Kurt Oesterle liest aus seinem Roman „Martha und ihre Söhne“.

Leonberg - Wie die Nation das Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat – als Niederlage oder Befreiung – ist häufig und kontrovers diskutiert worden. Wie aber einzelne Menschen den Bruch in ihrer Biografie zu bewältigen versucht haben, das erzählt Kurt Oesterle am Beispiel einer jungen Frau in seinem neuen Roman „Martha und ihre Söhne“, der als Teil einer Trilogie konzipiert ist.

 

Auf Einladung des Heimat- und Kulturvereins Höfingen hat Kurt Oesterle am Donnerstagabend vor einem kleinen, erlesenen Publikum im Alten Rathaus aus seinem Roman gelesen. Mit eindringlichen Gesten und ausdrucksstarker Stimme liest er sehr engagiert, und die Zuhörer sind fasziniert, weil sie sich und ihre Eltern in dem Geschehen wiedererkennen: Vom Krieg traumatisiert zurückgekommen, die Angehörigen tot oder vermisst, sollte diese Generation nach dem Zusammenbruch eine neue Gesellschaft aufbauen.

Aufgewachsen im Nationalsozialismus

Die Protagonistin Martha muss, im Nationalsozialismus aufgewachsen und sozialisiert, mit einer Mutter, die „das Bild des obersten Führers mehrmals am Tag in der Küche zackig gegrüßt hatte“, mit sämtlichen Insignien des Regimes ausgestattet – von der weißen Bluse des BdM samt Halstuch und Lederknoten und Brosche in den Farben der Bewegung, fassungslos den Untergang ihres Staates zur Kenntnis nehmen. Gerade mal Anfang 20 muss sie die Schmerzen der Niederlage erleiden – und auch die der Neuanpassung.

Getrieben von der Angst vor der Rache der Sieger und ihrem Urteilsspruch, flüchtet sie sich in zwei Schwangerschaften, um so ein bisschen Sicherheit zu erlangen. Kurt Oesterle will darauf aufmerksam machen, wie mühsam in Deutschland die Demokratie erworben werden musste, und wie gefährdet sie heute wieder ist. In der spannenden Diskussion im Anschluss an die Lesung fordert er: Empathie, Aufmerksamkeit für die eigene Verführbarkeit, Demut und vor allem Verantwortungsbewusstsein. „Wie man handelt, alles hat Konsequenzen“, sagt Oesterle.

Der Autor, 1955 im schwäbischen Oberrot, einer ländlichen Gegend im Landkreis Schwäbisch Hall, geboren, hat nach einem Studium der Literatur, in Geschichte und Philosophie promoviert und als freier Autor und Journalist gearbeitet. Inzwischen liegen mehrere stark beachtete Romane von ihm vor.

Martha ist „zwischen die Zeiten gefallen“

Martha ist „zwischen die Zeiten gefallen“: Nicht aus innerer Überzeugung schließt sie sich der Demokratie an – schon Weimar war Republik ohne Republikaner – sondern „weil sie zur Mehrheit gehörte und die Mehrheit für sie eine außerordentliche, ja betörende Überzeugungskraft besaß“, erzählt Kurt Oesterle.

So wird Martha nach dem Zusammenbruch, „notdürftig umerzogen“, zu einer Mitläuferin der Demokratie, ohne sie wirklich verstanden und in ihre Persönlichkeit integriert zu haben. So ist es in einem Land, in dem, wie Erich Kästner einmal süffisant bemerkt hat, immer erst nach einem verlorenen Krieg die Demokratie entdeckt worden ist.

„Die Bewährungsprobe für unsere Demokratie kommt erst noch“, warnt Osterle in der Diskussion. In der ersten Rede des Bürgermeisters nach dem Untergang des nationalsozialistischen Staates heißt es im Roman: „Nur in der Demokratie dürft ihr auch nein sagen!“