Der Stuttgarter Joachim Fleischer spielt in seinen Arbeiten mit Licht und Schatten. Er hat freie Hand bekommen und aus der StZ-Reportagenseite ein Kunstwerk gemacht.

Regio Desk: Achim Wörner (wö)

Stuttgart - Ein greller Strahl tastet sich an einer grauen Wand entlang, durch den Raum, fächert sich auf, wirkt wie ein hälftiger Sonnenkranz. An der mittig angeordneten Lichtquelle wiederum entspringt zugleich der Schatten, der sich in entgegengesetzter Richtung ausbreitet. Grautöne changieren, so dass sich dem Auge des Betrachters ein wunderbares Vexierspiel bietet. „Weiß frisst Schwarz, Schwarz frisst Weiß“, sagt Joachim Fleischer dazu. Er hat das Bild entworfen, das an Yin und Yang erinnert, jene – wie bei Licht und Schatten – diametralen und dennoch aufeinander bezogenen Kräfte der chinesischen Philosophie. Doch was auf den ersten Blick real erscheint, ist nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Computeranimation eines fiktiven, abstrakten Raumes – entworfen eigens für die Stuttgarter Zeitung, gedacht als ein „Extrakt meiner Parameter“, wie der Lichtkünstler befindet. Er ist gefragt und bereitet im Moment unter anderem auch als Kurator das Projekt „Aufstiege“ der Kulturregion Stuttgart vor, bei dem im Herbst in 27 Städten und Gemeinden im Ballungsraum am Neckar Arbeiten mit und über Licht, Lichtkunstwerke, gezeigt werden.

 
Joachim Fleischer

Joachim Fleischers Ideenschmiede befindet sich seit mehr als zehn Jahren auf dem ehemaligen SKF-Gelände unterhalb des Stuttgarter Pragsattels. Der Weg ins Atelier ist in dem ehemaligen Industrierevier nicht leicht zu finden, führt vorbei am „Nord“, einer der Bühnen des Staatsschauspiels, vorbei auch an der Probebühne des Theaterhauses. All das versprüht einen kreativen Geist. Und den versprüht auch Joachim Fleischer selbst an diesem Abend beim Gang durch sein Domizil und beim drei Stunden langen Gespräch über sein Leben und seine Arbeit.

Joachim Fleischer, ganz uneitel, von ruhiger Art, aber mit klaren Vorstellungen, hat es das weiße Licht angetan, in dem – so gesehen – alle Farben vereint sind. Die Reinheit, die Neutralität fasziniert ihn, für den das Licht Material ist „wie die Farbe für den Maler“. Sichtbar wird dieses Material erst durch das Auftreffen auf eine Fläche – und bietet dennoch eine „Fülle von Ausdrucksformen“. Es ist schlicht „faszinierend“, wie er sagt. Zieht an der Gauloises und lässt Rauch aufsteigen, nicht ganz weißen Rauch.

Er setzt das Ulmer Münster neu in Szene

Was sich mit weißem Licht anstellen lässt, ist nur 75 Kilometer südlich von Stuttgart zu begutachten, am Ulmer Münster genau. Dort ist eine von Joachim Fleischers aktuellsten wie spektakulärsten Installationen zu besichtigen. Eingebaut wurde sie zum 125-Jahr-Jubiläum der Fertigstellung der Kirche, nun ist eine Dauereinrichtung daraus geworden. Der 1890 vollendete Bau wird durch die kinetische Lichtinstallation auf ganz neue Art und Weise in Szene gesetzt und erlebbar gemacht, erscheint durch „Münsterscanning“ buchstäblich in einem völlig neuen Licht, was nicht zuletzt beim Publikum begeisterte Reaktionen ausgelöst hat.

Bei der Umsetzung solch einer Idee ist der Tüftler Joachim Fleischer gefragt, der die technischen Aufbauten in Prototypen erprobt und überprüft. Nichts ist am Ende dem Zufall überlassen, die Details sind genau überlegt. Acht LED-Lichtquellen sind im 160 Meter hohen Turmhelm auf Schienen eingebaut, um gefahren werden zu können. Das simpel anmutende Konstrukt ist in Wirklichkeit komplex. Wasserkühlung und Schleppkabel gehören dazu. Die „Lichtverfahreinheiten“ sind entsprechend programmiert, daraus entsteht eine Art Choreografie. „Das Licht bewegt sich durch den Raum“, sagt Joachim Fleischer, „scannt die Kirche ab und macht so deren Architektur nachvollziehbar.“ Licht wird in das Innere des Turmes transportiert, füllt den Raum, und umgekehrt wird der Turmhelm wieder entleert und das Licht nach außen transportiert.

Die Kunst hat Joachim Fleischer früh beseelt. Geboren 1960, aufgewachsen in Höll Alttann im Oberschwäbischen, hat es ihn Anfang der 1980er Jahre nach Stuttgart verschlagen zum Studium an der Akademie der Bildenden Künste unter anderem bei Jürgen Brodwolf. Schon früh hatte er ein Faible für das Licht und machte rasch überregional auf sich aufmerksam – unter anderem 2004 mit seiner viel beachteten Installation „Licht gießen“ am Wehrsteg der Isar in München. Dort setzte er an den Staustufen fallende Wassermassen mit seiner kinetischen Lichtinstallation in Szene – und verleiht bis heute dem Industriebauwerk nächtens etwas Poetisch-Kontemplatives.

Der Künstler ist auch ein Erfinder

Tatsächlich geht es Joachim Fleischer aber nicht um die „Illumination“ von Räumen, die Inszenierung von Bauten. Deshalb passt das platonische Höhlengleichnis so gut zu seinem Ansatz, die Episode aus der griechischen Antike über Menschen, die fest angebunden nach vorne auf eine Wand blicken, während hinter ihnen Feuer lodert – und so Dinge als real wahrnehmen, wo es sich in Wirklichkeit um Schatten und Abbildungen des wahren Seienden handelt. Joachim Fleischer spielt mit statischen oder beweglichen Lichtquellen, mit Licht und Schatten, mit der Verfremdung von Gegenständen und Objekten. Er baut komplizierte technische Apparaturen, rafft die Zeit und unsere Wahrnehmung darüber und macht die technoide Maschinenwelt zu Werkzeugen seiner Welterkundung. Roboter etwa, die nicht zur Produktion dienen, sondern zu Bildermaschinen werden und die anstelle von Gütern Sinnlichkeit und Erkenntnisprozesse erzeugen. Der Künstler ist in diesem Fall zugleich ein Erfinder. Er nutzt, er be-nutzt die Maschinen mit ihren Prozessabläufen, lässt einfache geometrische Körper oder auch Drahtgeflecht vom Licht abtasten. Ihre Schattenbilder wandern über Böden, Wände, Decken. Die Vielfalt der entstehenden Bilder macht trotz der Reduzierung auf wenige Objekte die inhaltlichen Ebenen und Bedeutungsverwandlungen zwischen Objekt und Abbild, dem Schatten, deutlich. So entstehen faszinierende Gebilde, die kaum vom Betrachter erfasst sich schon wieder verändern, die eine Körperlichkeit suggerieren, die eine Entgrenzung und Aufhebung zwischen Zwei- und Dreidimensionalität ausprägen. Mit seinem analogen Verfahren erzeugt er digitale Erscheinungsbilder: ein Dazwischen.

Die Frage, die Joachim Fleischer dabei bewegt, ist die nach Erkenntnis. Er regt Denkprozesse an, die die Möglichkeit eröffnen, immer neue Entdeckungen zu machen, indem er die Frage nach Fiktion und Wirklichkeit und unserer Wahrnehmung stellt – so wie in der Computeranimation mit dem abstrahierten Lichtraum.

Diese Seite wurde exklusiv von Joachim Fleischer für die Stuttgarter Zeitung gestaltet.