Der Poller, der Autos vor der Leonhardstraße stoppt, wird boykottiert – in unterschiedlichster Absicht. Offenbar verkleben Befürworter wie Gegner die Straßensperre.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Zumindest an diesem Sonntagabend offenbart der Blick in die Leonhardstraße kein ungewohntes Bild: Freier, manche Arm in Arm, ziehen von Haus zu Haus. Der eine oder andere torkelt, die Bierflasche in der Hand. Aus einer Gruppe von vier Freunden heraus wird ein Lied angestimmt, wenn auch eher unmelodiös. Autos, das ist wichtig für diese einige Wochen alte Szene, sind nicht in Sicht.

 

Was fehlt in diesem Bild, würden nur Ortskenner enträtseln. Es ist ein Stück Edelstahl, schlank, von gut einem Meter Länge: ein Poller, der eingangs der Straße im Asphalt stecken sollte. Der Mangel wäre nur eine Randnotiz, weil Poller wie dieser „immer mal wieder nicht eingesteckt oder auch versteckt werden“, sagt Jürgen Mutz vom Tiefbauamt, „das passiert“. Aber dieser Poller ist ein Politikum.

Sechs Frau und Mann waren am 31. April 2013 gekommen, um ihn erstmals in seiner Verankerung zu versenken, zwischen zwei Schildern, die die Leonhardstraße als Fußgängerzone ausweisen. Sogar der Ordnungsbürgermeister Martin Schairer hatte sich zur Zeremonie für die Metallhülse ins Rotlichtviertel bemüht. Freiersuchverkehr sollte der Poller verhindern, erklärtermaßen, auch wenn es den an dieser Stelle nie gab, aber Betreiber, Beschäftigte und Besucher stellten mit ihren Autos den Straßenrand zu und ließen Motoren röhren. Jedenfalls sollte der Poller einen „kleinen Beitrag leisten, um wieder ein Gleichgewicht zwischen Wohnen und Nachtleben herzustellen“, wie Schairer sagte. Mit dem Nachtleben war nicht die Party gemeint, sondern die Prostitution. Die Sperrung galt zunächst ein Jahr zur Probe, dann wurde sie verlängert, weil der Versuch als erfolgreich gilt.

Mehrmals täglich kontrolliert ein Schließdienst

Im Juni konnte der Poller wochenlang keinen Beitrag zur Rettung des Leonhardsviertels leisten. Er steckt am Straßenrand in einer Hülse, durchaus ordnungsgemäß. Dort soll er während der Zeiten lagern, in denen das Quartier beliefert werden darf, täglich von 5.30 Uhr bis 14 Uhr. Die Stadt hat eigens einen Schließdienst beauftragt, um ihn am frühen Morgen zu entfernen, am frühen Nachmittag wieder in der Straße zu verankern und abzuschließen.

Allerdings war dieses Prozedere nicht sonderlich erfolgreich, denn Hausbesitzer und Mieter, die im Quartier Parkplätze besitzen, haben einen Schlüssel. Offenbar war es manchem zu mühsam, auszusteigen, den Poller beiseite zu räumen, vorzufahren, wieder auszusteigen, um den Poller wieder zu versenken. „Wir haben den Schließdienst gebeten, mehrmals am Tag vorbeizuschauen“, sagt Mutz, „aber wir können ihn nicht den ganzen Tag beschäftigen“.

Was im Juni ohnehin unnötig war, denn einem der Anlieger war die Prozedur auf dem Weg zu seinem Parkplatz wohl endgültig zu lästig. „Das Schloss ist mit Klebstoff gefüllt worden“, sagt Mutz. Tatverdächtige sind durchaus auszumachen. Ihre Namen stehen auf einer Liste.

Die Namen der Verdächtigen stehen auf einer Liste

Vor Beginn des Versuchs waren zwei Bordellbetreiber durch die Nachbarhäuser gezogen, um Unterschriften gegen die Sperrung zu sammeln. Dies durchaus erfolgreich, auch Gastronomen, die mit dem Milieu nichts zu tun haben, unterschrieben. Vor allem, dass Taxifahrer Gäste nicht mehr vor der Tür aussteigen lassen können, störte nicht nur die Rotlichtbetriebe.

„Der Poller kommt wieder hin“, sagte die Bezirksvorsteherin Veronika Kienzle in einer Bezirksbeiratssitzung Ende Juni. In der Tat war die Freie Fahrt nach der Klebstoffattacke nicht von Dauer. Der Poller kam wieder hin – um erneut Vandalenopfer zu werden. Diesmal aber offenkundig von einem Freund der Sperrung. Denn diesmal hat ein Unbekannter den Pfosten so blockiert, dass er nicht mehr aus dem Asphalt zu ziehen war. Zwischenzeitlich war die Zufahrt gar nicht mehr möglich, es sei denn illegal gegen die Einbahnstraße.

Das Problem des Vandalismus gegen das Politikum gleich von welcher Seite scheint durchaus lösbar, endgültig. Wie, ist gleich um die Ecke zu besichtigen. Die Jakobstraße ist ebenfalls mit Pfosten abgesperrt, genauso wie die Durchfahrt zum Wilhelmsplatz. Die allerdings können mit einem schlichten Dreikantschlüssel aus ihren Hülsen im Asphalt gezogen werden. Klagen über Missbrauch oder Falschparker sind trotzdem nicht bekannt.