Auch Kultusministerin Eisenmann findet den Einsatz von Lernvideos von Youtube gut. Lehrer aber weisen auf Mängel bei der Youtube-Nutzung hin: das Fehlen von Endgeräten und Qualitätskriterien für gute Videos.

Stuttgart - Geht’s um eine knifflige Aufgabe bei der Vorbereitung für die Mathematik- oder Physikarbeit am nächsten Tag, meldet sich die 16-jährige Gymnasiastin Anette M. aus Stuttgart kurz im Klassenchat – und hat binnen Minuten über den Messengerdienst Whatsapp eine Antwort von Mitschülern. Der eine oder andere schickt ihr einen Link für ein Youtube-Lernvideo, in dem das Problem verständlich dargestellt wird. Für Lehrer ist diese Whatsappgruppe der Schüler allerdings tabu.

 

Laut einer Studie des Rats für Kulturelle Bildung, die am Dienstag veröffentlich worden ist, ist für Schüler Youtube die zweitwichtigste Informationsplattform nach Google. 60 Prozent der Jugendlichen recherchieren damit, zum Beispiel für die Hausaufgaben. Fast die Hälfte der Zwölf- bis 19-Jährigen hält Youtube für wichtig oder sehr wichtig für die Schule. Befragt man Susanne Eisenmann (CDU), die baden-württembergische Kultusministerin, bricht auch sie eine Lanze für Youtube: „Es spricht nichts dagegen, wenn Schüler Erklärvideos auf Youtube auch zu schulischen Themen nutzen.“ Dies sei „Teil unserer Lebenswelt“. Es gebe neben kommerziellen Angeboten auch gute Lernvideos, die den Unterricht ergänzen könnten. Zentral sei es aber, dass Schüler fähig seien, die „Angebote im Netz kritisch und reflektiert auszuwählen“. Diese Kompetenz werde in der schulischen Medienbildung vermittelt.

Beim digitalen Kontakt mit den Schülern gibt es eine Grauzone

Den Lehrerverbänden gehen diese Handreichungen des Ministeriums allerdings nicht weit genug. Mindestens drei Problemkreise tun sich bei der Nutzung von Youtube durch Schüler auf: der Kontakt von Lehrern zu Schülern, die Endgeräte sowie die Vielfalt des Angebots.

Problem Nummer eins: Zwar bestätigt eine Sprecherin Eisenmanns auf Anfrage, dass ein Lehrer durchaus die Links für ein geeignetes Youtubevideo den Schülern zuschicken könne. Auf welchem Wege, das lässt sie aber offen. Da gebe es eine Grauzone. Die Teilnahme von Lehrern an gemeinsamen Whatsappgruppen mit Schülern zu schulischen Zwecken ist aus datenschutzrechtlichen Gründen verboten, auch könnten einzelne Kinder – die kein Whatsapp haben oder wollen – nicht ausgeschlossen werden. Oliver Hintzen, Vizevorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung (VBE) in Stuttgart und selbst Schulrektor, kommuniziert mit seinen Schülern in einer Schul-Cloud, eine geschlossene Chatgruppe, in der die personenbezogenen Daten von Schülern oder Lehrern nicht sichtbar sind. Und Hintzen produziert sogar mit den Schülern eigene Erklärvideos: „So etwas machen aber nur Nerds wie ich“, sagt der Physiklehrer.

Manche Videos polarisieren

Dass Schüler und Lehrer für die Recherche im Netz ihre privaten Endgeräte nehmen müssen – Problem Nummer zwei-, das sieht der Lehrerfunktionär kritisch – denn es sei nicht selbstverständlich, dass sich jede Familie ein Smartphone für jedes Kind leisten könne. Mit den Segnungen des Digitalpakts werde dieses Problem vielleicht gelöst.

Am großen Nutzen der Youtubevideos hat Hintzen, der eine Grund- und Werkrealschule in Weisenbach (Kreis Rastatt) leitet, keinen Zweifel. Im Fach Physik gebe es beispielsweise ausgezeichnete Videos, die die Beschleunigung oder Optik einer Linse erklärten, in Chemie sei damit die Redoxreaktion gut darstellbar. Das dritte und größte Problem bei der Nutzung von Lernvideos aus dem Netz ist allerdings die Fülle des Angebots. „Es gibt Millionen von Videos auf Youtube. Darunter sind einige, die Halbwissen verbreiten, schlecht gemacht sind oder polarisieren“, sagt Hintzen. Die Lehrer müssten das Angebot filtern, die Schüler eine Aufgabe einfach googeln lassen, das gehe nicht. Der VBE fordere, die Lehrerfortbildung in diesem Punkt zu schärfen, so Hintzen: „Wir brauchen Qualitätskriterien für gut gemachte Erklärvideos.“

Auch Tobias Mundel, Vize-Rektor am Wilhelms-Gymnasium in Stuttgart sagt, dass ein „pädagogischer Filter“ oder eine „Bewertungsstrategie“ für Videos von Youtube oder dem Portal Vimeo gut wären. Dass Youtube Werbung schaltet, sieht Mundel als Einschränkung: „Ich versuche Filme in den Unterricht einzubinden, die keine Werbung haben.“ Laut Studie sind Schüler noch relativ allein im Youtube-Dschungel: 91 Prozent der Empfehlungen für ein Video geben Freunde, 65 Prozent die Influencer, 44 Prozent die Familie und nur 30 Prozent kommt von den Lehrern.