Faszinierende Produkte aus den Tiefen der Meere zeigte der Stuttgarter Biologe Franz Brümmer den Teilnehmern der Leser-Uni. Der Neurowissenschaftler Mathias Jucker aus Tübingen schilderte die enormen Schwierigkeiten, die Alzheimer-Krankheit zu verstehen.

Stuttgart - Franz Brümmer vom Institut für Biomaterialien und biomolekulare Systeme an der Uni Stuttgart ist Biologe und wissenschaftlicher Taucher. Um den Zuhörern der Leser-Uni anschaulich zu zeigen, was erforderlich ist, um in diesen Tagen die Steilwände des Bodensees bei Überlingen zu erkunden, hat er seine Ausrüstung in den Hörsaal mitgebracht: Funktionsunterwäsche, Taucheranzug und Pressluftflaschen. Und er zeigt im Laufe seines Vortrags immer wieder faszinierende Unterwasserbilder, von denen er viele selbst bei seinen zahlreichen Tauchgängen aufgenommen hat.

 

Auch biologisches Anschauungsmaterial hat er mitgebracht, unter anderem Schwämme mit unglaublich filigranen Gerüsten, Muscheln mit glänzendem Perlmutt, Seeigel mit festen, aber extrem leichten Stacheln – und als Krönung eine sehr seltene, rund einen Meter lange und glasartig durchsichtige Faser eines Tiefseeschwamms. Die Faser hat es in sich: Sie leitet Licht und lässt sich zu einer Öse biegen, was Brümmer aber nicht an „seiner“ Faser, sondern per Videofilm demonstrierte. Besonders beeindruckend ist, dass man die Schlinge ziemlich klein zuziehen kann, bis die Faser bricht. Und auch dann geht sie nicht völlig kaputt, sondern bricht nur teilweise, sodass auch weiterhin Licht durchgeleitet wird. Eine vom Menschen hergestellte Glasfaser kann da nicht mithalten.

In diesem Video ist der Vortrag des Materialwissenschaftlers Franz Brümmer dokumentiert.

Immer wieder versteht es Brümmer, seine Begeisterung für die vielfältigen Erfindungen der Natur auf die Hörer zu übertragen. So zeigt er in einem weiteren Video, wie ein Fangschreckenkrebs eine hammerförmige Vorrichtung extrem schnell auf die Schale einer Muschel knallen lässt – mit 82 Stundenkilometer sei dies die schnellste Bewegung im Tierreich, betont der Biologe. Für die Materialwissenschaftler ist natürlich besonders interessant, wie dieser Apparat beschaffen sein muss, um die harte Muschelschale zu knacken. Und wie das Material die Kräfte beim Aufprall aushält, ohne selbst zertrümmert zu werden.

Auch das Perlmutt der Muscheln ist für die Materialforscher eine Herausforderung. Inzwischen haben sie den Aufbau ganz gut rekonstruiert: eine Art Backsteinwand aus Aragonit, einem Calziumcarbonat, und einer Fugenmasse aus organischem Material. In gewisser Weise lassen sich ähnliche Strukturen mit Titanoxid und organischen Polymeren erstellen. „Doch es ist verdammt schwierig, das Ganze nachzubauen“, gibt der Biologe zu bedenken.

Alzheimer-Krankheit: ein Rätsel seit hundert Jahren

Während Franz Brümmer seinen Vortrag beendet, ist immer noch der große Badeschwamm im Hörsaal unterwegs, den Brümmer als Anschauungsmaterial durch die Reihen geschickt hat. Darauf nimmt Mathias Jucker Bezug, als er über die Alzheimer-Krankheit berichtet: Sie führt dazu, dass sich Teile des Gehirns in schwammförmige Strukturen verwandeln. Der Neurowissenschaftler vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung der Uni Tübingen forscht in der Stadt, in der die Krankheit erstmals beschrieben wurde: Vor etwas mehr als 100 Jahren hat Alois Alzheimer im Hörsaal der Tübinger Psychiatrie über „eine eigenartige Erkrankung der Hirnrinde“ berichtet. Und er hat Fotos gezeigt vom Gehirn einer Patientin mit Löchern und merkwürdigen Klumpen.

„Auch nach 100 Jahren weiß man noch nicht grundlegend viel über die Erkrankung. Und heilen kann man sie auch nicht“, sagte Jucker. Dafür gebe es Gründe: Früher habe das Altersleiden die Forscher nicht interessiert, weil die Menschen nicht alt genug wurden, um die Krankheit zu bekommen. Denn Alzheimer sei ein Altersleiden, betont Jucker, wobei Frauen grundsätzlich häufiger betroffen seien als Männer. Zudem fehlte lange Zeit ein Tiermodell für die Untersuchung des Hirnleidens. Erst als man einen bestimmten genetischen Defekt gefunden hatte, konnte man diesen in das Erbgut von Mäusen übertragen und hatte so ein Tiermodell für die Forschung.

Wenn man von Genen und Alzheimer spricht, muss man klar zwischen der sogenannten sporadischen Form, die jenseits des 65sten Lebensjahres auftritt, und der sehr seltenen genetisch bedingten Variante unterscheiden, die durch einen bestimmter Gendefekt verursacht wird. Die Betroffenen erkranken teilweise schon mit 30 Jahren und geben ihren Gendefekt an ihre Nachkommen weiter. Jucker untersucht auch diese erbliche Variante und arbeitet seit 2012 mit seinem Team in einem internationalen Netzwerk mit, das 2008 in den USA gegründet wurde. Es geht dabei darum, Faktoren zu erkennen, die auftreten, lange bevor die Krankheit ausbricht. „Denn das ist das Problem bei der Erkrankung. Wir sehen immer nur das Endstadium. Eine Therapie kann dann nichts mehr bringen, denn die Nervenzellen sind schon tot“, berichtete der Tübinger Zellbiologe. Alzheimer beginne 20 bis 30 Jahre, bevor sich die ersten Veränderungen im Gehirn zeigen, die man beispielsweise mit bildgebenden Verfahren auch erkennen kann.

Was kann man also schon in jungen Jahren tun, um das Leiden aufzuhalten? „Es hat sich gezeigt, dass soziale Faktoren eine große Rolle spielen. Daher ist es wichtig, das Netzwerk sozialer Beziehungen aufrecht zu erhalten. Man muss spüren, dass man für etwas da ist, dass man einen Beitrag in der Gesellschaft leistet“, sagte Jucker. Zudem helfe regelmäßige Bewegung und gute Schulbildung. Dass letzteres einen positiven Einfluss habe, könnte einerseits daran liegen, dass solche Menschen das Leiden vielleicht etwas länger verbergen, etwa mit Erinnerungszetteln. Andererseits könnte ein gut vernetztes Gehirn der Zerstörung länger standhalten. Schließlich könnte auch ein Gläschen Rotwein – nicht aber eine Flasche – schützend wirken. Was die Leser bei der Leser-Uni nach den beiden spannenden Vorträgen im Euroforum der Uni Hohenheim auch gerne in die Tat umgesetzt haben.