Die Bauhistorikerin Anja Krämer ist stolz auf einen Bohrkern aus einer Eiche. Der Baum wurde vor 745 Jahren gefällt und diente als Baumaterial für ein Haus in Esslingen.

Lokales: Sybille Neth (sne)

Stuttart - Auf den ersten Blick sieht der braune Zylinder aus wie ein Stumpen. Farbe, Dicke und Länge – alles weist darauf hin. Aber das braune Etwas, das Anja Krämer in der Hand hält, ist bockelhart, denn es ist ein Bohrkern aus Eiche. Der Baum, aus dem er stammt, wurde vor 745 Jahren gefällt, rechnet die Bauhistorikerin und Leiterin des Weißenhofmuseums vor. „Ich habe ihn selbst gebohrt“, sagt sie stolz. „Er stammt aus dem ältesten Haus, das ich für den Denkmalschutz bearbeitet habe.“ Erbaut wurde es 1273.

 

Halsbrecherische Nachforschung

Zur Altersbestimmung von Gebäuden werden aus den Holzbalken Bohrkerne entnommen. „Mich fasziniert, wie alt Architektur sein kann“, sagt sie. „Die Bohrkerne erzählen Geschichte und verlangen einem Respekt ab“ – und sie verweisen auf das eigene Leben. Das ihre war während der Forschung über das Haus in der Esslinger Altstadt in Gefahr. „Über den drei Etagen habe ich nur auf Balken gearbeitet“, berichtet sie. „Ich war im Winter ganz alleine in dem Haus.“ Mit ihrem Mann hatte sie vereinbart, dass sie sich wegen der halsbrecherischen Arbeit in schwindelerregender Höhe zu bestimmten Zeiten meldet. So hätte er die Rettungskräfte alarmiert, wäre ihr Anruf ausgeblieben.

Duft nach Barriquefass

Der Bohrkern, der seit 15 Jahren bei ihr im Bücherregal bei den Kunstbüchern steht, ist ihr misslungen. Deshalb konnte sie ihn behalten. Alle anderen gehen an die Baubiologen. Und neben den Jahresringen fasziniert er durch seinen Duft: „Wenn er warm wird, hat er den Vanilleton eines Barriquefasses“, schwärmt Anja Krämer.