Die Stadt will vier Bordelle im Leonhardsviertel schließen – diejenigen, die bisher als legal galten. Wie langwierig der Versuch ist, zeigen Beispiele anderer Rotlichtbetriebe.

Böblingen: Marc Schieferecke (eck)

S-Mitte - Hier wird journalistische Arbeit noch gewürdigt. Die Wände des Zimmers sind mit Zeitungsausschnitten geradezu tapeziert. Alle Schreiber befassten sich mit Prostitution. Unter den Texten sitzen Frauen und warten auf Freier. Weshalb merkwürdig scheint, dass eine stete Vorkämpferin gegen illegale Bordelle herzlich hereingebeten wurde: Veronika Kienzle, die Bezirksvorsteherin der Stadtmitte. Sie war zufällig in den Innenhof an der Kernerstraße geraten. Kienzle wollte wissen, warum hier ein Jugendstilhaus verfällt. Drinnen hörte sie ein Klagelied auf geizige Hausbesitzer und andere Nöte des Betriebs – eben eines illegalen Bordells.

 

Angesichts dessen, dass die Polizei in Stuttgart knapp 180 ungenehmigte Rotlichtbetriebe zählt, können Unwissende durchaus unbeabsichtigt in ein einschlägiges Haus stolpern. Dort ins Plaudern zu kommen, ist kein Problem. Die Branche ist keineswegs verschwiegen. Im Internet werben illegale Bordelle in aller Freizügigkeit. Wer etwas auf sich hält, teilt dabei neben der Oberweite der Damen den Namen seines Jugendschutzbeauftragten mit.

Der Betrieb an der Kernerstraße soll in neue Nöte geraten, denn Oberbürgermeister Fritz Kuhn will massiv gegen Prostitution vorgehen. Erste Schritte muten allerdings merkwürdig an. Vier von 14 Betrieben im Leonhardsviertel galten bisher als legal, wegen einer Altfallregelung. In ihnen schafften schon vor 1985 Frauen an. Diese vier will die Stadt nun schließen. Ein erstes Verbotsschreiben lag jüngst im Briefkasten. Im Widerspruch schrieben die Juristen des Betreibers, dass ein Verbot letztlich sogar gegen das Grundgesetz verstieße.

Die Gewerbeaufsicht führt die Betriebe als Bordelle

Tatsächlich hatte Baubürgermeister Matthias Hahn erklärt, dass die Hälfte der 14 Betriebe geschlossen werden soll. Mithin müssten sogar drei bisher illegale Häuser legalisiert werden. Welche, ist offen. Die vier Altfälle führt die Gewerbeaufsicht ausdrücklich als Bordelle. Was aber „keine Relevanz hat“, wie Kirsten Rickes sagt, die Leiterin des Baurechtsamts. Den Sinneswandel erklärt sie mit künftigen Gerichtsurteilen. Bisher hat der Verwaltungsgerichtshof in Mannheim in ähnlichen Fällen geurteilt, dass gleichsam Gewohnheitsrecht das Baurecht überwiegt. Inzwischen „haben wir die Hoffnung, dass diese Rechtsprechung sich ändert“, sagt Rickes.

Ungeachtet dessen ist gewiss, dass es bis zu einer Schließung dauert. Das zeigen etliche Beispiele. Jenes Bordell, in das Kienzle stolperte, hat vor zehn Jahren eröffnet. Es ist umgeben von Wohnhäusern. Schräg gegenüber residiert die Polizeigewerkschaft. 2010 verschickte die Stadt ein Verbot. Der Betrieb lief unbeeinflusst weiter.

Einen Steinwurf entfernt hat sich ein kurioser Rechtsstreit entwickelt. Am Neckartor, neben dem Amtsgericht, betreibt eine „Red Rental Ltd.“ ein Bordell. Aktuell schaffen dort neun Frauen an. Die Stadt verschickte ein Verbot. Die Hausbesitzer revanchierten sich mit einer Klage. Sie fordern, den Betrieb ausbauen zu dürfen. In erster Instanz unterlagen sie. Die Berufung steht aus. Die Stadt argumentiert unter anderem mit mangelndem Brandschutz. Der wäre ein Grund für sofortige Schließung. Aber vor einer Entscheidung muss das Regierungspräsidium die Akten prüfen – offenbar sorgsam. Es prüft seit drei Jahren.

Sogar eine Hochzeitssuite steht zur Auswahl

Bei der Konkurrenz an der Tübinger Straße empfängt eine verbindliche Dame die Kunden, um vorab deren Wünsche zu besprechen. Freier haben die Wahl zwischen sechs Themenzimmern. Sogar eine Hochzeitssuite steht zur Auswahl. Das Haus ist diskret umgebaut worden. Ob mit Genehmigung, darüber schweigt Rickes, des Datenschutzes wegen. Der Betrieb sei „nicht so altbekannt“. Aber er ist unübersehbar. Seit das Bordell sogar das Erdgeschoss belegt, in dem früher Einzelhändler Ware anboten, ahnt jeder jenseits der Pubertät, welche Dienstleistung hinter Milchglas angeboten wird. Gemäß städtischer Vorgabe darf höchstens ein Drittel eines Hauses der Prostitution gewidmet sein.

Verborgen am Rand eines Gewerbegebietes lockt das Studio Arachne Männer mit Neigungen, die offenbaren, dass die Fifty Shades of Grey mit der Realität so viel gemein haben wie ein TV-Talk über Folter mit der Folter selbst. Das SM-Studio in Zuffenhausen gilt bundesweit als erste Adresse seiner Art. Auch diesen Betrieb hat die Stadt untersagt, ebenfalls ohne Auswirkungen. In einer Außenstelle in der Zuckerfabrik bietet das Studio Paaren Übernachtungen in entsprechend ausgestatteten Zimmern an. Dieser Geschäftszweig blieb im Rathaus bis heute verborgen, trotz Internetwerbung. Aus schlichtem Grund: Sittenwächter verhindern Recherchen am Rechner. Jugendgefährdende Inhalte sind für städtische Bedienstete gesperrt.

Allerdings hätte auch die Lektüre anderer Quellen zu Erkenntnissen führen können. Arachne würdigt ebenfalls journalistische Arbeit, in einer Presseschau. Deren ältester Text stammt aus der Stuttgarter Zeitung vom 13. November 2004.