Böblingen: Carola Stadtmüller (cas)

Heute weiß es Ute Mickerts besser: "Die Frauen sind nicht dumm. Die Täter sind hochkriminell." Der Schock ihres Lebens ließ ihr damals keine Ruhe. Sie hatte zwar kein Geld überwiesen, aber schnell lernte sie durch Recherchen im Internet Frauen kennen, die ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten. Eine Botschaftsmitarbeiterin aus Schweden, eine Künstlerin aus Bayern, eine Verkäuferin aus Stuttgart und eine Bankmitarbeiterin vom Bodensee, die Depots ihrer Kunden leer geräumt, mehr als 240.000 Euro nach Nigeria überwiesen hatte. Tatsächlich ist der "Love-Scam", der Liebesbetrug, die neueste Methode der "Nigeria-Connection", die seit den 80er Jahren ihr Unwesen treibt. Bekannt sind deren berüchtigte E-Mails, Faxe und Briefe über Erbschaften, die angeblich nur mit fremder Hilfe außer Landes gebracht werden können. Helfern wird für ihre Unterstützung eine erkleckliche Summe geboten - die sie nie bekommen.

 

"Der Liebesbetrug ist eine noch perfidere Methode", sagt Harald Schmidt von der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes aus Stuttgart. Er ist durch Ute Mickerts vor gut zwei Jahren auf das Problem aufmerksam gemacht worden. Auch für die Polizei ist das Thema noch recht neu. "Liebesbetrüger sind nicht leicht zu erkennen. Ich verwahre mich gegen die Meinung, dass die Opfer dumm sind", sagt Schmidt. Trotzdem sei es schwierig zu helfen, denn die wenigsten Opfer erstatteten überhaupt Anzeige. "Die Frauen schämen sich, dass sie ihrem gesunden Menschenverstand nicht vertrauen konnten", sagt Ulrich Heffner, Sprecher des Landeskriminalamts Stuttgart. Weder bundesweit noch bei einem der 16 Länderabteilungen sind die Fälle von Liebesbetrug erfasst. Um eine Statistik zu erstellen, müssten aus Straftaten Gerichtsakten werden. Und das passiert in der Praxis so gut wie nie.

Die Verbindung ist schlecht - aber vor Liebe Blinde vertrauen

Der Schmerz und der finanzielle Schaden sind nur eine Seite des Problems. "Die Frauen werden teils auch noch kriminalisiert", sagt Ute Mickerts. Häufig sendet der Betrüger einen gefälschten Scheck mit einer großen Summe, bittet die Frau, diesen einzulösen, ihm aber per Barscheck einen Vorschuss zu schicken. Sie könne dann ja die Schecksumme auf ihrem Konto gutschreiben, den Vorschuss und eine kleine Summe als "Dankeschön" abziehen und ihm später den Rest schicken. Ute Mickerts weiß von Fällen, in denen gegen betroffene Frauen wegen Scheckbetrugs und Geldwäsche ermittelt wurde.

Inzwischen ermittelt sie selbst und hilft Frauen über ihre Homepage. Sie weiß heute: Olivier Hugo, der Soziologe aus London, war ebenso wenig echt wie all die anderen wohlsituierten und gebildeten Amerikaner oder Briten, die Kontakte zu den Frauen aufgenommen hatten. Auch wenn die Anrufe mit einer amerikanischen Vorwahl ankamen. Das funktioniert technisch ohne Probleme mit Internettelefonie. Die sogenannte IP ist dabei eine Art Heimatadresse der Internetverbindung - aber eben nicht des Ortes, wo der Computer steht. Ute Mickerts ist inzwischen ein Meister im Entschlüsseln dieser Adressen. Die IP-Adressen aus den betrügerischen E-Mails, das hat sie herausgefunden, gehören nicht in die USA, sondern zu Rechnern in Nigeria. Auch sämtliche Fotos, die im E-Mail-Korb der Opfer landen, sind gestohlene Identitäten. Rechtschaffene Männer werden so ebenfalls zu Opfern. Sogar Unterhaltungen übers Internet mit Kameras werden lippensynchron gefälscht. Man sieht einen weißen Mann sprechen, die Stimme dazu kommt aus Schwarzafrika. Die Kamera wackelt ein bisschen, die Verbindung ist schlecht und wird manchmal unterbrochen. Vor Liebe und Sehnsucht Blinde glauben und vertrauen.

2000 Euro per Barscheck für eine erfundene Operation

Dann schreibt er, dass er geschäftlich nach Nigeria müsse. Er arbeite für eine Ölgesellschaft. "Nichts hat in meinem Kopf geläutet", sagt Ute Mickerts. Auch aus Afrika ruft er täglich mehrere Male an. Dann schweigt das Telefon plötzlich. Es klingelt nicht um acht Uhr wie sonst, auch nicht um halb neun oder neun. Nicht um zehn, nicht um elf. Großer Gott, da wird doch nichts passiert sein? Doch.

"Er rief an und sagte mir, dass er mit dem Mietwagen ein kleines Mädchen angefahren habe und jetzt bei der Polizei sei, weil er die Kosten für eine Operation des Mädchens übernehmen solle. Er komme nicht an sein Konto, weil man ihm alle Papiere abgenommen habe. Ich sei sein einziger erlaubter Anruf", erzählt Ute Mickerts. Olivier Hugo bittet sie, ihm 2000 Euro per Barschecküberweisung an die Western Union Bank zukommen zu lassen. Noch immer läuten bei ihr keine Alarmglocken. "Ich dachte mir: du kannst doch den armen Kerle nicht hocken lassen. Ich wollte ihm gleich am nächsten Morgen das Geld schicken."

Monatelang hatte der Betrüger die große Liebe vorgespielt

Trotzdem erzählt sie abends ihrem Sohn von der Sache und zum ersten Mal auch von ihrer Internetliebe Olivier Hugo. Der hatte sie nämlich seither immer zur Verschwiegenheit angehalten. Es sei doch so ein schönes Geheimnis zwischen ihnen. Und erst, wenn er dann mal zu Besuch komme, dann könnten sie doch die ganze Familie und alle Freunde überraschen. "Mein Sohn sagte sofort: Mensch Mama - Nigeria, Western-Union, Barscheck, weißt du denn nichts von der Nigeria-Connection?"

Was dann mit ihr geschah, erscheint Ute Mickerts heute wie ein Albtraum. Sie ist betrogen worden, monatelang. "Ich war dermaßen geschockt, ich konnte nicht glauben, was ich doch langsam begriff", sagt sie. Sie dreht fast durch, steht völlig neben sich, fährt stundenlang mit dem Auto herum und weiß nicht, wohin mit ihren Gefühlen: Hass, Scham, Verzweiflung. Olivier Hugo, dieser seelenverwandte Mann, der all ihre Gefühle zu erraten schien, hatte sich nach der ersten Abfuhr einfach ein zweites Mal in ihr Leben gesäuselt. So, dass diesmal für nichts anderes mehr Platz war. Dass sie abhängig wurde von seiner Stimme, seinen Worten, seiner Zeit. "Dieses Ende war wie ein kalter Entzug", sagt sie. Nachdem sie ihm eine E-Mail mit den Worten: "You are a liar, go to hell" (Du bist ein Lügner, fahr zur Hölle) schreibt, schweigt das Telefon. Nur die brüllende Stimme in ihrem Kopf schweigt nicht: Wie konnte dir das passieren? Wie konntest du nur so dumm sein?

Nur wenige Frauen erstatten Anzeige

Heute weiß es Ute Mickerts besser: "Die Frauen sind nicht dumm. Die Täter sind hochkriminell." Der Schock ihres Lebens ließ ihr damals keine Ruhe. Sie hatte zwar kein Geld überwiesen, aber schnell lernte sie durch Recherchen im Internet Frauen kennen, die ihre gesamten Ersparnisse verloren hatten. Eine Botschaftsmitarbeiterin aus Schweden, eine Künstlerin aus Bayern, eine Verkäuferin aus Stuttgart und eine Bankmitarbeiterin vom Bodensee, die Depots ihrer Kunden leer geräumt, mehr als 240.000 Euro nach Nigeria überwiesen hatte. Tatsächlich ist der "Love-Scam", der Liebesbetrug, die neueste Methode der "Nigeria-Connection", die seit den 80er Jahren ihr Unwesen treibt. Bekannt sind deren berüchtigte E-Mails, Faxe und Briefe über Erbschaften, die angeblich nur mit fremder Hilfe außer Landes gebracht werden können. Helfern wird für ihre Unterstützung eine erkleckliche Summe geboten - die sie nie bekommen.

"Der Liebesbetrug ist eine noch perfidere Methode", sagt Harald Schmidt von der polizeilichen Kriminalprävention der Länder und des Bundes aus Stuttgart. Er ist durch Ute Mickerts vor gut zwei Jahren auf das Problem aufmerksam gemacht worden. Auch für die Polizei ist das Thema noch recht neu. "Liebesbetrüger sind nicht leicht zu erkennen. Ich verwahre mich gegen die Meinung, dass die Opfer dumm sind", sagt Schmidt. Trotzdem sei es schwierig zu helfen, denn die wenigsten Opfer erstatteten überhaupt Anzeige. "Die Frauen schämen sich, dass sie ihrem gesunden Menschenverstand nicht vertrauen konnten", sagt Ulrich Heffner, Sprecher des Landeskriminalamts Stuttgart. Weder bundesweit noch bei einem der 16 Länderabteilungen sind die Fälle von Liebesbetrug erfasst. Um eine Statistik zu erstellen, müssten aus Straftaten Gerichtsakten werden. Und das passiert in der Praxis so gut wie nie.

Die Verbindung ist schlecht - aber vor Liebe Blinde vertrauen

Der Schmerz und der finanzielle Schaden sind nur eine Seite des Problems. "Die Frauen werden teils auch noch kriminalisiert", sagt Ute Mickerts. Häufig sendet der Betrüger einen gefälschten Scheck mit einer großen Summe, bittet die Frau, diesen einzulösen, ihm aber per Barscheck einen Vorschuss zu schicken. Sie könne dann ja die Schecksumme auf ihrem Konto gutschreiben, den Vorschuss und eine kleine Summe als "Dankeschön" abziehen und ihm später den Rest schicken. Ute Mickerts weiß von Fällen, in denen gegen betroffene Frauen wegen Scheckbetrugs und Geldwäsche ermittelt wurde.

Inzwischen ermittelt sie selbst und hilft Frauen über ihre Homepage. Sie weiß heute: Olivier Hugo, der Soziologe aus London, war ebenso wenig echt wie all die anderen wohlsituierten und gebildeten Amerikaner oder Briten, die Kontakte zu den Frauen aufgenommen hatten. Auch wenn die Anrufe mit einer amerikanischen Vorwahl ankamen. Das funktioniert technisch ohne Probleme mit Internettelefonie. Die sogenannte IP ist dabei eine Art Heimatadresse der Internetverbindung - aber eben nicht des Ortes, wo der Computer steht. Ute Mickerts ist inzwischen ein Meister im Entschlüsseln dieser Adressen. Die IP-Adressen aus den betrügerischen E-Mails, das hat sie herausgefunden, gehören nicht in die USA, sondern zu Rechnern in Nigeria. Auch sämtliche Fotos, die im E-Mail-Korb der Opfer landen, sind gestohlene Identitäten. Rechtschaffene Männer werden so ebenfalls zu Opfern. Sogar Unterhaltungen übers Internet mit Kameras werden lippensynchron gefälscht. Man sieht einen weißen Mann sprechen, die Stimme dazu kommt aus Schwarzafrika. Die Kamera wackelt ein bisschen, die Verbindung ist schlecht und wird manchmal unterbrochen. Vor Liebe und Sehnsucht Blinde glauben und vertrauen.

Ute Mickerts versucht, auf den Internetbetrug aufmerksam zu machen

"Das ist organisierte Kriminalität", sagt Ute Mickerts. Sie sagt, die Täter kämen nicht aus der Unterschicht. Sie seien gebildet, hätten nicht selten studiert und sprächen ein gutes Englisch. Gegen sie versucht die kleine starke Frau aus Stuttgart etwas auszurichten. Sie ist vom Opfer zur Jägerin geworden, was nicht ganz ungefährlich ist. Mehrfach drangen Hacker in ihren Computer ein, immer wieder enttarnt sie Betrüger, hat selbst E-Mail-Kontakt mit ihnen. Manchmal liest sie Sätze wie: "Hey, willst du nicht lieber bei uns mitmachen? Ich hab in diesem Monat 10.000 Euro geschrieben, du könntest noch mehr machen mit deinem Wissen."

Ute Mickerts versucht massiv, deutsche Staatsanwälte auf diese Art des Internetbetrugs aufmerksam zu machen. Allerdings kämpft sie gegen Windmühlen. Landet ein Fall überhaupt bei der Staatsanwaltschaft, kommt es nur selten zu Ermittlungen, wie die Sprecherin der Stuttgarter Behörde einräumt. "Wir haben in solchen Fällen alle Erschwernisse, die es gibt: Der Fall ist im Ausland, und man muss davon ausgehen, dass die Identität der Täter falsch ist", sagt die Staatsanwältin Claudia Krauth. Dennoch macht sie den Opfern Hoffnung, nicht auch noch durch einen möglichen Scheckbetrug kriminalisiert zu werden: "Wenn jemand in eine solche Falle tappt, ist er gestraft genug. Ich kann ganz pauschal sagen, dass wir kein Interesse daran haben, so jemanden ins Gefängnis zu bringen." Auch bei der Stuttgarter Staatsanwaltschaft gibt es keine Zahlen, Internetbetrug taucht nicht als Posten in der Fallstatistik auf. "Da sind die Ermittlungsbehörden doch näher dran als wir", sagt Claudia Krauth.

Die Frauen sind einsam - und sie tragen den Schaden allein

Vielleicht denken doch zu viele: Wie können diese Frauen so dumm sein? Wie kann man nicht bemerken, dass man gar nicht mit einem Mann in den USA oder England telefoniert? Wie kann man glauben, dass sich ein Ingenieur oder ein Soziologe in einen verliebt - nur, weil er ein Foto im Internet gesehen hat. Und wie zum Teufel kann man so dumm sein, diesem Mann auch noch Tausende Euro zu schicken?

Ute Mickerts empfindet nur Wut, wenn sie über Olivier Hugo und den Mann nachdenkt, der sich hinter dem Namen verbarg. Keine seiner Schmeicheleien war wahr, vielleicht lachte er sogar noch über die Gefühle, die sie ihm offenbarte. Die Frauen, denen so etwas passiert, sind einsam, sie haben keine Stimme und bleiben zumeist stumm. Und sie allein tragen den Schaden: finanziell und emotional.

Mehr Informationen im Internet unter

www.contra-romance-scam.de

www.polizei-beratung.de