Liedermacher Stefan Waggershausen Zurück zu den Wurzeln am Bodensee
In Berlin wurde Stefan Waggershausen in den 80er Jahren zum Star – doch sein Herz zog ihn zurück an den Bodensee. Ein Treffen in Meersburg.
In Berlin wurde Stefan Waggershausen in den 80er Jahren zum Star – doch sein Herz zog ihn zurück an den Bodensee. Ein Treffen in Meersburg.
Meersburg - Meersburg an einem kühlen Herbsttag. Regenwolken hängen über dem Bodensee. Stefan Waggershausen ist zu Fuß in die Weinberge oberhalb seines Wohnorts gekommen. Schwarze Lederjacke, Sonnenbrille, Hut – der Musiker sieht aus wie dem Cover seines vor zwei Jahren erschienenen Albums „Aus der Zeit gefallen“ entstiegen. „Wir waren bei den Aufnahmesessions, und weil ich viel mit Country-, Swing- und Rockversionen rumexperimentiert habe, fiel beiläufig der Satz ,Du bist ja echt aus der Zeit gefallen‘“, erzählt er.
Der Liedermacher, der 1980 aus dem Stand mit seiner LP „Hallo Engel“ die deutschen Charts und ein Millionenpublikum erobert hatte, nahm den Satz als Programm für sein – man darf das bei einem über 70-Jährigen wohl so bezeichnen – Alterswerk. Seine Melange aus Country über Hillbilly, Rock und Balladen geht am aktuellen Mainstream zielsicher vorbei. „Ich kenn mich aus mit dem Blues“ heißt einer der Songs. Die Texte handeln vom Schmerz, der zum Leben dazugehöre, und der Melancholie im Angesicht des Scheiterns, die bei Waggershausen aber mitunter weggelächelt wird. In vielen seiner Lieder blitzt ein Sonnenstrahl durch die Dunkelheit. Wenn Waggershausen über verlorenes Glück sinniert und dem Ganzen mit ironischem Unterton ein „Was soll schon passieren? Ich bin ein Sonntagskind“ hinterherschickt, dann spricht daraus noch dasselbe Grundvertrauen in die eigene Stärke wie auf dem vor drei Jahrzehnten erschienenen Album „Tief im Süden meines Herzens“.
In seiner Musik dominieren die Gefühle, in der Öffentlichkeit ist der Star aus den 1980er Jahren freundlich, wahrt aber die Distanz. Kein Seelenstriptease, Waggershausens ist kontrolliert, gibt so viel preis, wie er für richtig hält. „Ich setz die Sonnenbrille auf und warte erst mal ab. Hinter dunklen, schwarzen Gläsern, dahinter bin ich privat“, heißt es in einem seiner Songs. Jetzt nimmt er tatsächlich die Sonnenbrille ab und beginnt in der Probierstube Fräulein Seegucker aus seinem Leben zu erzählen, das hier am Bodensee am 20. Februar 1949 begann.
Stefan Waggershausen wächst in Friedrichshafen in einer musikalischen Familie auf, die Mutter spielt Klavier, der Vater Geige. Der Filius ist 13, als ihn die Beatles wachrütteln. Das war es dann mit der Hausmusik im Kreis der Familie. Drei Jahre später, 1965, sitzt er mit seiner Gitarre auf der Freitreppe am See, wo heute das Kulturufer-Festival stattfindet. Das Publikum ist jung und bunt, Austauschschülerinnen aus Schweden und anderen Ländern grooven mit, wenn der Gymnasiast auf seiner Gitarre die Lieder der Woodstock-Generation spielt. „Die Hippie-Zeit, das war toll.“
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Ricky King – Der Gitarren-Zauberer
Seine Zensuren sind zwar ordentlich, doch läuft die Schule für ihn eher nebenher. Mit 16 büxt Stefan Waggershausen schließlich zusammen mit einem Mitschüler, dem heutigen Schauspieler Peter Sattmann, aus. Nach der Rückkehr wird dem Ausreißer ein Schulwechsel nahegelegt. Das Abi macht er in Ravensburg, danach studiert er in Berlin Psychologie.
Der Hörsaal ist Waggershausen zu eng. Beim Sender Freies Berlin moderiert er neben dem Studium die Sendung SF Beat und erreicht dann bei Rias mit seiner rauchig-warmen Stimme die Hörer. Er jobbt auch als Regieassistent und Barkeeper, komponiert Musikstücke fürs Fernsehen: „Ich hab eigentlich immer alles gemacht.“
In Halensee wohnt er mit Musikern wie Gunter Gabriel und Ewald Lütge von der Rentnerband unter einem Dach. In diesem pulsierenden Umfeld schreibt Waggershausen Songs. 1974 erscheint seine erste LP „Traumtanzzeit“ – ein Flop. Sechs Jahre später dann der Durchbruch mit „Hallo Engel“. Auf Waggershausen richten sich plötzlich die Scheinwerfer. Bei „Rockpop in Concert“ tritt er auf – neben Größen wie Wolfgang Ambros, Lucio Dalla, Chris de Burgh und Randy Newman.
Lesen Sie aus unserem Plus-Angebot: Pforzheimer Box-Legende hat Demenz – René Wellers letzte Runde
1984 veröffentlicht er gemeinsam mit der italienischen Sängerin Alice die Single „Zu nah am Feuer“ – ein Hit, der zum Klassiker avanciert. „Das erste Mal tat’s noch weh“ mit Viktor Lazlo ist ein weiteres Duett, mit dem Waggershausen sechs Jahre später erneut in die Charts stürmt. Der Künstler erhält zahlreiche Auszeichnungen, schwimmt auf einer Welle des Erfolgs, veröffentlicht weitere Alben und genießt die Liveauftritte auf den großen Bühnen der Republik.
Im Jahr 1996 dann die Zäsur. Waggershausen ist für einen Echo in der Kategorie „Künstler des Jahres Rock/Pop“ nominiert. Es gibt eine Party mit Udo Lindenberg und anderen Stars im Hotel Atlantic in Hamburg. Doch der Rummel rund um die Verleihung des Musikpreises, der rote Teppich, die kreischenden Fans – Waggershausen fühlt sich nicht mehr wohl auf diesem Parkett: „Irgendwie war das nicht mehr meine Welt. Wenn du 40, 50 bist, dann siehst du vieles mit anderen Augen.“
Er will raus aus dem Rampenlicht. Waggershausen kündigt seinen Plattenvertrag und produziert das Musikmärchen „Wolke 7“, unter anderem mit Nena, den Prinzen und der Ersten Allgemeinen Verunsicherung. Die Arbeit hinter den Kulissen ist vertraut: Seit Langem schreibt und produziert er Lieder für Künstler wie Daliah Lavi, Wolfgang Petry oder Peter Kraus. Auch für „Tatort“-Folgen ist er als Songwriter aktiv. Die Musik für den Film „Ice Age“ schreibt er zusammen mit Otto Waalkes, und auch die Musik zu der ZDF-Sendung „Siebenstein“ stammt von ihm.
1992 öffnet der amerikanische Musiker Willy de Ville Stefan Waggershausen die Tür zur Musikszene in Louisiana. Der Aufenthalt dort ist prägend. Der Deutsche saugt den Cajun auf, die Musik der Nachfahren französischer Einwanderer mit Fiddle, Akkordeon, Kontrabass und Gitarre. „Die Zeit dort unten war ein Wendepunkt in meinem Leben.“ In seine Musik integriert er neue Elemente, experimentiert mit verschiedenen Stilen. Das Lebensgefühl in dem Südstaat kommt seinem Wesen entgegen. „Ich öffne mich nicht so gerne, in den tiefen Süden meines Herzens lasse ich nicht jeden rein“, sagt Stefan Waggershausen in Anspielung auf sein Erfolgsalbum von 1990. „Die Menschen in Louisiana sind eher zurückhaltend, reserviert, aber wenn sie dich akzeptiert haben, dann bist du dabei. Ein bisschen hat es mich an den Bodensee erinnert.“
In den tiefsten Süden der Republik hat es Stefan Waggershausen, der nach Berlin gegangen war, um sich abzunabeln, Ende der 80er Jahre mit seiner Frau Stefanie wieder hingezogen. Ihr gemeinsamer Sohn Marlon, mit dem er heute über den Miau Musikverlag künstlerisch eng zusammenarbeitet, ist damals zwei. „Das ist meine Heimat hier“, sagt er. „Das ist in mir drin, das kann ich nicht beschreiben.“
Inzwischen hat er wieder eine Wohnung in Berlin, doch die meiste Zeit ist er in Meersburg. Der auf der Schweizer Seite gelegene Säntis ist sein, wie er sagt, „Meditationsberg“. Bei Axel, dem Fischer seines Vertrauens, kauft Waggershausen die Felchen. Waggershausen, der sich als „Bodensee-Aborigine“ bezeichnet, mag den Wein hier, und er liebt es, morgens im See zu kraulen, wenn fast noch kein Mensch zu sehen ist und der Kormoran neben ihm jagt.
„Ich will zurück zum Bodensee“ heißt einer der Songs auf dem Album „So ist das Spiel“ von 2010. Die Lieder darauf hatte er während seines selbst gewählten Abschieds vom Musikzirkus geschrieben. Stefan Waggershausen bleibt auch hier seiner Linie treu, der Einsamkeit und dem Chaos des Lebens setzt der Künstler die Hoffnung auf kleine Idyllen entgegen. „Der alte Wolf wird langsam grau“ vom 2010er-Album ist eine Selbstbeschreibung.
An den Ruhestand denkt der Singer-Songwriter nicht. Aber er lässt es gelassen angehen. Wäre Corona nicht dazwischen gekommen, dann hätte er mit seinem aktuellen Album eine Handvoll Konzerte gegeben. Am 19. November zeigt der MDR abends das TV-Special „Musikgeschichten mit Stefan Waggershausen“. Ob es nach 45 Jahren im Showgeschäft ein Bühnen-Comeback geben wird, lässt Stefan Waggershausen offen. „Schauen wir mal“, sagt er lächelnd. Draußen regnet es inzwischen. Der graue Wolf setzt dennoch seine Sonnenbrille auf und verschwindet in seinem Revier zwischen den Reben über Meersburg.