehren wie Superman menschlichen Schurken den Garaus macht. Dabei ist Katja Hechel keine hoch angesehenen Medizinerin, keine schrullige Kräutertante und auch keine mit übersinnlichen Gaben Auserwählte. Katja Hechel ist Eisschwimmerin.

 

Ihr Rezept gegen krank werden ist simpel und leicht umzusetzen, allerdings nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen. Und überdies nicht jedermanns Sache. Die Frau steigt täglich in eine Eistonne, die im Garten steht, drückt sich Kopfhörer auf die Ohren, hört Musik und verharrt im Eiswasser zwischen vier und fünf Minuten. Bis die Eieruhr abgelaufen ist. Dann klettert sie raus und sucht die Wohnung auf. „Ich muss nur aufpassen, dass die Tür nicht abgeschlossen ist“, verrät sie, „aufschließen kann ich mit steif gefrorenen Fingern nämlich nicht mehr.“

Es ist keine Challenge, wie sie in der Generation Z in den Social Media üblich geworden sind, was Katja Hechel Tag für Tag bestehen will, es gehört zum Training einer Eisschwimmerin, um sich abzuhärten gegen Anfeindungen und Auswirkungen des Eiswassers – und je besser sie der Kälte gewachsen ist, umso größer werden ihre Chancen in den Wettkämpfen. Und man darf feststellen: Ihr Trainingsplan passt. Kürzlich hat sie beim Weltcup der Eisschwimmer in Burghausen einen Weltrekord in ihrer Altersklasse (50 bis 55 Jahre) aufgestellt. Über 200 Meter Freistil blieb die Uhr bei 2:49,05 Minuten stehen; im normal warmen Wasser liegt ihre Bestzeit über diese Distanz bei etwa 2:30 Minuten. „Ich war ziemlich überrascht, als über Lautsprecher mein Name genannt wurde und ich dann erfahren habe, dass ich einen Weltrekord geschwommen bin“, erzählt Katja Hechel, „damit hatte ich nicht gerechnet.“

Bei ihren übrigen drei Starts siegte die 1,85 Meter große Frau über 100 Meter Freistil sowie über 100 Meter Brust, nur über die 50 Meter Freistil gelang es ihr nicht, schneller als alle anderen ihrer Altersklasse im Freiluftbecken in Burghausen ihre Bahn zu ziehen. „Das habe ich vergeigt“, sagt die Eisschwimmerin, „da bin ich nur Zweite geworden.“ Grund: Zwischen dem Start über die kurze Distanz und dem davor lagen etwa 40 Minuten – viel zu wenig, um die unterkühlte Muskulatur wieder auf Betriebstemperatur zu bringen. Kalte Muskeln sind für Sportler so wenig hilfreich wie ein löchriger Schlauch bei der Freiwilligen Feuerwehr im Kampf gegen einen Brand – womit sich erklärt, warum Katja Hechel eine Eistonne besitzt.

Gestützt werden wie ein Betrunkener

Schwimmen in eiskalten Wasser ist nicht nur eine gewöhnungsbedürftige Sportart, sondern auch eine lebensgefährliche, was nicht erst seit dem Hollywood-Film „Titanic“ allgemein bekannt ist. Beim Eisschwimmen muss die Wassertemperatur unter fünf Grad Celsius liegen, wer bei den Wettkämpfen starten möchte, muss ein aktuelles EKG vorlegen sowie die Sportgesundheit nachweisen. Aus Sicherheitsgründen erfolgt der Start nicht vom Block, die Teilnehmer befinden sich bereits im Becken, und auch die übliche Rollwende sowie tauchen sind verboten – überwacht werden die Sportler von Rettungsschwimmern und einem Notarzt am Beckenrand. Bei Distanzen von mehr als 400 Metern – die Maximalstrecke beträgt 1652 Meter – geht nichts ohne persönlichen Betreuer, der seinen Schützling überwacht, die Frequenz der Schwimmzüge zählt und die Durchgangszeiten abgleicht. Damit niemand im Eiswasser versinkt. „Die Wahrnehmung trübt ein“, erzählt Katja Hechel, „das merkt man selbst gar nicht – man würde einfach untergehen.“ Deshalb werden Eisschwimmer nachdem sie dem Becken entstiegen sind, von den Helfern „gestützt und geleitet, wie man einen Betrunkenen führt“, verrät die Leonbergerin. Ohrstöpsel entfernen, Schuhe binden oder Hosenknopf schließen – das ist mit eiskalten Fingern so kompliziert wie für Grundschüler die Relativitätstheorie von Albert Einstein zu verstehen.

Täglich 70 Kilometer mit dem Gravelbike

Die Prozedur in der 300 Liter fassenden Eistonne ist nicht die einzige Trainingsmaßnahme der 51-Jährigen, die für die SG Glems startet. Um ihre Ausdauer zu erhalten und zu verbessern, fährt sie täglich mit dem Gravelbike zur Arbeit nach Hirsau, das sind 70 Kilometer inklusive 1000 Höhenmetern; morgens um 5.15 Uhr geht’s los, gegen 18 Uhr kehrt sie zurück. „Nur bei Schnee und Temperaturen von unter null Grad lasse ich das Bike stehen“, sagt Katja Hechel. Baden in der Eistonne plus weite Radfahrten in der Kälte härten nicht nur gegen Krankheiten ab – beides beschert auch einen monetären Wert in der Energiekrise. „In meiner Wohnung herrschen 15 Grad“, sagt die Eisschwimmerin, „und mir ist kein bisschen kalt.“