Bei der nächsten Leser-Uni räumt der Tübinger Mediziner Gerhard Eschweiler mit Vorurteilen zum Thema "Depressionen" auf.
23.02.2010 - 07:19 Uhr
Stuttgart - Vier Millionen Menschen in Deutschland sind depressiv. Weltweit nimmt die Depression einen Platz im Spitzenfeld der häufigsten Krankheiten ein. Im Jahr 2020, so meinen Experten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird sie zum zweithäufigsten Krankheitsbild weltweit gehören. Doch in der Öffentlichkeit wird die Erkrankung kaum wahrgenommen und oft missverstanden.
Melden Sie sich hier zu Leser-Uni an. »
Dabei kann es jeden treffen und oft bricht die Depression in einen bis dahin gut funktionierenden Alltag ein. Die Betroffenen sprechen selten über ihr Leid: Noch immer ist das Thema schambesetzt. Mythen und Halbwahrheiten prägen den Umgang mit der Erkrankung in der Gesellschaft. Gerhard Eschweiler von der Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Tübingen wird in seinem Vortrag "Depressive Erkrankungen: Vom Einzelschicksal zur Volkskrankheit" erklären, was sich hinter diesem Leiden verbirgt, und damit so manche vorgefasste Meinung korrigieren.
Depression ist doch keine Krankheit
Depressionen wurden schon in der Antike als Krankheit unter dem Begriff Melancholia beschrieben. Dieses Leiden kann viele Symptome in unterschiedlicher Ausprägung umfassen: Typische Merkmale sind gedrückte Stimmung, Antriebsschwäche, Interessenlosigkeit, der Zwang zum Grübeln und Hoffnungslosigkeit. Betroffene leiden unter Konzentrationsstörungen, Appetitlosigkeit und Schlafmangel. Depressionen werden oft von diversen Ängsten begleitet und in schlimmen Fällen plagen die Betroffenen Suizidgedanken. Bei depressiven Menschen ist das komplizierte Gleichgewicht der Botenstoffe im Gehirn gestört. Nervenwachstumsfaktoren, die man etwa für das Lernen dringend braucht, sind reduziert. Hingegen ist der Pegel an Stresshormonen im Blut zu hoch.
Depressionen gehören zum Alltag
Angst, Trauer und Bestürzung sind wichtige menschliche Emotionen. Damit kann der Mensch einen Verlust verarbeiten und verkraften. Dauern diese psychischen Reaktionen allerdings zu lange, kann eine Depression folgen. Bei etwa 85 Prozent der Depressiven gibt es einen Auslöser wie etwa der Tod eines nahestehenden Menschen, der Verlust des Arbeitsplatzes, eine Krankheit oder Liebeskummer. Für nicht wenige Menschen jedoch kommt die Erkrankung wie aus heiterem Himmel, so kann beispielsweise die Zeitverschiebung bei einem Transatlantikflug den Transmitterhaushalt durcheinanderbringen mit der Folge einer Depression.
Depressionen sind selten
Das stimmt nicht. Depressionen sind längst zur Volkskrankheit geworden. 15 bis 20 Prozent der Deutschen müssen damit rechnen, im Laufe ihres Lebens an einer leichten Form zu erkranken. Diese depressive Verstimmung, die länger als 14 Tage anhält, muss nicht immer mit Medikamenten behandelt werden, oft reicht die Psychotherapie. Fünf Prozent der Bevölkerung leiden an mittelschweren Depressionen, die den Betroffenen so stark beeinträchtigt, dass er Schwierigkeiten hat, seinen privaten und beruflichen Alltag zu meistern. Neben dieser auch als unipolar bezeichneten Form gibt es die sogenannten bipolaren Depressionen. Dabei wechseln sich Phasen der Aussichtslosigkeit mit Hochstimmung ab. Diese, früher auch als manisch-depressiv bezeichnete Variante wird eher vererbt und trifft häufiger Männer als Frauen.
Mit Medikamenten wird alles wieder gut
Die Behandlung basiert zum einen auf der Psychotherapie, hier werden vor allem Verhaltensänderungen eingeübt. Zum anderen werden die Patienten medikamentös therapiert. Die Wahl des Medikaments richtet sich dabei nach der Schwere und Form der Depression und der Verfassung des Patienten. Antidepressiva helfen zudem dabei, einen Zugang zum Patienten zu bekommen. Sie machen nicht süchtig, im Gegensatz zu den oft zu lange verschriebenen Beruhigungsmitteln. Antidepressiva müssen auch weiter genommen werden, wenn sich die Symptome gebessert haben oder gar verschwunden sind. Damit wird ein Rückfall verhindert.
Junge Menschen sind nicht betroffen
Meist tritt die Erkrankung im dritten Lebensjahrzehnt erstmals auf, also bei jungen Erwachsenen. Es trifft mehr Frauen als Männer. Doch etwa die Hälfte der Fälle bleibt unbehandelt - weil die Erkrankung nicht erkannt wird oder der Betroffene diese nicht akzeptieren möchte und daher nicht darüber spricht.
Es gibt wichtige Faktoren, die eine Depression begünstigen: soziale Isolation, fehlende Lebensinhalte, geringer Selbstwert und Bewegungsmangel. Wer eine funktionierende Familie und Freundschaften hat, ist weniger gefährdet. Die Vereinsamung, vor allem auch im Alter fördert die negativen Gedanken. Regelmäßige Bewegung tut nicht nur dem Körper, sondern auch der Psyche gut.
Melden Sie sich hier zu Leser-Uni an. »
Hilfe findet man unter http://www.buendnis-depression.de/neckar-alb »