Sein krimineller Heimatroman „Alter Schnee“ sein keine Abrechnung, betont Cornelius Wandersleb. Doch bei einer Lesung am 17. April in Schorndorf dürfte Zuhörern manches bekannt vorkommen, denn er zeichnet das Bild einer typischen schwäbischen Kleinstadt.

Schorndorf - Nein, sein Buch „Alter Schnee“ sei keine Abrechnung, sagt Cornelius Wandersleb, der Leiter des Waiblinger Kulturhauses Schwanen. „Literatur kann nicht abrechnen. Sie kann nur darstellen. Eine Geschichte so zu erzählen versuchen, dass sie genauso gut hätte wahr sein können. Wenn dann manche Personen manchen Lesern lächerlich erscheinen – dann ist es halt so.“

 

Wenn Wandersleb am 17. April von 20 Uhr an im Schorndorfer Figurentheater Phoenix (0 71 81/93 21 60) aus seinem kriminellen Heimatroman liest, ist das ein Heimspiel. Denn das Phoenix hat seinen Sitz in der Barbara-Künkelin-Halle – einem Gebäude, dessen Planung und Bau das Buch mit angeregt haben. Es taucht dort zwar nur eine „Klingensteinhalle“ auf, aber der Streit um das geplante Bauwerk, der die Bürgerschaft der Stadt Walchgoldingen in Hallenkritiker und -befürworter spaltet, den hat Wandersleb nicht erfinden müssen. Er hat stattgefunden, Wandersleb war mitten drin und hat eine Sammlung mit Flugblättern und Artikeln aus der Zeit.

Der Hallenstreit ist kein Unikat

Zusammenhängend aufgeschrieben habe die Geschichte all die Jahre niemand, sagt Wandersleb, dem das ein Anliegen war. Aber nicht in Form einer (Lokal-)Geschichtsschreibung, dafür sei er nicht der Typ. Sondern in Form eines Romans. Darin könnten sich auch Auseinandersetzungen andernorts spiegeln. Der Hallenstreit sei ja kein Unikat. Vielerorts gehe es darum, dass in einer Bürgerinitiative aktive Leute von Verwaltungen oder Räten als Diskussionspartner auf Augenhöhe gesehen werden wollten – und darum kämpfen müssten.

Den Kampf um die Schorndorfer Halle hat Wandersleb in einem Erzählstrang verarbeitet, im wahren Leben gab es, anders als im Buch, keine Mordopfer in den Reihen der Bürgerinitiative. Es seien in Schorndorf auch keine Gelder verschoben worden, um die Höhe der Baukosten zu verschleiern. „Wahrscheinlich“, setzt er hinzu. Und dann: „Vielleicht. Vielleicht doch.“

Der Mord in „Alter Schnee“ hat letztlich nur sehr mittelbar mit der kommunalpolitischen Auseinandersetzung zu tun. Da geht es viel mehr um überdauernde Einstellungen und Interessen aus Nazideutschland. „Ich wollte“, sagt Wandersleb, „ein Stück weit ein Gemälde des Schwabenländles in den 1990er-Jahren liefern. Zeigen, wie eine Gesellschaft in einer typischen Kleinstadt funktioniert. Und da gehören natürlich die alten Nazis dazu. Die gab es in den 1990er-Jahren noch zuhauf, auch wenn sie meistens adrett weißhaarig und unauffällig waren.“

Ein „schräg-beklemmendes Milieu“

Das Thema Nationalsozialismus beschäftigt Wandersleb seit langem. „In der Schule sind wir zwar allgemein über die Nazizeit aufgeklärt worden. Das schon. Aber bei Nachfragen, etwa wer der Ortsgruppenleiter im Dorf war, oder was der stramme Schuldirektor zwischen 1933 und 1945 gemacht hat, haben alle geschwiegen.“ So sei er aufgewachsen, sagt Wandersleb: „In einem schräg-beklemmenden Milieu. Lauter unschuldige Leute, Firmen und Institutionen. Ein Labyrinth aus Schweigen und sublimer Aggression. Die rassistischen Lebenseinstellungen und Urteilskriterien waren in Wirklichkeit nicht weg. Man hat geschwiegen und fleißig vergeben.“

In „Alter Schnee“ taucht das jüdische Thema in mehrfacher Hinsicht auf. Einmal in der Person von Lea Silbergleit, der Wandersleb die Biografie seiner Großtante Lisa Eppenstein gegeben hat. Sie war Gymnasiallehrerin in Berlin, eine streitbare, kluge Frau. Weil sie aus einer jüdischen Familie stammte, wurde sie 1933 aus dem Schuldienst geworfen, 1942 in ein KZ deportiert und ermordet. Ihr ist das Buch gewidmet.

Das mörderische Werk einer Walchgoldinger greisen „Nazisse“ ist das eine, das Wanderslebs Kommissar Eschenbach ans Licht bringt. Das andere ist das Verbandeltsein der Walchgoldinger Evangelischen Kirchengemeinde mit den Erben eines Mitglieds der deutschen Nazichristen. Die Kirche hat mit diesen Erben einen Deal gemacht. Sie hat von ihnen ein zum Bau eines Pflegeheims geeignetes Grundstück billiger bekommen – um den Preis, dass das Heim nach deren Vater benannt wird. Dass dieser ein „Deutscher Christ“ war und davon nie öffentlich abrückte, störte sie wenig.

Die „Deutschen Christen“ gelten als rassistische und antisemitische Strömung im Protestantismus. „Die Kirche hat nach 1945 keinen wirklichen Neuanfang gemacht“, sagt Wandersleb. Zu den Spätfolgen zähle die Möglichkeit eines solchen Deals. Zwar sei diese Story im Roman Fiktion. Aber der „geerdete Stoff zu dieser Story“ könne so oder so ähnlich in der Schorndorfer Lokalgeschichte gefunden werden.

Nach den Reaktionen auf sein Buch befragt, sagt Wandersleb: „Die Nichtschorndorfer interessierten sich weniger für die Hallengeschichte und mehr fürs eigentliche Thema. Da gab es viel Zustimmung und den Wunsch nach einem zweiten Eschenbach-Krimi. Woran ich aber nicht denke. Das Schreiben hat einen Riesenspaß gemacht – aber jetzt genieße ich das gelegentliche Vorlesen. Ich bin sehr gespannt auf den Abend im Figurentheater Phoenix.“