Zum Auftakt des 6. Vaihinger Lesefests ist den Machern ein ganz besonderer Coup geglückt. Die beiden Autorinnen Corinna Ponto und Julia Albrecht sprachen am Sonntagabend über die Schatten des RAF-Terrors.

Stuttgart - Da sage noch einer Fernsehen bildet nicht. „Ich habe Corinna Ponto in einer Kultursendung gesehen“, sagt Frank Otto Huber, der Leiter des Kinderhauses Büsnau, das gemeinsam mit dem Jugendtreff Lauchhau und dem Bürgerverein Vaihingen das mehrwöchige Lesefest veranstaltet. Für ihn war schnell klar, Ponto wäre gemeinsam mit Julia Albrecht die Idealbesetzung für den diesjährigen Auftakt. Vor anderthalb Jahren knüpfte Sabine Fecke von der gleichnamigen Lese-Agentur daher den Kontakt.

 

Auftritt war eine absolute Ausnahme

Huber hatte den richtigen Riecher bewiesen, und so kamen die Gäste am Sonntagabend in den Genuss einer außergewöhnlichen Veranstaltung. Eigentlich geben Ponto und Albrecht seit einem Jahr keine Lesungen mehr. Der Auftritt im Kinderhaus war daher eine absolute Ausnahme.

Corinna Ponto ist die Tochter des von der RAF ermordeten Vorstandssprechers der Dresdner Bank, Jürgen Ponto. Julia Albrecht ist die Schwester der RAF-Terroristin Susanne Albrecht, die maßgeblich an der Ermordung des Bankiers beteiligt war. Das Buch „Patentöchter – Im Schatten der RAF“ ist die Folge eines Briefwechsels der beiden Frauen, der das Schweigen zwischen den einst gut befreundeten Familien durchbrach. Es gibt wohl kaum ein größeres Kompliment für eine Lesung, wenn man selbst in den Pausen beim Seitenumblättern eine Stecknadel fallen hören könnte. Julia Albrecht war 13 Jahre, als ihr Patenonkel ermordet wurde. Der 30. Juli 1977 hat ihr Leben verändert. „Meine Schwester ist aus der Welt gefallen“, sagt Albrecht. Der Verrat Susanne Albrechts, der den Mördern erst den Zugang zum Ponto-Haus ermöglichte, wiegt auch heute noch schwer: „Es war unvorstellbar, so betrogen zu werden“, sagt Ponto.

Albrecht: eine unfassbare Tat

Sie spricht davon, dass jeder „RAF-Fall seine eigene Pannengeschichte“ hat. Sie sieht noch jede Menge Nachholbedarf, was die Aufarbeitung des RAF-Terrors und etwa die Rolle der Stasi und der Geheimdienste betrifft. Für Julia Albrecht war die „Tat so unfassbar, dass ich mich nicht mehr in meine Schwester hineinversetzen konnte“. 13 Jahre lang gab es keinen Kontakt zu eben dieser, bis Susanne Albrecht am 7. Juni 1990 in Berlin-Marzahn verhaftet wurde.

Dass Susanne Albrecht im Prozess ihr Mitwirken als Schutztat für „Onkel Jürgen“ umgedeutet hat, sei für sie der Tiefpunkt der Verhandlung gewesen. Bis heute sei keine Verbindung zur Schwester vorhanden: „Es gab nur ein, zwei Telefonate.“ In das Thema eingeführt hatte Fred Binder. „In meinem Kopf sind viele unbeantwortete Fragen“, sagte der Rektor der Vaihinger Robert-Koch-Realschule.

Ein Thron für die Autoren

Für die beiden Autorinnen war das Ambiente etwas Besonderes: „So etwas haben wir noch nie gemacht“, sagte Ponto. Denn zum alle zwei Jahre stattfindenden Lesefest wird die Sporthalle des Kinderhauses zum Literaturtempel mit Bücherwand und einem Thron für die Autoren umgebaut.

In diesem Jahr nehmen 2200 Schüler an den 70 Lesungen und Workshops teil. Die Jungen und Mädchen dürfen sich unter anderem auf Ingo Siegner, den Schöpfer des kleinen Drachen Kokosnuss freuen. „Das ist ein ganz grandiose Sache“, lobte daher auch Schirmherrin Dorit Loos, die Grand Dame der Stuttgarter CDU-Ratsfraktion. Das Lesefest, das bis 14. November dauert, biete einen „Gegenpol zum hektischen Medienkonsum unserer Zeit“. 30 000 Euro kostet die Veranstaltung, die eine Hälfte davon ist über Sponsoren abgedeckt, die andere durch Einnahme und aus dem Etat des Kinderhauses. Ein Mammutprojekt, das wächst und gedeiht. Nicht umsonst hat Huber die Internetseite lesefeste-stuttgart.de genannt.