Alle waren gekommen, um eine große Party zu feiern. Stattdessen gab es am Mittwochabend bei der Liedermacherin Dillon gedämpfte Klänge und großes Ennui.

Digital Desk: Jan Georg Plavec (jgp)

Jan Georg Plavec Stuttgart - Die Uhr über der DJ-Kanzel steht auf 2:08 Uhr. Immer noch. Sie ist stehen geblieben, irgendwann in den letzten sieben Jahren, in denen der Stuttgarter Club Rocker 33 die Kulturszene der Stadt um jede erdenklich musikalische Spielart mit elektronische gefärbtem Einschlag bereichert hat. Nun also obliegt es Dillon , der Newcomerin im Singer-/Songwriter-Genre, diesem Club am Mittwochsein letztes Livekonzert zu bescheren.

 

Die in Berlin lebende Sängerin mit brasilianischen Wurzeln sieht sogar noch jünger aus als 23. Sie hat sich große schwarze Tränen unter die Augen geschminkt, was sie in Verbindung mit ihrer schulmädchenhaft zelebrierten Schüchternheit und ihrer kratzig-kehligen Stimme wirken lässt wie das seltsame Mädchen, das in Horrorfilmen wie „ The Ring “ den Tod bringt.

Dumpfe Klänge, die Boxen dröhnen

„Lauter“ ruft es aus dem völlig überfüllten Zuschauerraum gleich zu Beginn des Konzerts. Das verwundert nicht: Dillon macht gemeinsam mit ihrem Bühnenpartner und dem Co-Produzenten ihres Albums, Tamer F. Özgönenc von der Berliner Electroclash-Band MIT , gedämpfte Musik. Man hört die Bassdrum wie durch ein dickes Kopfkissen; Dillons Pianospiel beschränkt sich auf wenige, weiche Akkorde; Özgönenc schickt stumpfe Elektroniksounds aus seinen zwei Laptops in die Boxen des Rocker 33, die nach den artig befolgten „Lauter!“-Befehlen in den tieferen Frequenzen leider einfach nur dröhnen.


Das Publikum ist zu diesem ausverkauften Konzert gekommen, um einen kommenden Star zu erleben und hofft auf ein frenetisches Fest. Was Dillon und ihr Co-Musiker zu bieten haben, sind aber lediglich zurückgenommene Singer/Songwriter-Klänge zwischen dem schwedischen Maschinenmusik-Act The Knife und den reduziert daherkommenden Briten von The xx – auch Letztere haben auf Platte mehr versprochen, als sie live auf ihrer ersten Tournee halten konnten.

Keine Frage: Dillons Ansatz, Song-Miniaturen in fast kinderliedhafter Einfachheit mithilfe elektronischer Klangerzeuger auf das nächste Level zu heben, werden das Genre weiterbringen. Doch dieses Konzert hätte sich überall besser gemacht als in einem Club, der gerade seinen Abschied von der Live-Szene begeht und dessen zur Gänze schwarz gestrichene Hallen eher für aufgekratzte Electro-Orgien wie das Deichkind-Konzert im Jahre 2008, die Auftritte quasi aller in den vergangenen zehn Jahren relevanten Techno-DJs oder zuletzt den umjubelten Gig von Console im popkulturellen Gedächtnis der Stadt bleiben wird.

Strahlende Frauen, gähnende Männer

Am Ende ist das letzte, ausverkaufte Konzert in diesem Club leider ein einziges Missverständnis. Die vielen Pärchen, die gekommen sind, teilen sich in strahlende Frauen und gähnende Männer; Dillons Hit im alternativen Formatradio, „ Tip-tapping “, geht im allgemeinen Ennui unter. Am Ende ist keiner sicher, ob eine Zugabe gewünscht ist oder nicht. Das Mädchen mit den großen schwarzen Tränen spielt noch drei Songs, legt dann die Hände in den Schoß und verbeugt sich artig wie nach einem Musikschulvorspiel. Tschüss! jgp