In der Stuttgarter Reihe „Zwischen/Miete“ hat die junge Autorin Shida Bazyar aus ihrem Debütroman „Nachts ist es leise in Teheran“ gelesen. Verschiedene Stimmen erzählen darin von Flucht und Exil.

Stuttgart - Es ist einer der meistgelobten Debütromane dieses Jahres, inzwischen bereits mit dem Ulla-Hahn-Preis ausgezeichnet und für weitere nominiert: Shida Bazyars „Nachts ist es leise in Teheran“, erschienen im Frühjahr im Verlag Kiepenheuer & Witsch. Zweimal hat die 1988 in der Nähe von Trier geborene Tochter iranischer Eltern ihr Buch in Stuttgart schon vorgestellt: im Sommer in der vom Schriftstellerhaus konzipierten Reihe „Literatur im Salon“ in einer Privatwohnung in Degerloch und jetzt an einem lauen Frühherbstabend im Rahmen der Literaturhaus-Reihe „Zwischen/Miete – Junge Literatur in Stuttgarter WGs“ in der Ameisenbergstraße im Stuttgarter Osten.

 

Die Spielregeln dieser in einem eher privaten Ambiente stattfindenden Lesungen ähneln sich: Mit dem Eintrittspreis sind Speis und Trank verbunden, und man kann anschließend ungezwungen mit der Autorin ins Gespräch kommen. Während sich in Degerloch im Wohnzimmer der Gastgeber eine Zuhörerschaft eingefunden hatte, die sich von der Altersstruktur her nicht von der Klientel vergleichbarer öffentlicher Veranstaltungen unterschied, versucht die „Zwischen/Miete“ vor allem ein junges Publikum anzulocken. Was diesmal in der Ameisenbergstraße, in einem von der Stadt Künstlern zur Verfügung gestellten Atelierhaus, auch gelungen war. Zum Essen gab es Butterbrezeln, zum Trinken Bier aus der Flasche, und die am Boden vor dem Lesepult lagernden Zuhörer erinnerten eher an die Teilnehmer einer Studenten-Party als an eine klassische Dichterlesung.

In einem Punkt allerdings unterschieden sich der Salon in Degerloch und die WG-Lesung in Stuttgart-Ost überhaupt nicht voneinander: nahezu drei Viertel der Gäste waren weiblich. Männer interessieren sich offenbar kaum für Bücher. Kein neues Phänomen.

Ist das alles autobiografisch?

Shida Bazyar hat in Hildesheim bei Hanns-Josef Ortheil kreatives Schreiben studiert und wurde dabei durch ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung gefördert. Heute lebt sie in Berlin, wo sie halbtags als Bildungsreferentin für den Landesjugendring von Brandenburg arbeitet, die restliche Zeit gehört dem literarischen Schreiben. „Nachts ist es leise in Teheran“ ist ein Familienroman, in dem in vier Kapiteln und einem Epilog nacheinander der Vater, die Mutter, die ältere Tochter, der Sohn und schließlich die jüngere Tochter einer iranischen Familie, die in Deutschland Asyl gefunden hat, zu Wort kommen.

Die Frage, mit der sich die 28-jährige Autorin wohl auf jeder ihrer Lesungen konfrontiert sieht, lautet denn auch: Ist das alles autobiografisch? Denn Shida Bazyars Eltern haben 1987 den Iran aus politischen Gründen verlassen und sind nach Deutschland geflüchtet – wie Behsad und Nahid, das Ehepaar im Roman. Auch Ruwen Stricker, der Moderator der Lesung in der Ameisenbergstraße, stellt diese Frage, um darauf die (erwartbare) Antwort zu bekommen: Ja und nein. Für die Figuren von Behsad und Nahid, erzählt die Autorin, habe sie umfangreiche Recherchen betrieben, dabei auch ihre Eltern, deren Verwandte und Bekannte interviewt, Sachbücher über die iranische Revolution von 1979 gelesen und sich Videos zu den damaligen Ereignissen auf Youtube angesehen. Mit Hilfe dieser gesammelten Informationen, so Bazyar, habe sie ihre Romanfiguren dann frei gestaltet.

Vater, Mutter, Sohn und Töchter

Der Kunstgriff in „Nachts ist es leise in Teheran“ besteht darin, dass es in diesem Roman, weil der Vater, die Mutter und die drei Kinder nacheinander das Wort ergreifen, fünf verschiedene Erzähler mit jeweils eigenem Sprachstil gibt. Diesen fünf Erzählern hat die Autorin fünf verschiedene Zeitebenen zugeteilt: Behsad, den Vater, lernen wir im Revolutionsjahr 1979 im Iran kennen; Nahid, die Mutter, 1989 im Exil in der deutschen Provinz; Laleh, die ältere Tochter, begleiten wir 1999 auf einer Urlaubsreise, die sie in die alte Heimat unternimmt; Morad, den Sohn, erleben wir 2009 als Studenten an einer deutschen Uni; und Tara, die jüngere Tochter, spricht im Epilog zu uns aus einer von heute aus gesehen nahen Zukunft.

Diese im Roman angelegten Zeitsprünge von Jahrzehnt zu Jahrzehnt konnte das Publikum bei Bazyars Lesung in der Ameisenbergstraße gut mitvollziehen. Es hörte zuerst von der Euphorie des jungen kommunistischen Studenten Behsad in Teheran während der revolutionären Ereignisse im Februar 1979, der mit seinen Genossen den Sturz des Schahs feiert und die religiöse Bewegung um Ayatollah Chomeini nur als Übergangsphase bis zum sicheren Sieg des Kommunismus einschätzt. Zehn Jahre später, 1989, erinnert sich Behsads Frau Nahid im deutschen Exil an das letzte Abendessen in Teheran vor ihrer Flucht nach Deutschland und versucht ihre deutschen Nachbarn Ulla und Walter zu verstehen. Die sind zwar politisch auch links eingestellt, aber ihre Gedanken kreisen um den Kampf gegen Atomkraft und um Biolebensmittel, während Nahid sich um verhaftete Freunde im Iran Sorgen macht.

Fremd gewordene Heimat

1999 besucht die sechzehnjährige Tochter Laleh zusammen mit ihrer Mutter ihre Verwandten in Teheran und reagiert mit ambivalenten Gefühlen auf die alte, fremd gewordene Heimat. Sie wird kulinarisch verwöhnt und muss sich gleichzeitig von ihrer gleichaltrigen Cousine Klagen über das Schminkverbot anhören, das in der islamischen Republik herrscht. 2009 schließlich wacht Sohn Morad am Morgen nach einer Party mit viel Alkohol verkatert auf und lässt die Gespräche der vergangenen Nacht mit seinen Kommilitonen nochmals an sich vorüberziehen.

Sie habe keinen Sehnsuchtsroman über Teheran geschrieben und wolle auch nicht als Expertin für Flucht- oder Integrationsgeschichten herumgereicht werden, machte Shida Bazyar ihren Zuhörern in Stuttgart klar. Ihr Buch solle vielmehr zeigen, dass verschiedene Wahrheiten nebeneinander bestehen können.