Die SPD Leutenbach startet auf ihrer kleinen Facebook-Seite einen Aufruf zum Parteieintritt – und wird mit über hundert Kommentaren überflutet. Die meisten sind Beleidigungen, bis hin zu Morddrohungen. Wie konnte es so weit kommen?

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Leutenbach - Mit so viel Hass hat der SPD-Ortsverein Leutenbach nicht gerechnet: Als „Dreckskommunisten“, „verlogenes Pack“, „Volksverräter“ und „Scharia-Partei Deutschlands“ wurden die Sozialdemokraten im Internet beschimpft, nachdem sie Mitte August auf Facebook dazu aufgerufen hatten, dem Ortsverein beizutreten. Ein Nutzer des Sozialen Netzwerks behauptete, dass man aus Adolf Hitlers Buch viel lernen könne und dass die SPD für den kommenden „Zusammenbruch“ verantwortlich sei. Er drohte: „Und wenn der kommt, dann werdet ihr hängen. Die kommende Wende kommt sowieso weltweit, und ihr könnt abhauen wohin ihr wollt, wir kriegen euch! Ihr werdet noch bereuen!“ Insgesamt gab es mehr als 100 Kommentare zum Beitrag des Ortsvereins, dessen Facebook-Seite weniger als hundert Follower hat.

 

Der Vorsitzende der SPD Leutenbach, Pierre Orthen, hat solche Angriffe noch nicht erlebt, auch wenn er immer wieder Anfeindungen ausgesetzt war. Pierre Orthen sitzt im Rollstuhl, und es ist anzunehmen, dass sich einer der Kommentare („SPD Krüppel, gibt es sowas in Deutschland noch?“) auf ihn bezieht. Er hat Anzeige bei der Polizei erstattet.

AfD, NPD und Verschwörungstheorien

„Die Verfasser der Hasskommentare kenne ich nicht, weshalb ich persönliche Motive ausschließe“, sagt Orthen. „Da der Beitrag von uns extra beworben wurde und so bevorzugt politisch Interessierten im Umkreis von 40 Kilometern angezeigt wurde, haben ihn wahrscheinlich auch viele ‚besorgte Bürger’ gesehen“, wagt er einen Erklärungsversuch. Anfangs habe er versucht, mit Argumenten und Fakten auf die Angriffe zu reagieren. „Aber ich hatte schnell den Eindruck, dass sich diese Menschen Fakten verschließen und nur gilt, was sie selbst denken.“

Schaut man sich die Profile derjenigen an, die die Kommentare verfasst haben, ergibt sich ein recht eindeutiges Bild: Nahezu alle von ihnen haben AfD-Seiten geliked, sie folgen Facebook-Seiten wie „Aufwachen, Deutschland“, „Merkel muss weg“, „Kalter Krieg – scharfe Waffen“, der NPD oder der Reichsbürgerbewegung und in- und ausländischen Rechtspopulisten. Viele von ihnen lesen offenbar rechtsgerichtete Medien.

Einer der Kommentatoren scheint einen Hang zu Verschwörungstheorien zu haben, wie sie etwa der Schweizer Publizist Daniele Ganser vertritt, ein anderer fällt vor allem durch frauenverachtende Postings auf seiner Seite auf, ein weiterer hat Fotos von Gewehren hochgeladen. Auffällig ist auch: Die meisten Kommentatoren wohnen zwar angeblich in Baden-Württemberg, aber nicht in der Region. Was also hat sie veranlasst, auf einen Beitrag der SPD Leutenbach zu reagieren?

Rechte Accounts sind besonders aktiv

„Insgesamt haben rund 1700 Menschen unseren Aufruf gelesen. Die hundert negativen Kommentare kamen von nur etwa 20 oder 30 Lesern“, erklärt Pierre Orthen. Doch diese haben ausgereicht, um auf der Facebook-Seite des SPD-Ortsvereins den Eindruck entstehen zu lassen, dass die Haltung gegenüber der Partei überwiegend negativ sei. Das ist ein bekanntes Muster, wie eine kürzlich veröffentlichte Studie des Institute for Strategic Dialogue (ISD) und der Initiative #ichbinhier zeigt. Das ISD, das sich zur Aufgabe gemacht hat, Extremismus weltweit zu bekämpfen, und die Facebook-Aktionsgruppe #ichbinhier, die sich im Internet für eine bessere Debattenkultur engagiert, haben dafür von Februar 2017 bis Februar 2018 insgesamt 1,6 Millionen Beiträge auf Twitter und öffentlichen Facebookseiten analysiert.

Dabei fanden sie heraus, dass Sympathisanten der AfD und der rechtsextremen Identitären Bewegung im Netz besonders aktiv sind. „Rechte Accounts dominieren durch ihre extrem hohe Aktivität die Kommentarspalten“, heißt es in der Studie. Häufig gebe es sogar koordinierte Aktionen mit dem Ziel, gegenläufige Meinungen gezielt zu diskreditieren und zu verdrängen: Wer widerspricht oder mit Fakten argumentiert, wird beleidigt, diffamiert und provoziert – und zieht sich daraufhin oft aus der Debatte zurück. „Auf diese Weise soll eine verzerrte Darstellung des Meinungsbildes erreicht werden“, schreiben die Autoren der Studie. Denn bei den übrigen Nutzern entstehe der Eindruck, dass „Fehlinformationen, extremistische Meinungen, aber auch herabwürdigende oder beleidigende Sprache“ die gesellschaftlich vorherrschende Meinung seien.

Zeitaufwendige Ermittlungen

Ob im Falle des Postings der Leutenbacher SPD eine geplante Aktion zur Stimmungsmache stattgefunden hat, ist unklar. Die Polizei hat ihre Ermittlungsergebnisse der Staatsanwaltschaft übergeben. „Nicht alles, was moralisch verwerflich ist, stellt einen juristischen Tatbestand dar“, betont Bernd Rauner vom polizeilichen Staatsschutz des Polizeipräsidiums in Aalen. Deshalb prüft die Staatsanwaltschaft jetzt, ob es sich bei den Facebook-Kommentaren um Straftaten handelt. „Dann beginnen oft sehr zeitaufwendige Ermittlungen zur Identifizierung der Kommentatoren. Im Falle einer späteren Verurteilung kann es hohe Geldstrafen geben“, erklärt Bernd Rauner. Es sei wichtig, den Anfängen zu wehren. „Wir dürfen nicht zulassen, dass der Eindruck entsteht, dass Hass im Netz in Ordnung ist.“

So sieht das auch Pierre Orthen: „Man muss ja nicht einer Meinung mit der SPD sein, aber so eine Diskussion war nicht erwünscht. Wir werden nicht zulassen, dass Hetzer und Populisten die Grenze des Sagbaren immer weiter verschieben.“

Was kann man gegen Hass im Netz tun?

Gegen den Hass
im Netz könne jeder Nutzer eines sozialen Netzwerks etwas tun: Zivilcourage zeigen, etwa indem man die Opfer von Hasskampagnen unterstütze und sich allen Nutzern gegenüber respektvoll verhalte, schreiben die Autoren der Studie. Sie fordern eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Betreibern sozialer Medien, verschlüsselter Netzwerke und Anti-Hass-Initiativen: Rechtsextreme Aktionen müssten frühzeitig erkannt werden, um Gegenmaßnahmen treffen zu können. Auch die Bevölkerung müsse stärker für das Thema sensibilisiert werden.

Medien,
die auf Facebook oder Twitter vertreten sind, müssten laut der Studie ihre Kommentarspalten stärker moderieren, um die Debattenkultur zu verbessern und Behauptungen Fakten entgegenzusetzen. „Nicht zuletzt müssen Verfassungsschutz, Strafverfolgungsbehörden und Justiz bei der Bekämpfung extremistischer Strukturen die sozialen Medien deutlich stärker in den Fokus nehmen.“