Der Physiker Jörg Wrachtrup behandelt Diamanten so, dass sie in Zukunft das Herz eines Quantencomputers werden könnten. Bei der Leser-Uni der StZ berichtet er von seiner Arbeit.

Stuttgart - Viele Jahrzehnte haben Physiker gebraucht, bis sie mit Hilfe aufwendiger Experimente verstanden haben, nach welch merkwürdigen Regeln die Welt der Atome und Moleküle funktioniert. Sie waren Beobachter, die der Quantenwelt zuschauten, um sie besser zu verstehen. Inzwischen können die Physiker sich vieles erklären – so vieles, dass Jörg Wrachtrup und seine Mitarbeiter am 3. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart vom Beobachten zum Gestalten übergehen konnten. „Wir interessieren uns für verschiedene experimentelle Aspekte der Quantentechnologie“, sagt Wrachtrup. „Wir versuchen, einen Festkörper Atom für Atom möglichst präzise aufzubauen und dabei bestimmte quantenphysikalische Eigenschaften herzustellen.“

 

Gelingt das, dann wird der selbst geschaffene Quantenzustand nach Möglichkeit stabilisiert, damit man ihn beobachten kann. Und dann suchen die Physiker nach Möglichkeiten, diesen Effekt nutzbar zu machen. Eine Nutzanwendung könnte zum Beispiel eines Tages der Quantencomputer sein. Dieser ist Thema in Wrachtrups Vortrag bei der Leser-Uni: „Der Quantencomputer – wie funktioniert die Informationstechnik der Zukunft?“

Lücken im Kristall

Ein wichtiger Werkstoff für Wrachtrup und seine Mitarbeiter ist Diamant. In zwei Millimeter kleine Scheibchen schießen sie Stickstoffatome. Diamant ist eine sehr stabile Kristallstruktur aus Kohlenstoff. Durch den Beschuss wird darin ab und zu ein Kohlenstoffatom durch ein Stickstoffatom ersetzt. Wenn daneben auch noch eine Lücke im Kristall entsteht, sind die Wissenschaftler am Ziel: In dieser Kombination aus Stickstoffatom und Lücke lässt sich ein Elektron einfangen. Und dieses verhält sich dort wie eine Kompassnadel in einem Magnetfeld: Es kann zwischen zwei Zuständen hin- und herkippen, Zeiger nach oben, Zeiger nach unten; wissenschaftlich formuliert: Spin up und Spin down.

Zwei Zustände hat auch eine Speicherstelle in einem Computer: Ein Bit hat den Wert 1 oder 0. Die Stuttgarter Physiker arbeiten daran, mehrere solcher Quantenbits (Q-Bits) kontrolliert in Diamant einzubauen. Wenn das gelingt, ist ein grundlegender Schritt zum Quantencomputer getan – und auch noch zu einem, der nicht nur bei extrem tiefen Temperaturen funktioniert, wie das in anderen Labors der Fall ist.

Atomuhren und Quantencomputer

So ein Quantenzustand reagiert allerdings höchst sensibel auf Störungen von außen. Das ist eine Herausforderung für die Physiker – aber es kann auch höchst nützlich sein. In Wrachtrups Institut werden nämlich die sensiblen Magnetischen Momente der eingebauten Elektronen auch als extrem empfindliche Sensoren genutzt. Wrachtrup nennt Beispiele: Die Struktur komplexer Proteinmoleküle lässt sich mit Hilfe der feinen Magnetsensoren aufklären. Sogar auf das Magnetfeld der Erde können sie reagieren, weshalb Wrachtrup sich vorstellen kann, dass einer der winzigen Sensoren, in Elektronik integriert, zur Navigation auch ohne GPS dienen kann.

Weitere Anwendungen sind extrem präzise Atomuhren, und mit Kollegen anderer Unis arbeiten Wrachtrup und sein Team an einer Verbesserung der Kernspintomografie, die es zum Beispiel möglich machen soll, einzelne Krebszellen zu erkennen. Der Vorteil der Technik sei, so Wrachtrup, dass Diamant völlig ungiftig sei und die winzigen runden Diamantkristalle auch keine Schäden in Zellen anrichteten, anders als etwa fadenförmige Kohlenstoffmoleküle.

„Wir untersuchen vielfältige Anwendungen von robusten, sehr kleinen und ungiftigen Markern, die man über lange Zeiträume nachweisen kann“, fasst Wrachtrup zusammen. Der Quantencomputer fällt da ein wenig aus dem Rahmen. Denn selbstverständlich darf der nicht empfindlich wie ein Sensor auf seine Umgebung reagieren. Gut abgeschirmt könnte in seinem Inneren aber auch ein Herz schlagen, das im Wesentlichen aus einem winzigen Diamanten mit kleinen Fehlstellen besteht.

Zur Person Jörg Wrachtrup

Quantenphysiker: Jörg Wrachtrup ist seit zwölf Jahren an der Uni Stuttgart. Er leitet dort das 3. Physikalische Institut und zurzeit auch kommissarisch das Institut für Theoretische und Angewandte Physik. Sein Thema hat der gebürtige Westfale als Doktorand gefunden. Zum Studieren und Promovieren ging er an die Freie Universität Berlin. Während der Doktorarbeit verbrachte er ein Jahr in Bordeaux, wo Pionierarbeit in der Quantenphysik einzelner Moleküle in Festkörper geleistet wurde. Mit dem 1994 errungenen Doktortitel ging der heute 50-Jährige nach Chemnitz, und von dort erreichte ihn der Ruf aus Stuttgart.

Ehrungen:In den letzten Jahren ist Jörg Wrachtrup mit hohen Auszeichnungen geehrt worden. 2010 erhielt er einen der begehrten „Advanced Grants“ des Europäischen
Forschungsrats (ERC). Dieses Stipendium, das an etablierte Forschergruppen verliehen wird, ist mit 2,5 Millionen Euro aus EU-Töpfen dotiert. 2012 folgte der wichtigste deutsche Forschungspreis, der Förderpreis im Gottfried Wilhelm Leibniz-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft, ebenfalls im Wert von 2,5 Millionen Euro.

Anmeldung zur Leser-Uni

Vorträge: Die Leser-Uni beginnt am Freitag, 13. Juli 2012, um 18.00 Uhr an der Universität Hohenheim, Garbenstraße 30, im Hörsaal B3. Wie immer sprechen zwei Referenten, dieses Mal über Themen aus der Medizin und Physik. Der Mediziner und Humangenetiker Olaf Rieß vom Institut für Medizinische Genetik der Universität Tübingen berichtet über „Gentests für alle: Notwendig oder gefährlich?“ Als zweiter Referent widmet sich der Physiker Jörg Wrachtrup vom 3. Physikalischen Institut der Universität Stuttgart den experimentellen Ansätzen der Quantentechnologie: „Der Quantencomputer – wie funktioniert die Informationstechnik der Zukunft?“, lautet sein Vortrag.

Karten: Der Eintritt zur Leser-Uni ist frei. Interessierte Leser können sich bis einschließlich Mittwoch, 20. Juni 2012, telefonisch unter der Telefonnummer 0 13 79/88 89 15 anmelden (0,50 Euro pro Minute aus dem deutschen Festnetz, abweichende Preise sind aus dem Mobilfunknetz möglich). Karten können auch über das Internet bestellt werden (siehe Formular unten). Die Teilnehmer werden ausgelost und in den kommenden Tagen schriftlich informiert.