Der Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton spricht im Interview mit der Stuttgarter Zeitung über seine Rolle bei Mercedes und die Ehre, im Silberpfeil gewonnen zu haben.

Sport: Dominik Ignée (doi)

Stuttgart - Nach dem Gewinn seines zweiten WM-Titels ist Lewis Hamilton zu Gast bei Stars and Cars in Stuttgart gewesen. Dort haben ihn 50 000 Rennsport-Fans gefeiert. „Ich bin nun Teil der Geschichte der Silberpfeile“, sagt der Rennfahrer und ist darauf stolz.

 
Herr Hamilton, wie intensiv war die WM-Party in Abu Dhabi?
Wir haben keine große Party gefeiert.
Das ist ja traurig.
Wir sind etwas später ins Hotel gegangen. Dort habe ich mit meiner Familie im Restaurant gegessen. Alle waren müde, und ich war müde von der Nacht vor dem Rennen, in der ich wenig geschlafen hatte. Wir haben uns gesagt: Wenn wir die Weltmeisterschaft gewinnen, dann müssen wir raus gehen! Wir waren eine Weile bei der Party mit dem Team, aber dann habe ich gesagt: Oh nein, ich würde lieber schlafen gehen.
So haben Sie also Niki Laudas extravagante Tanz-Einlagen verpasst.
Leider ja. Aber ich hatte am nächsten Morgen eine Pressekonferenz, da wollte ich vorher nicht zu viel trinken. Und so fühlte ich mich am Montagmorgen fantastisch.
Sie mussten nach dem Titelgewinn viele Termine wahrnehmen. Ist das anstrengender als im Rennwagen zu sitzen?
Es ist großartig, den Fans und Medienleuten Antworten zu geben. Ich habe seit dem Rennen keinen Tag relaxt. Ich dachte sogar schon, ich werde jetzt etwas krank. Diesen Montag habe ich jetzt frei, doch schon am Dienstag bin ich wieder in England, dort stehen einige Ehrungen an. Und ich muss für die Weihnachtsfeier in der Fabrik in Brackley noch 1500 Karten unterschreiben – das wird eine Weile dauern.
Haben Sie zur Feier des Tages Ihren beiden Hunden auch etwas geschenkt?
Ich soll meinen Hunden Geschenke machen? Meine Hunde hätten mir Geschenke machen müssen.
Sie sind zum zweiten Mal nach Ihrem Titel 2008 bei Stars and Cars in Stuttgart. Was hat sich für Sie persönlich verändert?
Ich hatte hier auch früher eine großartige Zeit. Aber ich war damals noch jung. Es war ein anderes Kapitel in meinem Leben. Meine Emotionen und mein Verständnis von der Welt waren damals anders. Ich habe Dinge anders bewertet, bin mit Situationen anders umgegangen. Ich habe gelernt, dass ich mir für manche Dinge mehr Zeit nehmen muss, dass ich diese hohe Geschwindigkeit in meinen Leben verringern muss.
2011 war ein hartes Jahr für Sie. Sie kämpften gegen Felipe Massa, und im Privaten befand sich die Beziehung zu Ihrer Freundin Nicole Scherzinger in der Krise. Kann man sagen: Lewis Hamilton war damals ein Junge – heute ist er ein Mann?
Es ist nicht so, als wäre ich in ein Paar neue Schuhe geschlüpft. Es passiert mit einem etwas, das man nicht realisiert. Es stimmt schon: Ich war mit 23 fast noch ein Kind. Dieses Kind trage ich noch in mir und habe mich als Person nicht verändert. Ich liebe es immer noch, dieselben Dinge zu tun und bin immer noch mit meiner Familie eng verbunden. Aber ich bin in den vergangenen Jahren reifer geworden, erwachsener.
Sie leben in Monaco, kennen großartige Plätze dieser Welt. Wie wirkt Stuttgart auf Sie?
Immer wenn ich an Stuttgart denke, denke ich an Hugo Boss und Mercedes-Benz.
In dieser Reihenfolge?
Umgekehrt. Immer wenn ich herkam, dann wegen Mercedes und ich besuchte auch Hugo Boss. Das sind meine beiden Anlaufstellen. Stuttgart ist für mich die Mercedes-City, es arbeiten ja so viele Menschen hier. Mir wird dabei klar, dass ich nur ein Sandkorn in der großen Mercedes-Welt bin.
Aber Sie sind eines der bekanntesten Gesichter des Konzerns. Ist das keine Ehre?
Ehre ist, wenn man von der Queen empfangen wird. Es ist eher Stolz. Ich bin nun Teil der Geschichte der Silberpfeile. Ich habe die Enkelin von Carl Benz getroffen, und sie sagte zu mir, dass ich die Geschichte ihres Großvaters fortgeschrieben hätte. Ich bin stolz darauf, die Silberpfeil-Ära wieder aufleben zu lassen.
Sie sind der Silberpfeil-Weltmeister nach Juan Manuel Fangio. Man könnte Sie jetzt als Formel-1-Legende bezeichnen.
Ich weiß nicht, ob man das kann. Ich habe 2008 die Weltmeisterschaft gewonnen (damals mit McLaren-Mercedes, Anm. d. Red.), also siegte Mika Häkkinen 1998 als Erster mit einem Mercedes-Motor. Die Marke gewinnt also schon seit langer Zeit.
Ferrari dominierte fünf Jahre die Formel 1, Red Bull vier Jahre – stehen wir vor einer neuen dominanten Phase?
Das ist absolut möglich, es ist definitiv der Beginn von etwas ganz Besonderem. Wir haben ein tolles Team mit einem großartigen Management. Darauf können wir aufbauen, und wenn wir das fortsetzen, was wir in dieser Saison begonnen haben, halte ich es nicht für ausgeschlossen. Aber wir müssen auch aus diesem Jahr lernen und weiter hart arbeiten.
An einer Sache haben Sie schon gearbeitet. An ihrem Auto wird nicht die Zahl eins des Weltmeisters kleben, sonder die 44.
Niemand hat diese Nummer. Die 44 ist eine sehr spezielle Zahl für mich. Jeder, der die WM gewinnt, bekommt die Nummer eins. Doch die 44 ist meine Nummer. Der Motorradchampion Valentino Rossi ist mit der 46 unterwegs, aber jeder weiß natürlich: er ist die Nummer eins und der Größte.
Auch Niki Lauda war einmal der Größte seines Fachs. Nun ist er Team-Aufsichtsrat bei Mercedes. Haben Sie von ihm gelernt?
Weder Ron Dennis, noch Ross Brawn oder Niki Lauda mussten mir sagen, wie ich zu fahren habe und was ich zu tun habe. Niki im Team zu haben, ist aber deshalb großartig, weil er als einziger weiß, wie groß der Druck ist, wenn man um die Formel-1-Weltmeisterschaft fährt. Er versteht die Mentalität der Fahrer. Aber er sagt mir nie, wie ich mich verhalten soll.
Kritisiert er Sie manchmal wegen Ihres Lebensstils?
Nur weil ich dunkelhäutig bin und Diamant-Ohrringe liebe, muss ich doch nicht gleich ein Rapper sein. Das ist schon komisch, wie Leute dir ein Etikett aufkleben. Auch wenn ich Diamanten mag, kann ich mich auf meinen Job als Rennfahrer konzentrieren – immerhin bin ich 2014 Weltmeister geworden.
Sie haben mit 29 Jahren noch Zeit. Wie viele Titel werden Sie insgesamt holen? Drei oder vier – oder sogar sieben?
Ich bin nicht in die Formel 1 gekommen und habe mir vorgenommen, zehn Titel zu gewinnen. Viele Piloten werden überhaupt nie Weltmeister, man muss dankbar sein, wenn es einem einmal gelingt. Ich bin sehr stolz, auf das, was ich bisher geschafft habe: diese beiden Weltmeisterschaften. Ich werde versuchen, wieder eine Siegchance zu bekommen. Dafür werde ich aber noch härter arbeiten, denn ich weiß, dass ich besser werden kann. Und ich weiß auch, dass Nico stark zurückkommen wird.
Die sieben Titel von Michael Schumacher werden womöglich noch lange Rekord bleiben. Denken Sie nach dessen schwerem Skiunfall an ihn und auch an den Franzosen Jules Bianchi, der nach seinem Formel-1-Crash im Koma liegt?
Ich schließe Michael sehr oft in meine Gebete ein. Und es fällt nicht leicht, darüber nachzudenken, was in der Formel 1 alles passieren kann. Wie etwa das mit Jules. Er ist so ein talentierter Kerl – und dann passiert so ein schlimmer Unfall. Ich weiß nicht im Detail wie es ihm geht, ich weiß nur, dass es eine harte Zeit für seine Familie ist. Das werden wohl die schwersten Weihnachten für sie sein. Ich hoffe für beide, dass es ihnen bald wieder besser geht.“