Der Abriss der Fellbacher Melanchthonkirche rückt näher – am Ostermontag wird in der Kirche der letzte Gottesdienst gefeiert. Sie wird aus Kostengründen aufgegeben.

Fellbach - Es ist nun 60 Jahre her, dass die Zahl der evangelischen Mitbürger in der Rohrlandsiedlung – das ist der Teil Fellbachs zwischen dem alten Hallenbad und dem Kappelberg – so stark angewachsen ist, dass es einer neuen Kirche bedurfte. Der Platz im Sportheim, dem heutigen Parkrestaurant, wo sie bis dato im Nebenzimmer Gottesdienst gefeiert und sich getroffen hatten, war definitiv zu klein geworden. Die Idee, eine neue Kirche zu bauen, fand Anklang.

 

Die Protestanten sammelten fleißig Spenden und konnten drei Jahre später das Gotteshaus am Philosophenweg einweihen. Von dem Architekten Ludwig Paulus stammen die Pläne für den symbolträchtigen, modernen Bau aus Beton. Mit einem interessanten Zeltdach, einer wabenartigen Fensterfront an der Altarseite und einem Lichtband aus farbigen Bleiglasfenstern, das dem Kirchenraum je nach Sonneneinfall eine ganz besondere Farbgebung verleiht. Der markante Kirchturm neben dem Gotteshaus und angrenzendem Kindergarten und die darin läutenden drei Glocken aus Bronze, allesamt gespendet, kündeten über Jahrzehnte weit über das Quartier hinaus vom Glauben an Gott.

Erster Kirchenabriss in der Stadt

Aber die Zeiten ändern sich. Vor 60 Jahren nahm die Zahl der Kirchenmitglieder in der Rohrlandsiedlung noch zu, seit Jahren nimmt sie allerdings drastisch ab, aktuell sind es noch rund 900. Im Viertel fand bei den Bewohnern ein Wechsel statt. Die evangelische Landeskirche reagiert auf Veränderungen wie diese unter anderem mit einem Immobilienkonzept, das sich an der Zahl der Gläubigen für die jeweilige Seelsorgeeinheit orientiert. In Fellbach kommt das jetzt für die jüngste Kirche zum Tragen. Einen Kirchenabriss hat es in der Kappelbergstadt noch nie gegeben.

Für ein Gebäude sind 57 Jahre keine lange Zeit, aber dennoch denkt die Landeskirche bei der Melanchthonkirche zusammen mit dem Kirchengemeinderat in Fellbach an die Folgekosten, die für die notwendige Instandhaltung auf sie zugekommen wäre – und zieht einen Schlussstrich. Auch weil das Gebäude am Philosophenweg noch nicht unter Denkmalschutz steht, die Lutherkirche aber schon. In 20 Jahren wäre das vielleicht auch bei der Melanchthonkirche der Fall, meint ein Gemeindemitglied. Bis dahin will und kann man nicht warten, auch wenn sich die Situation im Wohngebiet dann erneut wieder anders darstellen könnte. Die Flächen des ehemaligen Hallenbades und des früheren Freibads sowie das Gebiet um den Apfelweg werden neu bebaut und damit wieder mehr Menschen im Quartier leben. Welcher Konfession sie angehören, das weiß allerdings keiner.

Einige Teile werden eingelagert

Die Abrissbirne kommt alldem zuvor. Den Termin bestimmt die Stadt Fellbach, nicht mehr die Kirchengemeinde. Davor wird ausgeräumt und mitgenommen, was weiterverwendet werden kann. Ende Juli sollen die Schlüssel in den schweren Kirchentüren aus Metall zum letzten Mal umgedreht und an die Stadt Fellbach übergeben werden. Sie wird das Gelände für eine Kindertageseinrichtung nutzen und mit dem Evangelischen Verein als Träger betreiben.

Ganz ausgehaucht wird der Geist der Melanchthonkirche jedoch nicht. Teile aus der Kirche sollen in der Luther- und der Pauluskirche eine Wiederverwendung finden, andere zunächst eingelagert werden. Die drei Reliefbilder der Künstlerin Ingrid Seddig, die an der Kanzel angebracht sind, werden abmontiert, die farbigen Scheiben des Lichtbandes gesichert. Die Lutherkirchengemeinde plant ein Gemeindehaus, es soll Melanchthonhaus heißen. Dort könnten die Reliefbilder und das Farbband wieder Verwendung finden. Wo die Orgel wieder erklingen könnte, ist indes noch unklar. Die Pfeifenorgel Weigle 17/II+P ist gerade mal 40 Jahre alt, sie wurde 1970 eingebaut. Im Internet wird sie jetzt zum Verkauf angeboten. Sie soll knapp 20 000 Euro kosten und vom Käufer selbst ausgebaut und abtransportiert werden. „Es ist in Coronazeiten schwer, solch einen Verkauf zu tätigen“, sagt der Pfarrer Julian Scharpf von der Melanchthonkirche. Die Orgel hat viele Gottesdienste begleitet und mehrere Chöre, die in der Kirche entstanden sind und ein Zuhause hatten. Sie war bei Konzerten zu hören, die Akustik in Melanchthon wurde allenthalben gelobt. Auch das Kulturamt war hier regelmäßig mit dem Orgelsommer zu Gast.

Kirchenbänke können wohl nicht gerettet werden

Altarkreuz und Kerzenleuchter aus Melanchthon finden in der Lutherkirche einen neuen Platz, die drei Glocken sollen künftig das Geläut im Turm der Pauluskirche aufwerten. Keine Zukunft gibt es wahrscheinlich für die Kirchenbänke aus massivem Holz, die nahezu ohne Gebrauchsspuren sind. Laut dem Kirchengemeinderat Thomas Musial sind sie so gut verankert, dass ein Ausbau quasi nicht möglich sei. Auch der Schieferboden kann wohl nicht weiterverwendet werden.

Dafür scheint eine Lösung für die von Hans Dieter Bohnet in Bronze gegossenen Türgriffe an den beiden Kirchenportalen gefunden. Man sei „in guten Gesprächen mit der Tochter des Künstlers und der Stadt Fellbach“, sagt Julian Scharpf. „Zum 100. Geburtstag von Hans Dieter Bohnet ist 2025/2026 eine große Retrospektive in Böblingen geplant.“

Sobald es die Corona-Regeln wieder zulassen, wird im benachbarten Melanchthon-Gemeindehaus ein „Andenken-Markt“ angeboten, der mit Requisiten und Utensilien aus der Kirche bestückt sein wird. In einer Fotoausstellung kann man ebenfalls zu gegebener Zeit nochmals Rückblick halten. Und wenn es die Hygiene-Vorschriften erlauben, soll es auch noch mal ein Orgelkonzert in der Kirche mit der tollen Akustik geben. Ein Ausklang im wahren Wortsinn.

Abschied und Aufbruch

Am Ostermontag, 5. April 2021, wird in einem „Gottesdienst in zwei Teilen“ zunächst Abschied genommen von der Melanchthonkirche. Dann werden in einem Begrüßungsgottesdienst die Gemeindemitglieder in der Lutherkirche willkommen geheißen. Der Gemeindebezirk heißt künftig Luther-Melanchthon. Zum Abschied kommt um 10 Uhr der Dekan Timmo Hertneck in die Melanchthonkirche.

Um 11.15 Uhr begleitet der in Melanchthon gegründete Gospelchor Joy and light erstmals einen Gottesdienst in der Lutherkirche. Er wird von den Pfarrern Eberhard Steinnestel und Julian Scharpf gemeinsam gefeiert. Die Gläubigen mussten sich anmelden. Beide Gottesdienste sind aber live im Internet zu verfolgen. Links dazu gibt es unter www.fellbach-evangelisch.de.