Völlig losgelöst von der Erde: Der amerikanische Land-Art-Künstler James Turrell verschafft den Besuchern im Museum Frieder Burda in Baden-Baden körperliches Glück – mit nichts anderem als Licht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Baden-Baden - Wer weiß, ob sich das Sterben so anfühlt. Ein Gang durch einen Lichttunnel, in dem sich alle Materie auflöst. Die Konturen verflüchtigen sich, es gibt kein Oben, kein Unten mehr. Nichts als ungreifbare Energie, Farben, Licht, reine Schönheit. Es ist ein Erlebnis besonderer Art, in die Lichträume von James Turrell einzutauchen. Mal wird man von diffusem Weiß umgeben, dann wieder umschmeichelt einen ein sanftes Rosarot so geheimnisvoll, dass einem ganz feierlich zumute wird. Grad so, als schwebe man auf einer Wolke.

 

James Turrell ist einer der erfolgreichsten Licht- und Land-Art-Künstler der Welt. Er verstrickt sein Publikum nicht in hermetische Kunstdiskurse, sondern appelliert an seine Sinne – und trifft es manchmal sogar direkt in der Seele. Turrells Installationen sind spektakulär und extrem aufwendig, weshalb das Museum Frieder Burda in Baden-Baden kaum wiederzuerkennen ist. „The Substance of Light“ nennt sich Turrells Solo-Schau, für die riesige Räume eingebaut werden mussten. Denn diese Installationen funktionieren nur bei absoluter Dunkelheit.

Von der Kunst der Wahrnehmung

Als „Perceptual Art“, also als „Kunst der Wahrnehmung“ bezeichnet James Turrell seine Arbeiten – doch wenn man etwa „Wedgework No VI“ betritt, geht es um mehr als nur die Wahrnehmung von Lichteffekten. Hinter einer Art Vorhang scheint sich eine Bühne zu öffnen, ein Raum, in dem durch Projektionen Lichtflächen erzeugt werden, die wie Trennwände schräg stehen, unwirklich und magisch. In diesen Lichträumen scheinen Raum und Zeit zu entgleiten und stellt sich ein Gefühl der Entschleunigung ein und fast meditative Ruhe. Und mitten in der Kunstbetrachtung begegnet man plötzlich sich selbst.

Am stärksten ist dieser Effekt beim „Ganzfeld Apani“, das Turrell 2011 bereits bei der Kunst-Biennale von Venedig vorgestellt hat. In diesem komplett weißen Raum, für den man Plastikfolie über die Schuhe ziehen muss, gehen Wände, Boden und Decke konturlos ineinander über. Der deutsche Begriff Apani stammt aus der Wahrnehmungspsychologie und bezeichnet eine Umgebung, die glatt und strukturlos ist, so dass der Blick nirgendwo Halt findet und man nur noch Licht wahrnimmt. An der Stirnseite scheint eine große Fläche zu schweben. Sie wechselt permanent die Farbe, ist mal rot, dann wieder gelb. Am imposantesten aber ist es, wenn alles in hellem Weiß erstrahlt, als werde man von Nebel umfangen.

Licht, das berührt, bewegt, verstört, beglückt

Diese ausgetüftelten Lichteffekte scheinen unmittelbar auf den Körper einzuwirken, sie evozieren verschiedenste Stimmungen, sie berühren, bewegen, verstören oder beglücken. Dann wieder kurzzeitiges Blitzen und Zucken, weshalb Schilder warnen, dass Menschen, die zu epileptischen Anfällen oder Halluzinationen neigen, bitte draußen bleiben sollen.

James Turrell dekliniert das Spiel mit dem Licht auf vielerlei Weise durch. In „Raethro Green“ von 1968 schwebt eine immaterielle, grüne Pyramide in der Ecke des Raumes. Aber auch in seinen Papierarbeiten verhandelt Turrell Licht- und Schatten und erzielt zum Teil ganz erstaunliche Effekte. In der Serie „First Light“ (1990) hat er weiße, geometrische Körper auf schwarz gefärbtes Büttenpapier aufgebracht, so schlicht wie faszinierend, weil diese gezeichneten Objekte im Raum hell leuchten, als seien es selbst Lichtquellen.

Weniger überzeugend und etwas dekorativ sind dagegen die Hologramme, bei denen Farbstreifen im dreidimensionalen Raum zu wandern scheinen oder plastische Scheiben schweben. Auch die beiden Rechtecke aus Licht, die sich im virtuellen Raum durchschneiden, erinnern an gängige Simulationen, die heute bereits einfache Computerprogramme ermöglichen.

Der Blick in den Himmel

Zum Abschluss des Rundgangs wird Turrells Lebensprojekt „Roden Crater“ vorgestellt. Er hat vor vielen Jahren in der Wüste von Arizona einen erloschenen Vulkan gekauft, den er sukzessive zu einem Himmelsobservatorium umbaut. 1,3 Millionen Kilo Erde wurden bereits bewegt, um in dem Krater Himmel- und Wahrnehmungskammern einzurichten. Darin sollen die Besucher – ohne konkurrierende Lichtquellen ringsum – zum Beispiel durch einen kleines Loch an der Decke Sonnenwenden beobachten können oder zusehen, wie die Erde sich dreht. Elegante Modelle geben einen Eindruck davon, wie diese Kammern gestaltet sein werden und machen Appetit, eines Tages selbst dort in den Himmel schauen zu können.

Und falls man je doch nicht nach Arizona kommen sollte, könnte man zumindest einen der Skyspaces besuchen, die Turrell an verschiedensten Orten der Welt errichtet hat – etwa 1974 in der Villa Panza in Varese. 2004 hat er im schweizerischen Zuoz in einem Hotel den Skyspace „Piz uter“ installiert, in dem sich durch eine Öffnung in der Kuppel eines Rundbaus das Farbenspiel des Himmels verfolgen lässt.

Kunst, die für jeden zugänglich ist

Damit wird Turrell seinem Anspruch gerecht, Kunst zu produzieren, die für jeden zugänglich ist. Aber selbst wenn es in den nächsten Wochen im Museum Frieder Burda entsprechend voll werden könnte, ist es doch ein besonderer Moment, wenn es in seinem „Ganzfeld Apani“ wie im Kino dunkel wird und die Besucher plötzlich andächtig und still werden – und jenseits des ständigen Trubels gemeinsam diesen erhebenden Moment der Ruhe und der Innerlichkeit erleben.

Bis 28. Oktober, geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr. Der Katalog ist im Hatje-Cantz-Verlag erschienen und kostet 48 Euro