Lernbegeisterte Tiere Clevere Kraken

Kraken erforschen ihre Umwelt mit den Saugnäpfen an ihren Armen. Foto: imago/Future Image

Kraken lösen manche Denksportaufgaben sehr geschickt – aber nur, wenn sie Lust haben.

Rostock - Das Aquarium eines Gewöhnlichen Kraken ähnelt ein wenig einem Hochsicherheitstrakt: Der Deckel ist von außen verschraubt. „Sonst würde der Krake ihn anheben und ausbüxen“, erklärt Frederike Hanke vom Marine Science Center der Universität Rostock. Alle Installationen im Aquarium müssen von außen gesichert werden, sonst nehmen die Kraken der Art Octopus vulgaris praktisch alles auseinander, was ihre acht Arme erreichen können.

 

Gewöhnliche Kraken wirken auf viele Menschen recht clever. Wie schlau die Tiere tatsächlich sind, möchte die Biologin und Sinnesphysiologin Hanke gern in Experimenten am Robbenforschungszentrum der Uni Rostock herausfinden. Dabei fragt sie sich manchmal, wer dort eigentlich wen beobachtet: „Sobald ich im Raum mit dem Aquarium bin, lässt mich der Krake nicht mehr aus den Augen“, berichtet sie. Genau solche Verhaltensweisen, die an ähnliche Reaktionen von Menschen erinnern, lassen Oktopoden in unseren Augen clever erscheinen.

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Ein anderes Beispiel ist das offensichtlich vorausschauende Verhalten der Kokosnuss-Kraken Amphioctopus marginatus, die am Meeresboden vor den indonesischen Inseln Bali und Sulawasi zwei harte Kokosnussschalen nutzen, um ihren weichen Körper darin vor Feinden mit Appetit auf Tintenfische zu schützen. Schrecken Taucher sie auf, stapeln die Kraken bisweilen die beiden Schalen ineinander, nehmen sie in ihre Arme und staksen so davon.

„Allerdings sind solche Beobachtungen eher Anekdoten“, erklärt Hanke. Untersuchungen nach wissenschaftlichen Standards sind dagegen eher Mangelware – und beziehen sich häufig nur auf eine einzige Art.

Obendrein sind solche Untersuchungen alles andere als trivial, weil Kraken und Menschen seit vielleicht 600 Millionen Jahren sehr unterschiedliche Wege in der Evolution eingeschlagen haben. Einer dieser Pfade hat zu einem relativ großen Denkorgan geführt, das wie eine Kommandozentrale die Funktionen und Reaktionen des Körpers von allen Wirbeltieren bis hin zu uns Menschen steuert.

Tausende Rezeptoren

Kraken aber haben zusätzlich eine Art Minigehirn an der Basis eines jeden ihrer acht Arme, an denen sich jeweils bis zu 250 Saugnäpfe befinden. In jedem dieser Saugnäpfe sitzen einige Tausend Rezeptoren, die chemische und mechanische Reize registrieren. Im Vergleich dazu haben die sehr empfindlichen zehn Fingerspitzen, mit denen ein Mensch äußerst präzise greifen kann, jeweils gerade einmal ein paar Hundert mechanische Rezeptoren.

Untersucht ein Krake den Meeresgrund, muss sein Denkorgan also sehr viel mehr Informationen verarbeiten, als die zehn Fingerspitzen eines Menschen an dessen Gehirn schicken. Diese gewaltige Aufgabe lösen Kraken mittels Dezentralisierung (siehe Infobox).

In einer anderen Welt als der Mensch

Neben dieser völlig anders gearteten Datenverarbeitung leben die Kopffüßer auch noch unter Wasser in einer ganz anderen Welt als die Menschen, die sich die Experimente ausdenken. Wollen Biologen in diesem fremden Kosmos die Intelligenz der Kraken untersuchen, stehen sie vor einem weiteren Problem: „Intelligenz ist zum einen nicht genau definiert und richtet sich zum anderen sehr stark an der Welt von uns Menschen aus“, erklärt Frederike Hanke. In ihrem Forschungsprogramm spielt der Begriff „Intelligenz“ daher kaum eine Rolle – sie nimmt stattdessen die Lernfähigkeit der Tiere unter die Lupe.

Die Gewöhnlichen Kraken, mit denen das Team in Rostock arbeitet, lernen die typischen Versuchsabläufe schnell: Sehr rasch schwimmen die Tiere zu einem umgekehrten Blumentopf am Grund des Aquariums, den sie mit ihren acht Armen umschlingen. Auf einem Bildschirm wird den Tieren dann zum Beispiel ein schwarzes Haus gezeigt. Bald tauchen rechts und links daneben zwei weitere Symbole auf, zum Beispiel ein weiteres schwarzes Haus und ein rotes Herz.

Belohnungen nicht immer attraktiv

Schwimmt der Krake zum gleichen Symbol, das von Anfang an in der Mitte des Bildschirms zu sehen war, bekommt er eine Belohnung. Wenn die Kraken in mindestens 80 Prozent aller Fälle das richtige Symbol wählen, gilt die jeweilige Aufgabe als gelöst. Diese wiederholt Hanke in mehreren aufeinander folgenden Versuchsreihen.

Bei den Belohnungen liegt jedoch ein weiteres Problem: Für die Kraken scheint eine schmackhafte Belohnung deutlich weniger wichtig zu sein als zum Beispiel für die Robben, mit denen in Rostock ebenfalls Versuche stattfinden.

Und es gibt eine weitere Schwierigkeit: Wie alle Tintenfische werden Kraken nicht alt. Frederike Hanke berichtet: „Länger als neun Monate konnten wir bisher noch keines der Tiere untersuchen.“

Dezentrales Nervensystem

Minigehirne
  An jedem Saugnapf eines Kraken sitzt ein sogenanntes Ganglion – ein Knoten von Nervenzellen, der die Flut von Informationen aus den Rezeptoren verarbeitet, die Muskulatur um den Saugnapf herum steuert und Informationen an die benachbarten Ganglien weitergibt. Die Minigehirne an den Armen sind miteinander über eine Art Ringnervenleitung verbunden. So kann jeder Arm einzeln agieren, aber seine Aktionen mit anderen Armen koordinieren.

Zentralgehirn
  Dieses dezentrale System kann bei anspruchsvolleren Aufgaben vom Zentralgehirn im Kopf gesteuert werden, um zum Beispiel eine Beute zu jagen.

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