Die Chinesen schätzen Deutschland als ihren wichtigsten Partner in Europa. Dennoch ist die Stimmung beim Antrittsbesuch des neuen Premiers Li Keqiang in Berlin getrübt durch den heftigen Streit über EU-Strafzölle auf chinesische Solarmodule.

Peking - Als Angela Merkel im vergangenen August Chinas scheidendem Premier Wen Jiabao ihren Abschiedsbesuch abstattete, äußerte sie ein Versprechen, das die Chinesen gründlich missverstanden. Sie werde sich bemühen, europäische Strafzölle auf chinesische Solarmodule zu verhindern, erklärte die Kanzlerin damals. Chinas Medien und Unternehmen sahen darin prompt die Zusicherung, dass Merkel die drohenden Antidumpingmaßnahmen aus der Welt schaffen werde. Schließlich wird Deutschlands Kanzlerin in der Volksrepublik gern als die inoffizielle EU-Präsidentin gesehen, und wer die europäischen Regierungen in der Eurofrage auf Kurs bringen kann, sollte doch auch die Wettbewerbshüter an die Leine legen können.

 

Erste Auslandsreise nach der Amtsübernahme im März

Wie groß dieser Irrtum ist, zeigt sich beim Antrittsbesuch von Wens Nachfolger Li Keqiang. Am Sonntag traf Chinas neuer Ministerpräsident Li Keqiang in Berlin mit Angela Merkel zusammen. Die beiden kennen einander bereits, denn Li hatte als Vizepremier fünf Jahre Zeit, sich auf das Amt des Regierungschefs vorzubereiten. Es ist seine erste Auslandsreise nach der Amtsübernahme im März. Deutschland ist das einzige EU-Land auf der Reiseroute. Die Reise des neuen Premiers, der für die nächsten zehn Jahre Chinas Regierung führen soll, wird überschattet vom noch immer ungelösten Solarstreit: Ab dem 6. Juni sollen in der EU Antidumpingtarife von durchschnittlich 47 Prozent in Kraft treten.

Chinas Regierung hat bereits Gegenmaßnahmen angekündigt. Es droht ein chinesisch-europäischer Handelskrieg, wenn die EU-Kommission ihre Wettbewerbsstrafe nicht noch im letzten Moment kippt. Ob dies passiert, ist nach chinesischem Dafürhalten nur eine Frage des politischen Willens, vor allem in Berlin. Li erwartet nicht weniger, als dass Kanzlerin Merkel in dieser Frage gegenüber ihren europäischen Amtskollegen ein ähnliches Durchsetzungsvermögen an den Tag legt wie bei ihren Euro-Rettungsplänen.

Chinas Rolle ist umstritten

Grundsätzlich sind die Deutschen für Chinas Diplomaten die liebsten Europäer, und ein guter Draht nach Berlin ist in den vergangenen Jahren zu einer Säule der chinesischen Außenpolitik geworden. Trotzdem sind Pekings Bande in ausländische Hauptstädte stets unter Spannung. Zu umstritten ist Chinas Rolle in der internationalen Politik und Wirtschaft, allzu groß sind die Interessenkonflikte, die sich durch keine Freundschaftsbeteuerungen verdecken lassen. Statt einer unbeschwerten Feier der guten deutsch-chinesischen Beziehungen ist der Besuch des neuen chinesischen Regierungschef Li deshalb ein schwieriger diplomatischer Spagat.

Für Merkel ist der Streit über die Solarstrafen doppelt gefährlich: Neben einem europäisch-chinesischen Handelskrieg droht auch das Erkalten der guten Beziehungen zwischen Berlin und Peking. Kein europäischer Staat muss einen protektionistischen Schlagabtausch mit der Volksrepublik mehr fürchten als Deutschland, für dessen Exportwirtschaft China längst ein Schlüsselmarkt geworden ist. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt vor dem Verlust Tausender deutscher Arbeitsplätze. Merkel und andere Politiker distanzierten sich gegenüber Li von der europäischen Antidumping-Entscheidung und versprachen erneut nach einer Verhandlungslösung zu suchen. Die Angst vor chinesischen Racheakten lässt vergessen, dass hinter der europäischen Antidumpingklage maßgeblich deutsche Solarunternehmen stehen, die ihrerseits ebenfalls den Verlust Tausender Jobs beklagen, weil chinesische Konkurrenten angeblich mit manipulierten Preisen den Markt kaputt gemacht hätten.

Damit werden die deutsch-chinesischen Beziehungen stärker auf die Probe gestellt, als es beiden Seiten lieb ist. Immerhin verweist man in Berlin stolz darauf, dass Li bei seiner ersten Auslandsreise als Regierungschef gleich Deutschland besucht, nach Stationen in Indien, Pakistan und der Schweiz. Lis Chef, Chinas Präsident Xi Jinping, reiste allerdings zuerst nach Russland und in drei afrikanische Länder, und wird im Juni in Lateinamerika und den USA erwartet.

Noch gelten die Deutschen in China als die „Guten“

Zwar sind sich Chinas Diplomaten durchaus bewusst, dass Merkels Machtfülle auf europäischer Ebene beschränkt ist und die Abwendung von Solarzöllen und anderen schwebenden Antidumpingverfahren, etwa gegen chinesische Telekomausstatter, nicht allein in ihrer Hand liegt. Doch in Peking kennt man auch die Angst europäischer Regierungen, es sich mit China zu verscherzen, und benutzt diese gerne, um einzelne Länder gegeneinander auszuspielen. Dabei sind die Rollen klar verteilt.

Noch gelten die Deutschen in China als die „Guten“, die im Interesse von wirtschaftlicher Kooperation auf allzu laute Kritik verzichten. Die „Bösen“ sind dagegen derzeit die Briten: Nachdem Premier David Cameron im vergangenen Jahr den Dalai Lama getroffen hat, ist das Verhältnis zwischen Peking und London angespannt. Britischen Medienberichten zufolge musste Cameron sogar eine für April geplante Chinareise absagen, weil kein chinesischer Politiker ihn treffen wollte. Wie schnell sich die Rollen ändern können, wüsste keiner besser als Merkel: 2007 war sie nach einem Treffen mit dem Dalai Lama in Peking geächtet. In eine solche Position will man in Berlin nicht noch einmal gelangen.