Der Stuttgarter Physiker Jörg Wrachtrup arbeitet am Quantencomputer für den Schreibtisch. Das Speichermaterial der Zukunft könnte der Diamant sein.

Stuttgart - Mit dem Quantencomputer ist zu rechnen. Zwar ist selbst unter Physikern noch umstritten, ob solch ein Rechengerät einmal in großem Maßstab funktionieren wird. Erste Entwicklungen stellte Jörg Wrachtrup von der Universität Stuttgart indes bei der Leser-Uni der Stuttgarter Zeitung am Freitagabend vor. Zwar umfasst so ein Quantencomputer derzeit nur rund 14 sogenannte Quantenbits (Qubits), füllt einen großen Laborraum und muss von einem Physikerteam akribisch betreut werden; doch – und hier ist die Analogie verblüffend – in den 1940er und 1950er Jahren sah es bei den ersten Computern genauso aus. Sie bestanden aus großen Röhren, und Mitarbeiterinnen mussten mechanisch Schalter umlegen. Der erste Magnetdatenspeicher hatte die Größe eines Kinderbaumhauses. Und tatsächlich saß auch ein Mitarbeiter zur Bedienung in der Festplatte drin.

 

Die Anfänge der Computerei muten heute wie ein Kabinett technischer Kuriositäten an. Das Smartphone in der Hosentasche hat deutlich mehr Rechenkraft wie der „Großraumrechner“ oder der Nasa-Bordcomputer der Mondlandefähre vergangener Jahrzehnte. Und die Entwicklung geht weiter. „Vielleicht haben wir auch bald einen Quantenlaptop auf dem Schreibtisch stehen“, sagt Wrachtrup. Nun haben sich die Menschen an immer weitere Fortschritte bei Computern, dem Internet und der mobilen Kommunikation gewöhnt. Da stellt sich die Frage, was bringt so ein Quantencomputer prinzipiell Neues. Der Physiker gibt ein einfaches Beispiel: „Bei einer Suchanfrage etwa über Google wird nacheinander jede gespeicherte Webseite nach dem Suchbegriff durchkämmt. Der Quantencomputer durchsucht alle Webseiten gleichzeitig.“

Diese extreme Parallelität des Rechnens zählt zu den Besonderheiten des Quantencomputers. Jedes Qubit zusätzliche Rechenkapazität steigert die Geschwindigkeit exponentiell. Damit lösen die neuen Rechner ein fortwährendes Problem im Informationszeitalter. Die Computer müssen leistungsfähiger und schneller und somit auch kleiner werden. Würde man die Miniaturisierung der vergangenen Jahrzehnte fortschreiben, käme man in 15 Jahren bei der Größe eines Atoms an – und wäre genau da, wo der Quantenphysiker Wrachtrup jetzt forscht: in der Welt der Atome und Quanten. Auch zwei andere Probleme löst nach Ansicht des Physikers der Quantencomputer: den Energieverbrauch und die Sicherheit.

Waren erste Mikrochips gerade mal handwarm, so werden sie heutzutage heißer als Herdplatten und müssen aufwendig  über  Luft-  oder  Wasserkühlung  auf Arbeitstemperatur gehalten werden. Längst sind die Kühlräume der Serverfarmen etwa von Google, Facebook oder Amazon größer als die eigentlichen Rechnerräume. Der Quantencomputer erzielt seine Rechenleistung durch die Parallelität der Berechnungsmöglichkeiten.

Das Thema Sicherheit beim Quantencomputer hat zwei Seiten: Zum einen sind gängige Verschlüsselungsverfahren, etwa die bei Kontotransaktionen, leichter zu knacken. Um den 1024 Bit langen Code für ein Bankkonto zu entschlüsseln, braucht ein Hacker hochgerechnet 100 Jahre. Der Quantencomputer hätte theoretisch alle Kombinationen in Tagen bis Wochen durchprobiert. Doch noch stecken Quantencomputer in den Kinderschuhen, sie sind zu leistungsschwach und zu teuer für Spielereien mit dem Paypal-Konto.

Andererseits kann die Quantenphysik den Datenaustausch auch sicherer machen, da aufgrund bestimmter quantenphysikalischer Prinzipien das Abhören von Informationen unmöglich ist oder eben sofort auffliegt. Die Interpretation der Quantenphysik überlassen die Physiker meist den Philosophen. Die Naturwissenschaftler interessieren sich für die Gleichungen. Und die besagen beispielsweise, dass ein Quantencomputer mit 300 Qubit theoretisch so viele Informationen prozessieren kann, wie es Atome im Universum gibt.

Davon ist die Forschung noch weit entfernt. Der Weltrekord eines Innsbrucker Forscherteams um den Physiker Rainer Blatt liegt heute bei 14 Qubit. Wrachtrup und sein Team vom 3. Physikalischen Institut der Universität stehen derzeit bei neun Qubit. „Das ist lausig wenig“, erklärt Wrachtrup. Doch fühlt er sich auf dem richtigen Weg. Denn während konkurrierende Arbeitsgruppen einzelne, geladene Atome bei tiefen Temperaturen und im Hochvakuum einfangen und zu einem Quantencomputer zusammenfügen, setzt Wrachtrup auf Diamant. „Der Quantencomputer der Zukunft besteht ganz sicher aus diesem Material“, ist der Physiker überzeugt.

In dem regelmäßigen Diamantkristallgitter erzeugen die Forscher durch Stickstoffbeschuss gezielt Defekte. Ein Stickstoffatom verdrängt ein Kohlenstoffatom von dessen Gitterplatz. Der Stickstoff gibt dem Diamanten einen rötlichen Schimmer. Findet sich noch eine Fehlstelle, ein Loch, in der Nachbarschaft, so kann der Stickstofflochdefekt ein Elektron binden. Dieses gebundene Elektron können die Forscher mit einem Laser manipulieren – es repräsentiert das Qubit. In einem europäischen Forschungsprojekt wollen die Forscher die Zahl der miteinander verbundenen Qubits im Diamantplättchen immer weiter steigern. Bei einer Zahl von 20 hätten sie eine kritische Größe erreicht. Damit könne man schon gut rechnen, sagt Wrachtrup. Der Vorteil des Diamanten ist auch, dass sich die Defekte und die Qubits im Material sehr stabil verhalten. Daher funktioniert das Quantenprinzip auch bei Raumtemperatur. Gespannt verfolgte das Publikum, dass sich Wrachtrup auch sonst als Fachmann für Diamanten erwies. Kleine Kostproben, künstlich erzeugt, hatte er sogar in Form eines 1/4 Karäters dabei.