Es ist ein weiteres Kapitel in einem schier endlosen Wirtschaftskrimi, das am Freitag mit einer Verhandlung am Landgericht Konstanz aufgeschlagen wird. Es geht um viel Geld, die Landesbank Baden-Württemberg und die Pleite des Leuchtenherstellers Hess.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist ein weiteres Kapitel in einem schier endlosen Wirtschaftskrimi, das am nächsten Freitag mit einer Verhandlung am Landgericht Konstanz aufgeschlagen wird. Kläger vor der zweiten Zivilkammer sind zwei Geldanleger, die auf Aktien des Villinger Leuchtenherstellers Hess AG gesetzt haben. Doch statt wie erhofft an der erfreulichen Entwicklung des Traditionsunternehmens teilzuhaben, erlebten sie eine böse Überraschung: Schon vier Monate nach dem Börsengang im Oktober 2012 meldete Hess aus scheinbar heiterem Himmel Insolvenz an, die Kurse stürzten ins Bodenlose.

 

Beklagte in dem Verfahren sind die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) und das Bankhaus M. M. Warburg, die die Firma einst an die Börse begleitet haben. Sie sollen Schadenersatz zahlen, weil sie die Lage von Hess im Börsenprospekt nicht zutreffend dargestellt hätten; Prospekthaftung nennt man das. Es gehe um „geringere Beträge“, sagt ein Gerichtssprecher, ohne diese zu beziffern. Doch geschädigt fühlen sich weitaus mehr Investoren, insgesamt um viele Millionen Euro.

Für die Landesbank ist die Sache klar: Klagen wegen möglicher Prospekthaftung, sagt ein Sprecher, „halten wir für unbegründet“. Auch bei einer eingehenden internen Prüfung hätten sich „keinerlei Hinweise“ ergeben, dass die LBBW die bei Börsengängen üblichen Sorgfaltspflichten verletzt habe. „Sollten die im Raume stehenden Vorwürfe sich bewahrheiten“, sei auch die Bank getäuscht worden und habe daher, wie vor Monaten mitgeteilt, Strafanzeige erstattet. Im Übrigen habe man bereits im vorigen Sommer die Konsequenz gezogen, nur noch solche Unternehmen an die Börse zu begleiten, bei denen die LBBW – anders als bei Hess – langjährige Hausbank sei.

„Im Raume“ stehen Vorwürfe vor allem gegen die einstigen Hess-Vorstände Christoph Hess, den Enkel des Firmengründers, und Peter Ziegler, zuständig für Finanzen. Sie waren im Januar 2013 Knall auf Fall entlassen worden, nachdem der von einem internen Hinweisgeber alarmierte Aufsichtsrat angebliche Bilanzmanipulationen entdeckt hatte. Gegen sie (und gut ein Dutzend weitere Beschuldigte) ermittelt die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen des Verdachts auf Bilanzfälschung, Anlagebetrug und Insolvenzdelikten. Als Hauptverantwortliche erscheinen sie auch in der Darstellung des Insolvenzverwalters Volker Grub, der die Hess-Bilanzen gleich für mehrere Jahre um Millionenbeträge korrigieren ließ; Scheingeschäfte und andere dubiose Praktiken will er aufgedeckt haben. Die Schurkenrollen sind in der öffentlichen Wahrnehmung somit klar besetzt: mit Hess und Ziegler.

Ist die Hess AG Opfer einer feindlichen Übernahme?

Immer wieder kursierten in Villingen-Schwenningen zwar Gerüchte, vielleicht sei auch alles ganz anders gewesen. Womöglich sei die Hess AG das Opfer einer raffiniert angelegten feindlichen Übernahme in der Lichtbranche geworden: Waren es nicht Holländer, nämlich die HPE (Holland Private Equity) als Großaktionär, die die Insolvenz auslösten, wird dann gefragt? Und seien es nicht wiederum Holländer, die von der Übernahme des Geschäftsbetriebes samt 180 Mitarbeitern durch die Firma Nordeon profitierten? Aber solche Mutmaßungen wurden stets als Verschwörungstheorien abgetan, die von interessierter Seite – etwa aus dem Umfeld der Familie Hess – gestreut würden.

Nun aber hinterfragt ein Akteur, der sich ausdrücklich als neutral bezeichnet, die bisherige Sicht der Dinge: die Landesbank Baden-Württemberg. In einem Schriftsatz für das Konstanzer Verfahren, der der Stuttgarter Zeitung vorliegt, thematisieren die LBBW-Anwälte diverse Merkwürdigkeiten, rücken zentrale Beteiligte in ein neues Licht und relativieren vermeintliche Gewissheiten. Auch wenn einiges in ihrer Stellungnahme prozesstaktisch motiviert sein dürfte: Wer Schurke und wer Held ist im Drama um Hess, erscheint nach Lektüre der knapp vierzig Seiten plötzlich nicht mehr so eindeutig. Offiziell schlägt sich die Landesbank zwar auf keine Seite, wie ihre Juristen betonen, weder auf die von Hess und Ziegler noch auf die von Grub und HPE. Aber Christoph Hess steht ihr in dem Verfahren – vermutlich ungefragt – als „Streithelfer“ zur Seite. So nennt man es, wenn jemand sich an einem fremden Zivilprozess beteiligt, weil er am Sieg der unterstützten Partei ein eigenes rechtliches Interesse hat.

Eine „verheerende“ Börsenmitteilung

Die LBBW-Anwälte von der Stuttgarter Kanzlei Kuhn Carl Norden Baum zielen vor allem auf den „Sonderuntersuchungsbericht“, in dem die Vorwürfe des Hauptaktionärs HPE und des Insolvenzverwalters Grub aufgelistet sind. Entgegen der hehren Bezeichnung handele es sich um ein schnödes „Parteigutachten“, das vor allem dazu diene, das rüde Vorgehen der Holländer bei der Ablösung der Hess-Vorstände zu rechtfertigen. Schon die Rolle des kaufmännischen Leiters von Hess, der als „Whistleblower“ den Aufsichtsratschef und HPE-Manager Tim van Delden informiert habe, sehen die Advokaten kritisch: Sollte es die von ihm behaupteten Unregelmäßigkeiten tatsächlich gegeben haben, wäre er daran „selbst massiv beteiligt gewesen“.

Für höchst fragwürdig halten sie das weitere Vorgehen van Deldens. Ohne eine nähere Prüfung der massiven Vorwürfe zuzulassen, habe der schon wenige Tage später Fakten geschaffen: In einer kurzfristig einberufenen Sitzung des Aufsichtsrates, deren Gegenstand die anderen Kontrolleure vorab nicht erfuhren, sei die Abberufung der Vorstände regelrecht durchgepeitscht worden. Christoph Hess, gerade auf Auslandsreise, habe keine Chance bekommen, sich zu verteidigen. Ein einziges Mal sei versucht worden, ihn per Handy zu erreichen – vergeblich. Einen neuen Vorstand, der gleich die Arbeit aufnehmen sollte, habe der HPE-Mann schon „in petto“ gehabt – das zeige sein planvolles Vorgehen.

Vollends „verheerend“ wirkte laut den Bankanwälten die Ad-hoc-Meldung, mit der der Verdacht der Bilanzmanipulation noch am gleichen Tag publik gemacht wurde. Das Schicksal von Hess sei damit „besiegelt“ gewesen: die Banken drehten den Geldhahn zu, Lieferanten wollten nicht mehr in Vorleistung gehen – die Insolvenz war „nicht mehr aufzuhalten“. Fazit der LBBW-Advokaten: die Holländer hätten „alles auf eine Karte gesetzt“ und so ein erhebliches Haftungsrisiko in Kauf genommen. Bliebe von den Vorwürfen gegen Hess und Ziegler am Ende nichts oder wenig übrig, hätte HPE „pflichtwidrig die Zukunft der gerade erst an die Börse gegangenen Hess AG verspielt“.

LBBW-Anwälte sehen Fälschungsvorwurf nicht belegt

Dass sich genau das im Nachhinein erweisen könnte, hält die Bank für durchaus denkbar. Man könne natürlich „nicht ausschließen, dass einzelne Bilanzierungen . . . tatsächlich unrichtig waren“, heißt es in ihrem Schriftsatz. Doch für die angebliche groß angelegte Manipulation gebe es bis heute keinen Beweis. Fragwürdig sei etwa der Vorwurf von Scheingeschäften, mit denen der Insolvenzverwalter regelmäßig operiere. Aus dessen Sicht sei das folgerichtig: Nur wenn rechtlich unwirksame Geschäfte vorlägen, hätte er Rückforderungsansprüche, die die Insolvenzmasse mehrten. Doch in dem von Volker Grub „gerne und oft bemühten Fall der mehrfachen Veräußerung von Werkzeugmaschinen“ sei das Landgericht Konstanz seiner Argumentation gerade nicht gefolgt. Nun soll die nächste Instanz das Urteil prüfen, es handele sich um keine Scheingeschäfte.

Auch die von Grub verkündete Entscheidung der Wirtschaftsprüfer, ihre Testate für die Hess-Jahresabschlüsse zu widerrufen, relativieren die LBBW-Anwälte stark. Dies sage wenig darüber aus, ob und in welchem Umfang die Bilanzen wirklich falsch waren. Eine Prüfung der umstrittenen Sachverhalte habe der Insolvenzverwalter nämlich gar nicht erst zugelassen – besonders, weil er die Ex-Vorstände nicht von ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit befreite. Das vermutete Kalkül: den Prüfgesellschaften gehe es vor allem darum, „sich selbst aus der Schusslinie zu nehmen“ und möglichen Haftungsklagen vorzubeugen. Auch nach anderthalb Jahren, bilanzieren die Anwälte, sei der Fälschungsvorwurf nicht belegt: Es gebe weder ein strafrechtliches Urteil oder zumindest eine Anklage, die Ermittlungen seien „noch nicht einmal abgeschlossen“.

So bald ist damit nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Mannheim auch nicht zu rechnen. Wann der Abschlussbericht der Polizei vorliege, sei derzeit „nicht absehbar“, sagt der Sprecher der Schwerpunktabteilung für Wirtschaftskriminalität; „wohl noch in diesem Jahr“. Dann gehen erfahrungsgemäß noch einmal Monate ins Land. Die Haftbefehle gegen Hess und Ziegler immerhin wurden auf Antrag der Ankläger aufgehoben, „weil keine Fluchtgefahr mehr vorliegt“. Beendet wurden die Ermittlungen bisher nur in einem – was das Finanzvolumen angeht – unbedeutenden Nebenkomplex: Wegen Untreue in 16 Fällen erging gegen Christoph Hess ein Strafbefehl über ein Jahr Haft auf Bewährung, gegen den er freilich Einspruch einlegte. Vorgeworfen wird ihm die Vermengung von privaten und geschäftlichen Ausgaben, etwa bei Flugreisen oder Arbeiten an seinem Wohnhaus. Eine Strafbefehl wegen Beihilfe gegen einen Handwerker wurde bereits rechtskräftig.

Die Landesbank hat derweil das gleiche Interesse wie ihr „Streithelfer“ Christoph Hess: Man wolle, dass „die Vorgänge vor der Insolvenz lückenlos aufgeklärt werden“, sagt ein LBBW-Sprecher. Dann werde sich erweisen, dass die Buchungen korrekt gewesen seien, meinte der Ex-Firmenchef einmal. Vielleicht bringt ja schon die Verhandlung am nächsten Freitag etwas Klarheit: Vier Stunden hat die Kammer angesetzt, um mehrere Zeugen zu hören – gewiss nicht das letzte Kapitel in diesem Wirtschaftskrimi.