Am Donnerstagabend haben die StZ und das Haus der Geschichte Baden-Württemberg zur gemeinsamen Podiumsdiskussion geladen. Deutlich wurde dabei vor allem eins: Die persönlichen Briefe von Adolf Mann an seine Daisy berühren die Leser zutiefst.

Stuttgart - Als Mario Pitz am Donnerstagabend auf der kleinen Bühne im Haus der Geschichte Baden-Württemberg (HDGBW) Platz nimmt, einen Brief in den Händen hält und mit den Worten „Liebe Daisy“ beginnt vorzulesen, braucht er nicht mehr als zwei Sätze, um das Publikum zurückzuversetzen – in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Auf einmal fühlt man mittendrin auf dem Schlachtfeld im Ersten Weltkrieg, zwischen Granateneinschlägen und Leichenteilen. „Ein erheblicher Erdklotz flog mir an den Hinterkopf“, rezitiert Pitz, „so dass ich einen Augenblick dachte, es wäre aus.“ Seit Anfang des Jahres druckt die StZ täglich einen dieser Feldpostbriefe von Adolf Mann an seine Freundin Daisy ab, Pitz hat für das Hörbuch die Briefe eingelesen und trägt drei von ihnen an diesem Abend im fast voll besetzten Saal des HDGWB live vor.

 

Die Briefe von Adolf Mann sind außerordentlich gut erhalten

Das Publikum ist aber nicht nur seinetwegen der Einladung zur Reihe „StZ im Gespräch“ ins Museum gefolgt: Der Leiter der StZ-Kulturredaktion, Tim Schleider, führt auf dem Podium durch den Abend. Außerdem von der StZ dabei: Erik Raidt, der Redakteur, der die Idee zu diesem Projekt hatte. „Das war tatsächlich ein Zufallsfund“, beantwortet er die Frage von Schleider, wie er denn auf die Briefe gestoßen sei. „Ich war zu einem ganz anderen Thema im Haus der Geschichte und bin in einem Gespräch dann auf die Feldpost von Adolf Mann gestoßen“, sagt Raidt. Von diesen Briefen erzählt hatte ihm Paula Lutum-Lenger, die Ausstellungsleiterin im HDGBW und an diesem Abend neben Raidt auf dem Podium. „Wir haben insgesamt 1400 Briefe über einen Zeitraum von vier Jahren von Adolf Mann erfasst“, erzählt sie. „Sie sind alle in einem außergewöhnlichen Zustand und in einer guten Schrift verfasst.“

Im Rahmen der Ausstellung „Fastnacht der Hölle“, die ab 4. April in dem Museum zu sehen ist, haben Lutum-Lenger und ihre Mitarbeiter die Briefe gesichtet, sortiert und einzeln aufgenommen. „Für uns ist es wichtig, dass die Ausstellungsobjekte persönlich und individuell sind“, sagt Lutum-Lenger, „denn nur so können wir Geschichten erzählen, die unsere Besucher auch berühren.“ Im wahrsten Sinne berühren soll die Ausstellung zum Ersten Weltkrieg die Besucher, wie der Ausstellungsleiter Sebastian Dörfler sagt: „Die Idee ist, alle fünf Sinne anzusprechen und den Besuchern ein Gefühl zu vermitteln, wie es zu Kriegszeiten gerochen und geschmeckt hat, wie es sich angefühlt hat.“

Gefühle hatten an der Front nichts zu suchen

Die Briefe von Adolf Mann spielen dabei eine wichtige Rolle, denn in ihnen wird vor allen Dingen ein ganz bestimmtes Gefühl verdeutlicht, wie Dörfler sagt: „Seine Sehnsucht nach Daisy und nach seiner Heimat hat er immer wieder betont und exzellent in Worten ausgedrückt.“ Auch deswegen sind die gut erhaltenen Briefe ein seltener Glücksfall, sagt Erik Raidt: „Ängste und Nöte hatten für Soldaten an der Front keinen Platz, die Männer durften ja kaum Gefühle zeigen.“ Für Adolf Mann muss das Schreiben wie eine Form der psychischen Entlastung gewesen sein, vermutet Raidt: „Das spannende an der Arbeit mit den Briefen war, dass ich immer mehr Facetten von diesem Mann kennenlernte und ihn so nach einer Weile immer besser einschätzen konnte.“ Dazu beigetragen haben auch die Gespräche mit Adolf Manns Tochter, Sibylle Fischer. Die 86-Jährige ist am Donnerstagabend bei der Podiumsdiskussion in der ersten Reihe dabei, verfolgt gespannt das Geschehen, nickt immer wieder zustimmend.

Auch bei der anschließenden Fragerunde zeigt sich, wie persönlich und emotional der Erste Weltkrieg und der Briefwechsel zwischen Adolf Mann und Daisy für die StZ-Leser ist, die durch den täglich erscheinenden Briefwechsel an den beiden Leben Anteil haben. So möchte ein Zuschauer wissen, warum es keine Antwortbriefe gäbe. „Die gab es zwar, aber die hat Daisy alle vernichtet“, beantwortet Erik Raidt die Frage. „Vermutlich wollte sie sich ihren eigenen Erinnerungen an die Kriegszeit nicht mehr stellen.“