Die Auswirkungen von Putins Angriff auf die Ukraine sind in allen Bereichen spürbar, ein Ende der Belastungen ist nicht in Sicht. Die Mitglieder des Leserbeirats erwarten, dass die Stuttgarter Zeitung darauf achtet, ob die Lasten fair verteilt werden.

Zu den diesjährigen Kandidaten für das Wort des Jahres oder das Unwort des Jahres zählt Armin Käfer den Begriff „Verunsicherung“. Schon die vielen Flüchtlinge 2015 und Corona hätten Deutschland vor gewaltige Herausforderungen gestellt, sagt der Politikautor beim Herbsttreffen des Leserbeirats. Mit Putins Krieg gegen die Ukraine sei die Krise inzwischen zum Normalzustand geworden. Inflation, Energienot und andere Lieferengpässe sowie die wachsende Zahl von Schutzsuchenden seien schwierig zu bewältigen, erst recht von einer nie da gewesenen Ampelkoalition, die in vielen Fragen zerstritten ist – und in der alle Regierungspartner Positionen aufgeben müssten, deretwegen sie gewählt wurden. Dazu kommt noch Kritik an den Medien selbst – es gebe zu wenig Aufklärung, zu viel Mainstream.

 

Aus Schuldenkrise nichts gelernt

Leser Andreas Bauer setzt den Beginn der Krise noch früher an. Die Politiker hätten es seit der Staatsschuldenkrise 2009 versäumt, Methoden zu entwickeln, um mit solchen Erschütterungen umzugehen und die Bevölkerung dabei mitzunehmen. Deshalb reagierten sie wie Getriebene, die vor allem ihre Wähler im Blick hätten, und seien oft unfähig, strukturiert und nachhaltig vorzugehen. Die Auseinandersetzungen zwischen Wirtschaftsminister Habeck (Grüne) und Finanzminister Lindner (FDP) verunsicherten die Menschen ebenso wie das Kompetenzgerangel zwischen Bund, Ländern und Kommunen oder in der EU. Von der Zeitung erwartet Bauer, dass sie ausgewogen über die politischen und gesellschaftlichen Debatten informiert, aber auch gut filtert und Extremisten keinen Raum zur Selbstdarstellung gibt.

Chancen nutzen

Doris Helzle sind die unterschiedlichen Meinungen in Kommentaren und Leserbriefen sehr wichtig. Verschiedene Sichtweisen wahrzunehmen tue dem Hirn sehr gut, sagt die Leserin, die in der Erwachsenenbildung tätig ist. Krisen seien Teil der Menschheitsgeschichte. Bürger sollten nicht nur klagen, sondern auch ihre Chancen nutzen. Durch ihr Verbraucherverhalten etwa könnten sie viel für – oder gegen – die Klimakrise tun.

Das sieht Andrea Asche ähnlich. Während der Coronapandemie hätten sich neue Formen der Nachbarschaftshilfe entwickelt. Sie hofft, dass die Anspruchshaltung und der Wettbewerb um immer mehr, höher, weiter ein Ende finden. Die Ressourcen seien begrenzt und dürften nicht weiter verschwendet werden, zum Beispiel für immer größere Autos. „Wir müssen unseren Wohlstand anders organisieren.“

„Fette Jahre sind vorbei“

Leserin Cornelia Foerster ist davon überzeugt, dass für wegfallende Arbeitsplätze in der Fahrzeugindustrie neue entstehen. „Herausforderungen setzen auch Energie in den Köpfen frei.“ Sie beobachtet zwar vielerorts ein Auseinanderdriften, stellt aber auch fest, dass die Menschen zusammenrücken. Und sie wünscht sich, dass die Medien mehr über Aktionen von Solidarität berichten.

„Die sieben fetten Jahre sind vorbei, nun müssen wir uns auf sieben magere Jahre einstellen“, meint Jutta-Beate Schmidt. Deutschland habe sich zu sehr von anderen Ländern abhängig gemacht, auch von China. Das berge weitere Gefahren.

Bangen um Arbeitsplätze

Ein schwieriges Thema für das exportorientierte Baden-Württemberg. Viele gut bezahlte Arbeitsplätze würden verloren gehen, wenn die Zusammenarbeit beendet würde, wirft Chefredakteur Joachim Dorfs ein. Mit unabsehbaren Folgen. „Unser Wohlstand ist davon abhängig.“

„Wir müssen uns der Blase bewusst sein, in der wir leben“, erklärt Vizechefredakteurin Anne Guhlich. „Wir dürfen nicht an der Lebenswirklichkeit von Menschen vorbeigehen, die deutlich weniger gutgestellt sind.“ Diese empfänden es als zynisch, wenn von Krise als Chance gesprochen werde.

Keine Bevormundung

Leser Christoph Scharf wünscht sich eine kritischere Auseinandersetzung damit, wer welche Unterstützung erhalten soll. Unternehmen, die Coronahilfen in Anspruch genommen hätten und später Dividenden ausschütteten, seien nicht die ersten Adressaten. Bäckern und andere Handwerksbetrieben müsse geholfen werden. „Und wir dürfen nicht diejenigen aus dem Blick verlieren, für die Knappheit schon immer ein Thema war.“ Ihn stört, wenn Politiker und auch Journalisten fortlaufend Tipps geben, wie etwa Energie gespart werden kann. „Das ist zwar gut gemeint, aber oft klingt es von oben herab und bevormundend.“

Im Gespräch mit den Lesern

Leserbeirat
 Seit 2014 hat die Stuttgarter Zeitung einen Leserbeirat. Zweimal im Jahr diskutieren die 13 Männer und Frauen mit Mitgliedern der Redaktion über das Blatt und bringen ihre Kritik und Wünsche ein.

Themen
 Bei den Treffen steht jeweils ein Thema im Mittelpunkt – zuletzt waren das Wahlen, Hass und Hetze auch gegenüber den Medien sowie der Umgang der EU mit dem Krieg in der Ukraine.