Leser-Uni mit Joachim Wittbrodt Warum Designerbabys utopisch sind

Joachim Wittbrodt erklärt, was gentechnisch möglich ist – und was nicht. Foto: Lichtgut/Achim Zweygarth

Die neue Gentechnik Crispr-Cas könne die medizinischen Möglichkeiten revolutionieren, heißt es immer wieder. Joachim Wittbrodt von der Uni Heidelberg klärte bei der Leser-Uni, ob das stimmt.

Stuttgart - Es ist den Menschen in den nächsten 20 Jahren nicht möglich zu verbessern, was die Evolution in vier Milliarden Jahren vollbracht hat“, sagte Joachim Wittbrodt als Fazit seines unterhaltsamen und informativen Vortrags bei der Leser-Uni mit dem Thema „Designerbaby: Wunsch und Wirklichkeit“. Auch mit neuen, revolutionären Methoden der Gentechnik sei eine gezielte und gleichzeitige Veränderung vieler Merkmale utopisch, also das Herstellen von Wunscheigenschaften, so der Genetiker, der an der Uni Heidelberg das Zentrum für Organismusstudien (COS) gegründet hat.

 

Was macht denn ein Individuum so einzigartig und jeden Menschen zu dem, was er ist? Für diese Frage haben Wissenschaftler verschiedener Disziplinen unterschiedliche Antworten – der Genetiker sagt, der Mensch ist die Summe seiner Gene, der Erziehungswissenschaftler hält den Einfluss der Umwelt und die Erziehung für relevant. Auch der Lebensstil, wie etwa die Ernährung, hat einen nicht geringen Einfluss auf die Entwicklung. „Letztlich spielen viele Faktoren eine Rolle, nicht zu vergessen der Zufall“, erklärt Wittbrodt. Betrachte man nur einen Faktor isoliert und schaue beispielsweise auf das Erbgut, dann zeige sich: „Nur fünf Prozent des gesamten Genoms sind bekannt, 95 Prozent sind dunkle Materie“, so der Wissenschaftler. Stelle man sich das Erbgut als das Buch des Lebens vor, so müsse man hauptsächlich zwischen den Zeilen lesen. Das jedoch sei nicht möglich: „Wie soll man also dieses Buch des Lebens umschreiben, wenn man nur fünf Prozent davon lesen kann und der Rest unverständlich bleibt? Frei nach dem Motto: Ich verstehe zwar nur fünf Prozent, aber ich mache es besser.“

Revolutionäre Gentechnik

Es sei somit nicht möglich, ein Designerbaby mit starken Muskeln und vielen Begabungen zu züchten, aber die neue Methode Crispr-Cas sei für Grundlagenforschung revolutionär. Diese neue Technik, die vor einigen Jahren durch Zufall entdeckt wurde, hat die gesamte Biotechnologie in weniger als zehn Jahren umgekrempelt. Sie ist so günstig, präzise und schnell wie keine andere Gentechnik. Mit diesem Verfahren ist es möglich, im Erbgut Bausteine gezielt aufzuspüren und wie mit einer Schere aus der DNA auszuschneiden und andere Bausteine einzusetzen. Durch Crispr ist das Umschreiben des genetischen Codes fast so einfach geworden wie das Bearbeiten eines Word-Dokuments mit „Suchen und Ersetzen“. Ein Gen kann exakt an einer Stelle der DNA gefunden werden – allerdings klappt das mit dem Ersetzen noch nicht: „Man kann zu 99 Prozent den richtigen Schnitt setzen, aber nur zu einem Prozent an dieser Stelle auch eine genetische Veränderung dauerhaft anbringen“, erklärt Wittbrodt.

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In der Grundlagenforschung macht es die Methode jedoch möglich, den genetischen Bauplan im Detail zu erforschen und zu untersuchen, wie sich bestimmte Eigenschaften entwickeln – auch hinsichtlich des Einflusses der Umwelt, der Ernährung und anderer Faktoren. Wittbrodt und sein Team untersuchen dazu Fische aus Reisfeldern in Japan. So könne man sich die Herzfrequenz der Fische anschauen und wie sich der Herzschlag verändere bei unterschiedlichem Körperbau und verschiedenen Umwelteinflüssen.

Noch ist keine Behandlung möglich

Man sucht nach möglichen genetischen Kandidaten in den DNA-Bausteinen, die auch beim Menschen eine Rolle bei der Herzfunktion spielen könnten – allerdings zunächst um des reinen Wissens willen, um zu verstehen, wie sich Funktionen entwickeln. Denn noch ist mit Crispr-Cas bei komplexen Krankheiten wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Krebs keine Behandlung möglich, also bei Erkrankungen mit großer gesellschaftlicher Relevanz. Dies vor allem deshalb, weil sie nicht nur durch einen einzigen Defekt im Erbgut verursacht werden, sondern durch zehn, zwanzig oder Hunderte.

Vorstellbar ist jedoch die Therapie bei monogenetischen Erkrankungen. Dies sind Erbkrankheiten, die auf die Mutation in nur einem einzigen Gen zurückgehen. Bisher scheiterte der Austausch einzelner defekter oder nicht vorhandener Gene in der Gentherapie am groben genetischen Werkzeug. Das ändert sich mit Crispr-Cas.

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