Liebe und Leid einer Powerfrau Wie eine Esslingerin zur Zarin wurde
Ein Workaholic wirbelt das Nachbarland durcheinander: Eine Esslingerin schreibt niederländische Geschichte. Eine Biografie beleuchtet das Leben von Maria Völter.
Ein Workaholic wirbelt das Nachbarland durcheinander: Eine Esslingerin schreibt niederländische Geschichte. Eine Biografie beleuchtet das Leben von Maria Völter.
Eine arme Halbwaise arbeitet als Gouvernante bei einer reichen Familie und verliebt sich in den Sohn ihrer Herrschaft. Herzschmerz gibt es auch - doch das Leben von Marie Völter hat mehr zu bieten als eine verbotene Liebe. Die gebürtige Esslingerin stieg zur „Zarin“ eines verschlafenen Nests in den Niederlanden auf, das sich dank ihr zu einer Boomtown herausputzte. Der Journalist René van der Heijden hat ein Buch über die Powerfrau geschrieben.
Esslingen wurde ihr zu eng. Dennoch nahm sie ihre Heimatstadt mit in die Fremde. Dabei lief anfangs alles gut für Marie Völter. Als Tochter eines Lehrers lebte die 1854 Geborene wohlbehütet in der Esslinger Webergasse: „Von ihrem Fenster aus konnte sie das Rathaus sehen“, sagt René van der Heijden.
Doch der Vater stirbt. Marie, gerade elf Jahre alt, ist ein Papakind und leidet unter dem Verlust. Finanznöte kommen hinzu. Die Familie muss innerhalb Esslingens in beengtere Verhältnisse zu Verwandten ziehen. Die Mutter ist mit den sechs Kindern überfordert. In ihrem Frust zieht sie über Maries geliebten verstorbenen Vater her: Er hätte die Familie besser absichern müssen.
Das Gezeter treibt Marie aus dem Haus. Mit 18 Jahren geht sie nach Paris, lernt Französisch und bekommt wohl über religiöse Verbindungen Kontakt zu holländischen Freunden. Sie vermitteln ihr einen Job als Gouvernante bei der reichen Familie van Reenen im niederländischen Bergen. Bei ihrer Ankunft ist sie 19 Jahre, Jacob, der Sohn ihres Arbeitgebers, 14 Jahre alt. Später werden sie sich ineinander verlieben.
Auch mit der Liebesgeschichte hat sich René van der Heijden beschäftigt. Der niederländische Fernsehjournalist, Buchautor und Romancier ist tief in die Biografie von Marie Völter eingetaucht. Vor vielen Jahren, berichtet er im Online-Interview, besuchte er zufällig den Vortrag einer der Urenkelinnen über ihre Vorfahrin. Er war sofort fasziniert. Viel Lektüre habe es nicht gegeben über die Esslingerin, die niederländische Geschichte schrieb, sagt er. Der 61-Jährige machte sich an die Recherchen, sprach mit Nachfahren, wälzte Bücher, stöberte in Archiven, sprach auch im Esslinger Stadtarchiv vor. Drei Jahre hat er nach eigenen Angaben an seinem Buch gearbeitet.
Maries Magie verzauberte auch ihn. Willensstark, lebensklug, weltgewandt, charismatisch war sie wohl. Doch der Zauber, den sie auf Jacob van Reenen, den Sohn ihres Arbeitgebers, ausübte, war laut René van der Heijden auch psychologischer Natur. Jacob war zwar der älteste Sohn und damit Erbe von Gütern, Titeln und Ämtern, doch sein Vater zog den jüngeren Bruder vor, den er für den geeigneteren Nachfolger hielt. Marie gab dem zurückgesetzten Erstgeborenen Selbstvertrauen, Rückhalt, Liebe.
Aber die Familie ihres Liebsten hatte etwas dagegen. Sie schickten die Gouvernante nach Finnland, um sie somit scheinbar außerhalb der Reichweite ihres Sohnes zu bringen. Doch Jacob reiste der Angebeteten nach. Wenig später heirateten sie. Es sei eine glückliche Verbindung gewesen, sagt René van der Heijden.