Wegen des Artenschutzes dürfen öffentliche, private und gewerbliche Gebäude von April bis Oktober nachts nicht angestrahlt werden. Dennoch sieht man allerorten illuminierte Fassaden. Wie kann das sein?

Das Licht an der Festungsruine Hohenneuffen bleibt in der Nacht an – trotz eines strikten Beleuchtungsverbotes für Fassaden. In Esslingen werden die Stadtkirche und das Rathaus weiterhin ab Einbruch der Dunkelheit angestrahlt. Und das sind keine Einzelfälle: Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beklagt, dass die gesetzliche Regelung kaum beachtet werde.

 

Seit Februar 2023 ist es zwischen April und Oktober verboten, Fassaden aller „baulicher Anlagen“ – wie es im Landesnaturschutzgesetz heißt – nachts zu erhellen. Zum Beispiel mit Strahlern, die von unten nach oben das Gebäude anleuchten. Die Regelung gilt seitdem nicht mehr nur, wie zuvor, für Gebäude in öffentlicher Hand, sondern auch für Gebäude von Privatleuten und Firmen. Das Verbot dient dem Artenschutz, zu dem sich das Land verpflichtet hat.

Insekten werden von Licht angezogen. Foto: BUND

Denn mit dem Überfluss an künstlichem Licht habe der Mensch den Tag-Nacht-Rhythmus von Tieren gehörig durcheinandergebracht, erläutert Brigitte Heinz vom BUND-Landesverband. Die „Lichtverschmutzung“, so der Fachbegriff, betreffe ausnahmslos alle Arten. „Nachtaktiven Tieren, wie Nachtfaltern, Fledermäusen oder Igeln, stehlen wir Lebensraum. Den tagaktiven Arten, wie etwa den Singvögeln, nehmen wir die Ruhephasen und Rückzugsorte.“

Verbot wird häufig umgangen – mit Ausnahmegenehmigungen

Doch keine Regel ohne Ausnahme. Von diesem Instrument machen zum Beispiel die Staatlichen Schlösser und Gärten (SSG) für einige ihrer vielen Monumente im Land Gebrauch. „Die Beleuchtung der Festungsruine Hohenneuffen ist genehmigt“, teilt die Schlösserverwaltung mit. Für die Grabkapelle auf dem Württemberg zwischen Esslingen und Stuttgart liege eine Duldung vor. Zugleich heißt es auf Anfrage, dass nur bei wenigen Gebäuden eine Anstrahlung ausschließlich wegen der kulturellen Bedeutung erfolge. „In den meisten Fällen ist die Fassadenbeleuchtung aus Gründen der Verkehrs- und Gebäudesicherheit erforderlich.“

An der Burg ist das Licht von 22 bis 6 Uhr abgeschaltet

Darauf beruft sich auch die Stadt Esslingen. Die Beleuchtung des Rathauses sei gleichzeitig die Beleuchtung für den Platz und könne daher aus Sicherheitsgründen nicht abgeschaltet werden, informiert die Sprecherin der Stadtverwaltung, Nicole Amolsch. Und „für die Anstrahlung der Esslinger Stadtkirche haben wir eine Sondergenehmigung“. An der Burg wiederum schalte man die Beleuchtung im Sommer wie im Winter mit der Straßenbeleuchtung an und um 22 Uhr wieder aus.

Im Innenstadtbereich werde es „tatsächlich schwierig, gänzlich auf eine Beleuchtung von Gebäudefassaden zu verzichten, da dann schnell dunkle Bereiche entstehen könnten, die dem individuellen Sicherheitsgefühl abträglich sind“, räumt Clint Metzger, der Sprecher der Stadt Nürtingen, ein. Teilweise sei die Fassadenbeleuchtung mit der Wegebeleuchtung gekoppelt. Man wolle aber „einen verträglichen Mittelweg finden“.

Die Stadt Kirchheim, hebt deren Sprecherin Doreen Edel hervor, gehe hier „mit gutem Beispiel voran und verzichtet bewusst auf die Beleuchtung von Fassaden und Gebäuden“. Ausnahmen für die städtischen Wahrzeichen gebe es nicht, betont sie. Die Verwaltung habe die Netze BW beauftragt, sämtliche Beleuchtungen nachts abzuschalten.

Der BUND schickt „Nachtretter“ auf Streifzüge

Nach Einschätzung des BUND laufen die gesetzlichen Vorgaben bisher ins Leere. Um auf das Thema aufmerksam zu machen, sind daher seit einigen Jahren sogenannte Nachtretterinnen und Nachtretter im Einsatz. Das Projekt hat Brigitte Heinz zunächst in ihrer Heimatregion Rhein-Neckar-Odenwald eingeführt, inzwischen sind wohl auch im Kreis Esslingen Aktive unterwegs, um die nächtlichen Lichtquellen zu reduzieren. „Sie klären über Gefahren durch die Lichtverschmutzung auf, weisen Verantwortliche auf unnötig angestrahlte Gebäude, nach Ladenschluss beleuchtete Parkplätze oder zu helle Straßenbeleuchtung hin, beraten und geben Tipps, wie man es besser machen kann“, berichtet Brigitte Heinz.

Sie selbst geht auch auf nächtliche Streifzüge. „Meist muss man nicht weit laufen, bis man etwas findet“, erzählt sie. Bei Firmen und Supermärkten macht Heinz gern Fotos und schickt ihnen dann „einen netten Brief“ mit der Bitte, das Licht auszuschalten. „Für Privatleute haben wir das Nachtretter-Faltblatt, das wir in die Briefkästen werfen.“ Der BUND-Kreisverband Esslingen habe 300 Flyer zum Verteilen bestellt.

Beleuchtungsverbot

Hintergrund
Seit der Verabschiedung des Biodiversitätsstärkungsgesetzes im Juli 2020 gibt es Vorschriften zur Beleuchtung von Gebäuden der öffentlichen Hand. Im Februar 2023 wurde mit dem baden-württembergischen Klimagesetz der Paragraf 21 des Naturschutzgesetzes noch einmal verschärft und gilt nun auch für Firmengebäude und Privathäuser.

Vorgaben
Vom 1. April bis 30. September dürfen Fassaden überhaupt nicht beleuchtet werden, vom 1. Oktober bis 31. März nur bis 22 Uhr und dann wieder ab 6 Uhr.

Ausnahmen
Das Verbot gilt generell nicht, wenn Sicherheitsgründe dagegensprechen. Von dem Verbot nicht betroffen sind in der Regel auch keine Beleuchtungsanlagen, die mit Bewegungsmelder ausgestattet sind und daher nur bei Bedarf leuchten. Auch Lichtgirlanden an Balkonen sind nicht tangiert, da sie nicht zur Beleuchtung gegen die Hausfassade gerichtet sind.