Das Leonhardsviertel könnte ein Schmuckstück werden, wenn die Stadt Stuttgart es wirklich wollte, sagen Gastwirt Heinrich Huth und Bernd Langner, der Geschäftsführer des Schwäbischen Heimatbundes. Beim Spaziergang durch das Quartier erklären sie ihre Vorstellungen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Die Altstadt, in der viele Stuttgarter Bordelle angesiedelt sind, stellen sich viele Menschen als ein ganz furchtbares Quartier vor: schmutzig, anonym, verdorben. Probleme gibt es tatsächlich zuhauf, doch wer tagsüber durch das Viertel spaziert, erlebt eine ganz andere, eine richtig sympathische Altstadt. Heinrich Huth, der seit vielen Jahren der Gastwirt der Jakobstube ist, kennt viele Nachbarn persönlich. Er sagt mit Überzeugung: „Ich lebe unglaublich gerne hier.“

 

Gerade plaudert er mit dem jovialen Neffen der Besitzerin des Hauses nebenan, der Jakobstraße 10 – das ist ein denkmalgeschütztes Haus von 1929, das manche Architekturhistoriker in einem Atemzug mit der Weißenhofsiedlung und dem Tagblattturm nennen. Der Neffe ist aufgeregt, weil er einen seiner Mieter seit längerem nicht ans Telefon bekommen hat und nun in Sorge ist, dem Mann sei etwas passiert.

Aber Huth kann ihn beruhigen, alles ist in Ordnung, wie sich herausstellt. Der Mieter sitzt nämlich gerade in der Jakobstube auf ein Bierchen, und so zeigt uns der Eigentümer wieder ganz entspannt das leer stehende Erdgeschoss seines Hauses – dort war bis vor einigen Jahren ein wunderschönes Antiquariat untergebracht. Die Bücher stehen alle noch in den Regalen und setzen Staub an, und auch die Ladentheke mit der alten Kasse schlummert still vor sich hin. Die gute alte Zeit, hier ist sie konserviert.

Auch das Leonhardsviertel selbst könnte ein solches Idyll der guten alten Zeit sein. Auf engem Raum finden sich dort 19 denkmalgeschützte Häuser, spätmittelalterliche, barocke, klassizistische – und daneben gibt es viele weitere, die zwar keine historische Bedeutung, aber viel Charme besitzen. Vor allem hat sich die alte Struktur des Quartiers erhalten: Alle Häuser haben noch ein menschliches Maß, die Straßen darf man getrost als Gassen bezeichnen, und die Innenhöfe atmen noch die Geschäftigkeit alter Handwerksbetriebe.

Die obere Weberstraße ist ein Idyll, aber abends tot

Richtig renoviert und richtig animiert könnte das Viertel weit schöner werden als der Platz um den Hans-im-Glück-Brunnen. Aber bis dahin ist es ein langer Weg. Heinrich Huth und auch Bernd Langner, der der Geschäftsführer des Schwäbischen Heimatbundes ist und uns auf dem Spaziergang begleitet, sehen mit Sorge auf das Viertel. Ein wenig sei die Situation wie in der Calwer Straße in den 1970er Jahren, sagt Langner, der seinen Arbeitsplatz in der Weberstraße hat: Die Häuser in der Calwer Straße standen auch vor dem Abriss – heute ist die Fußgängerzone eine der heimeligsten Flaniermeilen Stuttgarts.

Die Grafik zeigt denkmalgeschützte Gebäude im Leonhardsviertel und ihre frühere Nutzung.

Was müsste geschehen, um das Leonhardsviertel aufzuwerten? Ideen hätten Huth und Langner genug. Wir biegen um die Ecke in die obere Weberstraße, an der entlang bis ins 19. Jahrhundert hinein die Stadtmauer verlief. Eigentlich ist es eine schöne schmale Straße mit romantischem Kopfsteinpflaster. Doch es fehlen die Gaststätten, die nichts mit dem Milieu zu tun hätten, es fehle eine richtige Beleuchtung, es fehle ein Konzept, sagt Heinrich Huth: So bleibe die Gasse tot, die eigentlich eine Touristenattraktion sein könnte. Langner regt an, die Innenhöfe zu beleben: „Dann würde die ganze Straße viel attraktiver.“

Auch der Müll ist ein großes Problem

Vorne am Eck stoßen wir auf die Richtstraße – und auf das nächste Problem. Da die Straße zu eng ist für Fahrzeuge, wird dort der Müll nicht häufig genug abgeholt. Vor vielen Häusern sind Müllsäcke aufgestapelt, manche sind aufgeplatzt, der Unrat liegt offen auf dem Pflaster, mancher Mieter hatte schon Probleme mit Kakerlaken. Ja, und dann gebe es einfach noch genügend Häuser, die saniert gehörten, sagt Bernd Langner. Eines davon ist das Haus an der Ecke Leonhardstraße und Weberstraße, das Langner schlicht als „grandios“ bezeichnet: Es stammt aus dem Jahr 1827, hat den typisch klassizistischen Giebel, und sogar der alte Hauseingang ist noch original. Leider ist das Haus in keinem allzu guten Zustand. Noch deutlich schlechter steht das Barockhaus in der Jakobstraße 2 da: Die Ziegel sind stark vermoost, der Putz wirkt alt und schäbig, die Fenster sind blind. Man hat Angst, es könnte jeden Augenblick zusammenfallen.

Was Heinrich Huth und Bernd Langner bei dem Spaziergang kaum problematisieren, ist dagegen die Prostitution. Langner ist vielmehr überzeugt: „Wenn man das Viertel ordentlich saniert und mit Leben füllt, stellt sich die Frage der Prostitution kaum noch.“ Man könne dann gut nebeneinander leben. Aber die Stadt tue einfach zu wenig, sagt auch Heinrich Huth: Er selbst habe zum Beispiel zehn Jahre kämpfen müssen, um zwei Tische ins Freie stellen zu dürfen. Dabei würden die Freier genau solche belebten Orte meiden.

Die Anwohner fordern endlich ein städtisches Konzept

Grundsätzlich glaubt Huth daran, dass das Leonhardsviertel wie Phönix aus der Asche steigen könnte: Wenn das Züblin-Parkhaus eines Tages weg sei und eine gute Anbindung an die Innenstadt hergestellt werde, „könnte dies das neue Zentrum werden“. Er fordert die Stadt deshalb auf, endlich einen Plan vorzulegen: „Es gibt viele Interessenten, die etwas tun würden im Viertel. Aber die Stadt macht nichts für die Planungssicherheit.“ Tatsächlich hört man von vielen Eigentümern, dass sie endlich gerne wissen würden, was die Stadt vorhat: Rotlichtzentrum, romantische Altstadt oder normales Wohnquartier?

Die Grafik zeigt denkmalgeschützte Gebäude im Leonhardsviertel und ihre frühere Nutzung.

Dennoch: Es ist nicht alles Schatten im Leonhardsviertel, das zeigt der Spaziergang auch. Gleich gegenüber dem Heimatbund in der Weberstraße sind zwei Häuser hergerichtet worden. Das eine steht noch leer, in das andere ist die Caritas eingezogen; Bordelle gibt es in keinem der zwei Häuser mehr. Auch vorne an dem kleinen Platz ist ein Haus saniert – in der Leonhardstraße 13 logiert nun eine Champagnerbar für ganz normale Nachtschwärmer, und unter dem großen Kastanienbaum kann man sogar draußen sitzen. Wenn man dann noch weiß, dass der große Architekt Theodor Fischer dieses Gebäude geplant hat, ebenso wie das nahe Gustav-Siegle-Haus, dann wird den beiden Flaneuren doch schon ein wenig warm ums Herz.

Das Leonhardsviertel, daran glauben Heinrich Huth und Bernd Langner jedenfalls ganz fest, ist noch nicht verloren.