Die StZ hat ihre Leser erneut zu zwei hochkarätigen Vorträgen eingeladen: Volkskrankheit Allergie und die Vulkanasche.

Stuttgart - Als der Tübinger Klinikarzt Tilo Biedermann auf ein kräftiges "Hatschi" aus dem Zuhörerraum mit einem spontanen "Gesundheit" reagierte, da war endgültig der Ton gesetzt für eine lebendig-witzige Lehrstunde in Sachen Allergie und Immunsystem.

Biedermann verstand es auf eine einprägsame Weise, einer für den Alltag äußerst lästigen und belastenden chronischen Krankheit den Schrecken zu nehmen, ohne sie auch nur im Geringsten zu verharmlosen. Aus seiner täglichen Praxis als Oberarzt und als Wissenschaftler an der Tübinger Universitäts-Hautklinik weiß er, dass im Extremfall eine allergische Reaktion, zum Beispiel auf Medikamente, sogar zu einem lebensgefährlichen Schock führen kann.

Allergien entstehen durch Kontakte


Kein Mensch komme mit einer ausgeprägten Allergie auf die Welt, erläuterte Biedermann. Sie werde im Laufe eines Lebens erst durch Kontakte erworben. Allerdings machte er einen feinen Unterschied: Es komme dabei auch auf die jeweilige Neigung zu allergischen Reaktionen an, die der Mensch als genetische Ausstattung mitbekommen habe. Die Gene bestimmten mit, warum der Eine eher eine Allergie entwickelt als der Andere. So liege die Wahrscheinlichkeit für eine solche Neigung, wenn beide Eltern Allergiker seien, bei siebzig Prozent, bei einem betroffenen Elternteil bei dreißig und ohne erbliche Vorbelastung bei zehn Prozent.

Die entscheidenden Weichen für die Ausbildung einer Allergie stellt dabei das hochdifferenzierte Immunsystem. Seine Ausstattung und Mechanismen entscheiden darüber, ob an sich ungefährliche Fremdstoffe wie Pollen vom Körper toleriert werden oder der Kontakt mit ihnen zu einer überschießenden Reaktion führt.

Heute hat man wissenschaftlich weitgehend verstanden, dass auf den komplizierten Bahnen des Immunsystems über viele Stationen hinweg irgendwann der Hebel umgelegt wird, eine Allergie entsteht. Wenn sie einmal mit Informationen gefüttert sind, erkennen die "gut genährten" Mastzellen dann die Allergene immer wieder und verleiten den Körper "zu falschen Reaktionen".

Nahrungsmittelallergien können sich zurückbilden


Allein die Reaktionen von fünf bis zehn solcher Mastzellen können eine allergische Wirkung bereits spürbar machen. Doch der 44-jährige Tübinger Spezialist räumte ein, dass in diesen fein ausgesteuerten Prozessen noch nicht alles bekannt sei und enormer Forschungsbedarf weiterhin bestehe - erst recht da Allergieerkrankungen in Westeuropa seit einigen Jahrzehnten auf dem Vormarsch seien.

Warum das so ist, wisse man zwar noch nicht genau, sagte Biedermann. Doch Untersuchungen kurz nach dem Fall der Mauer legten nahe, dass die frühzeitige Auseinandersetzung des kindlichen Organismus mit Fremdstoffen dabei eine wichtige Rolle spielen könnte. In "Kinderkrippen" kamen die Kleinen stärker mit Infektionskrankheiten in Kontakt. Auf die Frage, was man tun müsse, um den Trend umzukehren, verwies Biedermann auf alte Forderung Ursula von der Leyens: Die frühere Familienministerin hatte vor drei Jahren 500.000 neue Krippenplätze gefordert.

Eine im Säuglingsalter auftretende Nahrungsmittelallergie kann sich in den ersten Jahren allerdings noch zurückbilden. Überhaupt machte Biedermann den Zuhörern Mut, dass man heute gut mit einer solchen Belastung umgehen könne. Zwar seien bei etwa 20.000 auslösenden Faktoren die Ausprägung von allergischen Reaktionen vom Heuschnupfen bis zur Medikamentenallergie äußerst vielfältig, doch stünden Allergologen heute ein breites Spektrum von verbesserten Möglichkeiten zur Verfügung, um mit den Folgen umzugehen.