Kultur: Stefan Kister (kir)

In dem schwül-gärenden Sumpfgebiet, in dem sich die Soldaten gegen die überall lauernden Partisanen verbarrikadiert haben, blühen Langeweile, Grausamkeit, kauzige Marotten und auch manchepathetische Stilblüte auf: „Wir sollten den Dung der Freiheit in die Herzen karren und darauf die Skepsis pflanzen“, so klingen die Gespräche mit Proskas intellektuellem Leidensgenossen, der den landserhumorigen Spitznamen Milchbrötchen trägt. Lenz‘ späteres „Deutschstunden“-Thema der Pflicht wird angeschlagen: „Dieses Zeug haben sie uns unter die Haut gespritzt. (. . .) Die haben versucht, uns durch eine raffinierte Injektion von Pflichtserum besoffen zu machen.“

 

Doch solche klaren Sentenzen werden immer wieder überwuchert von animistischem Naturschwulst und der Liebesaffäre mit einer schönen Partisanin, deren lüstern-verschwitzter Kitsch mehr gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit verstößt als gegen die mühsam konstruierten Nöte des Gewissens. Lenz zeigt sich hier als Suchender zwischen neuen und abgelegten Stilformen, die Füße stecken noch im Morast schicksalstriefender Kriegsliteratur, während den Kopf bereits ein neuer Wind streift, eine Prise Existenzialismus, ein Hauch von Hemingway.

Sensation aus dem Archiv

Durch die von Lenz in der erwähnten Überarbeitung eingefügten Kapitel wird der Partisanenroman im zweiten Teil zum Überläuferroman. Auch wenn die Motivation letztlich unscharf bleibt, die Proska bewegt, dem Schritt seines Freundes Milchbrötchen auf die andere Seite zu folgen, finden sich auch hier deutliche Sätze: „Wer nur immer sagt: Ich bin gegen den Krieg und es dabei bewenden lässt und nichts außerdem tut, damit der Krieg ausgerottet wird, der gehört ins pazifistische Museum.“

Doch der Mut wird konterkariert durch die Rahmenhandlung: Proska trägt eine Schuld durchs Leben. Als Überläufer hat er seinen Schwager getötet, gewissermaßen ein Fluch der guten Tat. Der unauflösliche Schicksalskonflikt relativiert die Kühnheit seines Schritts. Indem Lenz seinen Helden in die moralische Aporie laufen lässt, kommt er jenen zeitgenössischen Lesern insgeheim entgegen, denen sein Lektor das Buch nicht zumuten zu können glaubte. In dieser Fassung wird das Skandalon der Desertion für sie erträglich. Wie auch die kafkaeske Zeichnung der von der neuen sozialistischen „Klicke“ etablierten menschenverachtenden Verwaltung durchaus der Stimmung zu Beginn der Ost-West-Konfrontation entgegenkommt.

Diese Zeitverhaftung schmälert die Sensation, als die die Entdeckung gefeiert wird, ein wenig. Es ist ein Fang aus den Tiefen des Archivs: Er nährt die Philologie besser als den heutigen Leser.

Man betritt diesen um seine Wirkungsgeschichte geprellten Roman wie ein Haus, das nie bewohnt war, und über dessen historisches Interieur sich die Spinnweben gelegt haben. Lenz erzählt die Geschichte des jungen Soldaten Walter Proska, der wie der Autor aus dem masurischen Lyck stammt. Im letzten Kriegssommer gerät er nach einem Heimaturlaub in einen Hinterhalt von Partisanen, überlebt und wird zu einer versprengten Einheit der Wehrmacht verschlagen, die auf verlorenem Posten, kommandiert und kujoniert von einer unmenschlichen Schnapsdrossel namens Stehauf, die Bahnlinie gegen die vorrückende Rote Armee verteidigen soll.

In der moralischen Sackgasse

In dem schwül-gärenden Sumpfgebiet, in dem sich die Soldaten gegen die überall lauernden Partisanen verbarrikadiert haben, blühen Langeweile, Grausamkeit, kauzige Marotten und auch manchepathetische Stilblüte auf: „Wir sollten den Dung der Freiheit in die Herzen karren und darauf die Skepsis pflanzen“, so klingen die Gespräche mit Proskas intellektuellem Leidensgenossen, der den landserhumorigen Spitznamen Milchbrötchen trägt. Lenz‘ späteres „Deutschstunden“-Thema der Pflicht wird angeschlagen: „Dieses Zeug haben sie uns unter die Haut gespritzt. (. . .) Die haben versucht, uns durch eine raffinierte Injektion von Pflichtserum besoffen zu machen.“

Doch solche klaren Sentenzen werden immer wieder überwuchert von animistischem Naturschwulst und der Liebesaffäre mit einer schönen Partisanin, deren lüstern-verschwitzter Kitsch mehr gegen die Gesetze der Wahrscheinlichkeit verstößt als gegen die mühsam konstruierten Nöte des Gewissens. Lenz zeigt sich hier als Suchender zwischen neuen und abgelegten Stilformen, die Füße stecken noch im Morast schicksalstriefender Kriegsliteratur, während den Kopf bereits ein neuer Wind streift, eine Prise Existenzialismus, ein Hauch von Hemingway.

Sensation aus dem Archiv

Durch die von Lenz in der erwähnten Überarbeitung eingefügten Kapitel wird der Partisanenroman im zweiten Teil zum Überläuferroman. Auch wenn die Motivation letztlich unscharf bleibt, die Proska bewegt, dem Schritt seines Freundes Milchbrötchen auf die andere Seite zu folgen, finden sich auch hier deutliche Sätze: „Wer nur immer sagt: Ich bin gegen den Krieg und es dabei bewenden lässt und nichts außerdem tut, damit der Krieg ausgerottet wird, der gehört ins pazifistische Museum.“

Doch der Mut wird konterkariert durch die Rahmenhandlung: Proska trägt eine Schuld durchs Leben. Als Überläufer hat er seinen Schwager getötet, gewissermaßen ein Fluch der guten Tat. Der unauflösliche Schicksalskonflikt relativiert die Kühnheit seines Schritts. Indem Lenz seinen Helden in die moralische Aporie laufen lässt, kommt er jenen zeitgenössischen Lesern insgeheim entgegen, denen sein Lektor das Buch nicht zumuten zu können glaubte. In dieser Fassung wird das Skandalon der Desertion für sie erträglich. Wie auch die kafkaeske Zeichnung der von der neuen sozialistischen „Klicke“ etablierten menschenverachtenden Verwaltung durchaus der Stimmung zu Beginn der Ost-West-Konfrontation entgegenkommt.

Diese Zeitverhaftung schmälert die Sensation, als die die Entdeckung gefeiert wird, ein wenig. Es ist ein Fang aus den Tiefen des Archivs: Er nährt die Philologie besser als den heutigen Leser.