Der Skandal um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst weitet sich aus. Fragen wie „Seit wann wusste Tebartz-van Elst von der Kostenexplosion?“ sind noch offen. Viele fordern nun seinen Rücktritt. Der Geistliche sucht jetzt Hilfe im Vatikan.

Limburg - Zurzeit braucht Helmut Ulm ein bisschen länger für seine Führungen durch die Altstadt von Limburg. Die Gäste hören nicht auf, Fragen zu stellen. Dann steht er, so wie am Samstagnachmittag, mit ihnen auf dem Domplatz und erzählt. Wie er im neuen Bischofssitz zu Besuch war, weil der Hausherr, Franz-Peter Tebartz-van Elst, eingeladen hatte. Ulms Augenbrauen heben sich anerkennend, er wiegt den Kopf, das Kinn schiebt sich ein bisschen nach vorn: „Alles vom Feinsten“, sagt er. „Für diese Summen kann man schon tolle Sachen bauen.“ Gelächter.

 

Die Gäste blicken auf den Bau, den inzwischen die ganze Republik kennt: die Muschelkalkmauern, hinter denen sich die schwarzgiebelige Kapelle spitz erhebt, und vorne, Front zum Dom, das Fachwerkhaus mit dem kühn um die Gauben geschwungenen Schieferdach, die alte Vikarie.

Die Kosten für die Residenz explodieren

So eine Kapelle nur für einen einzigen Mann? Muss das sein? Stimmt es, dass der Bau nun nicht 31 Millionen, sondern mindestens 40 Millionen kosten wird? Dass der Bischof das schon seit 2010 gewusst haben und die Kosten zu verschleiern versucht haben soll? Kann es wahr sein, dass allein in der Dreizimmerwohnung des Bischofs die Schreinerarbeiten 340 000 Euro kosteten? Die Badewanne 15 000? Dass das Dach der Kapelle noch mal aufgerissen werden musste, weil der Bischof einen hängenden Adventskranz wünschte? Stimmt es, dass man in der Vikarie ein spezielles Sicherheitsglas hat einbauen lassen, damit die Fenster im Bischofsbüro auf Knopfdruck blickdicht werden? Und was ist dran an der öffentlich mehrfach dementierten, aber von Leuten, die es angeblich ganz genau wissen, immer wieder kolportierten Tatarengeschichte, dass tief drunten im Limburger Domfelsen der Bischof sich eine zweite, geheime Wohnung habe bauen lassen?

So fragen die Leute. Und je mehr sich der Abend über die dicht um den Dom geschmiegte Altstadt senkt, desto vorstellbarer werden die Unvorstellbarkeiten. Und desto unvorstellbarer wird, dass dieser Bischof hier noch weiter wird seine Schäfchen hüten können.

Wo ist er eigentlich? Vor dem Bischofssitz bleiben die Menschen stehen und stellen diese Frage. Ist er da hinter dem Fenster? Oder ist er doch nach Rom geflogen? Touristen fotografieren. Ein junger Muslim erklärt seiner Freundin: „Schau dir die Christen an. Für Mauern, da haben sie Millionen. Aber nicht für ihre Leute.“ Jemand hat drei Grablichter vor Tebartz’ Fenster auf die Mauer gestellt. „Herr, erbarme dich“, ist mit Edding darauf geschrieben.

Viele Gerüchte finden sich in den Gassen von Limburg

Vertrauen? Respekt? Würde? Es vergeht keine Stunde, in der nicht eine neue Nachricht, ein noch wilderes Gerücht sich in den Gassen von Limburg verbreiten würde. Der Dom ist auf einen Felsenberg gebaut, unverrückbar. Aber der Grund, auf dem der Limburger Bischof sich bewegt, der ist längst weggebrochen.

Da muss man nicht nach Rom schauen, wohin der Bischof tatsächlich am Sonntag früh geflogen ist, Billigairline, und wo für den Montag der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Robert Zollitsch zu Gesprächen beim Papst erwartet wird – über die Causa Limburg, die längst „zu einer Belastung für die Kirche in ganz Deutschland geworden ist“.

Eine Menschenkette vor dem Bischofshaus in Limburg Foto: Getty Images
Hier in Limburg kann Franz-Peter Tebartz-van Elst ja nicht mal mehr über die Straße gehen, von seiner Wohnung in seinen Dom, einen öffentlichen Gottesdienst halten. Er kann nicht, wie geplant, einen Brief an seine Gläubigen schreiben, den seine Priester in den Kirchen vorläsen.

„Die Menschen sind unwillig, weitere Ausreden vom Bischof zu hören“, sagt der Domdekan Günther Geis dazu in der Lokalzeitung. Es hätte den Pfarrern nicht zugemutet werden können, so einen Brief zu verlesen. „Wenn der Bischof nur einen Funken Ehrgefühl hat, dann bietet er dem Papst seinen Rücktritt an“, lässt sich der ehemalige Weihbischof Gerhard Pieschl zitieren. Und die Bezirksversammlung des Bistums fordert in einem Brief, den die „Frankfurter Neue Presse“ veröffentlicht: „Wir bitten Sie, bieten Sie Papst Franziskus zum Wohle der Kirche, des Bistums und zu Ihrem eigenen Wohl Ihren Rücktritt an.“

Er hat sich über Gott gestellt, schimpfen die Bürger

Es soll endlich Schluss sein. Im Burgkeller sitzen ein paar Limburger am Abend bei Bier und Wein zusammen unter der niedrigen Decke im ersten Stock. „Er muss weg, weg muss er, sonst kann hier nichts anders werden“, sagt ein älterer Herr, bürgerliche Erscheinung, Button-Down-Hemd, Kaschmirpulli. „Er hat seine Person über alles gestellt, noch über Gott sogar“, sagt seine Frau. „Wenn es nur die Millionen wären. Aber es ist sein Gebaren, sein Umgang mit uns und mit der Wahrheit.“

Was ist da passiert in Limburg – wie kann es sein, dass mitten in der Stadt jahrelang ein Luxushaus in den Fels hineingefräst wird, dass alle schweigen und sich dann auf einmal dieser Überdruss an diesem einen einzigen Menschen entlädt?

„Es sind ja nicht nur die Millionen. Es ist eine Mischung“, sagt ein Geistlicher des Bistums, der am Sonntagmorgen vor den Dom gekommen ist und seinen Namen nicht sagen möchte. „Der Millionenbau allein hätte die Menschen nicht so aufgeregt. Es ist die Struktur des Systems Kirche, die so etwas erst ermöglicht, und es ist auch die Person Tebartz-van Elst. Schon seit Jahren herrscht ein Klima der Angst. Es ist die Allmachtstellung, die der Bischof sich anmaßt, mit all seinen Lügen. Er hat Leute kaltgestellt, mit Disziplinarmaßnahmen überzogen. Er hat sich isoliert.“

Harte Worte. Aber so ähnlich hört man sie in Limburg an jeder Ecke des Domplatzes – von Bistumsmitarbeitern, von Ehrenamtlichen, von Menschen, die gerade eben noch in der Messe waren. Wie konnte es so weit kommen?

Er trat die Nachfolge eines bescheidenen Bischofs an

Als Franz-Peter Tebartz-van Elst 2008 als junger Bischof sein Amt in Limburg antritt, da geht ihm ein Ruf voraus. Der Münsteraner Weihbischof sei weltgewandt, gebildet. Und eitel. „Er trägt oft Maßanzug, glänzende Schuhe, ohne Kragen würde man ihn nicht für einen Priester halten“, sagt die Limburgerin Margit Dillmann. „Er hatte es nicht leicht, die Nachfolge des bescheidenen und beliebten Bischof Kamphaus anzutreten“, sagt Helmut Ulm. „Und er ließ die Menschen einfach nicht an sich heran.“ Das sei nicht seine Art. „Er wollte das gar nicht“, sagt eine Bistumsmitarbeiterin. „Er konnte richtig gemein sein zu seinen Bediensteten.“

Als Tebartz ins Amt kommt, ist der Bau des Bischofssitzes beschlossene Sache, das ist nicht seine Idee. Im Folgenden engagiert er sich sehr. Es habe ständig Änderungswünsche gegeben, sagt der beratende Architekt Stephan Dreier der Lokalzeitung.

Und die Kosten steigen. Zu sehen ist das deshalb nicht, weil der Großteil der Gelder nicht aus dem Etat des Bistums, sondern aus dem des Bischöflichen Stuhls kommt – einem Vermögen, dessen Höhe bis heute geheim ist und über das der Bischof keine öffentliche Rechenschaft ablegen muss. Es gibt nur ein vom Bischof kreiertes Gremium, den dreiköpfigen Vermögensverwaltungsbeirat, der Einblick bekommt und faktisch keine Macht hat. Diesen Einblick habe man aber eben nicht bekommen, berichtet dessen Sprecher, der ehemalige CDU-Staatssekretär Jochen Riebel, seit Tagen in den Medien. Er nennt den Bischof einen Lügner, der „uns hinter das Licht geführt hat“. Warum schwieg der Beirat, als ihm nichts gesagt wurde? „Wir hätten uns nur beim Papst beschweren können“, sagt Riebel in einem Interview. Das will aber offenbar sehr lange niemand.

Um die Baustelle wird ein Sichtschutz aufgebaut

Das alles sehen und wissen die Menschen in Limburg nicht. Sie sehen stattdessen einen großen Sichtschutz, der rund um die Baustelle aufgebaut wird. „Und wenn wir das fotografieren wollten, dann kam sofort jemand von der Wachfirma und hat einen entfernt“, sagt Margit Dillmann. Sie erfahren von Verschwiegenheitserklärungen, die die Handwerker unterzeichnen müssen. „Das macht einen irgendwo fassungslos.“

Der Bischof bittet um Entschuldigung

Ende Juni, bei der Eröffnung, wird dann von Verdopplung der Kosten auf zehn Millionen gesprochen, aber der Beirat verlangt eine Korrektur. Es folgt ein Besuch des päpstlichen Gesandten Giovanni Lajolo, fünf Tage Gespräche, die Bitte des Bischofs um Entschuldigung und – einmalig in der Geschichte der deutschen Bischöfe – eine Kommission, die sich mit den Finanzen befassen muss.

Die neue Residenz des Bischofs wird immer teuerer. Foto: Getty Images
Parallel dazu werden die Gerüchte lauter, die sich um die Amts- und die Lebensführung des Bischofs ranken. Dazu gehört auch die Erinnerung an eine Erklärung mehrerer Priester von 2012, die damals öffentlich das „lähmende Klima der Furcht“ im Bistum beklagen.

Irgendwie ist es, als sei in Limburg der Deckel eines Topfes weggeflogen, in dem es schon lange brodelt.

Gläubige legen eine Unterschriftenliste aus, Tausende unterzeichnen. Kleine Pfarrer, die bisher geschwiegen haben, melden sich und berichten über ihre klammen Gemeinden. Der „Spiegel“ berichtet von einem angeblichen Erster-Klasse-Flug in die indischen Slums. Tebartz bestreitet dies und gibt eine eidesstattliche Erklärung ab. Seine Aussage wird aber von einem TV-Team gefilmt, in der vergangenen Woche beantragt die Hamburger Staatsanwaltschaft deshalb den Erlass eines Strafbefehls. Noch eine Staatsanwaltschaft tritt auf den Plan – in Limburg gibt es Vorermittlungen wegen Untreue.

Franz-Peter Tebartz-van Elst ist abgetaucht

Der Bischof selbst ist seitdem gar nicht mehr im Stande, sich vor seinen Gläubigen zu äußern. Er taucht ab. Ab und zu glaubt man, seine Silhouette hinter den Fenstern des Dienstsitzes zu erhaschen. Sonst: Lähmung, die letzte Stufe des Machtverlustes.

Und damit ist der eigentlich Kern der Geschichte erreicht. Seine Kraft erhält ein Bischof durch seine Glaubwürdigkeit, durch sein Wort. Ein Bischof, der den Vorwurf der Lüge nicht entkräften kann, ist seines entscheidenden Instrumentes, seiner Kraft beraubt: des Wortes.

Sonntagmorgen, die Domglocken läuten zum Hochamt. „Herr Bischof, wir haben es satt, treten Sie zurück!“ steht auf lauter violetten Postkarten, die auf dem Domplatz liegen. Jemand hat Luthers 95 Thesen ans Tor geschlagen.

Gläubige beten für einen Neuanfang

Ordner sichern das Portal, fragen die Gläubigen, ob sie auch wirklich die Messe im Sinn hätten. Drinnen bittet der Domkapitular Gereon Rehberg für das Bistum: „Aus eigener Kraft kommen wir da nicht mehr raus. Es braucht Hilfe von oben und von außen, aus Rom.“ Hörbares Einatmen in der Gemeinde.

Vor dem Dom haben sich Gläubige zum Gebet „für einen Neuanfang“ versammelt. Man singt, ein Mikrofon geht herum. Eine Frau aus der Herz-Jesu-Gemeinde Frankfurt berichtet, dass in ihrer Kirche seit eineinhalb Jahren für eine Behindertenrampe gesammelt wird. Jeden Freitag Kirchenbiergarten, Teller spülen, bitten und betteln – es fehlen 25 000 Euro. Ein Mädchen erzählt von einem Brief, den 50 Kinder des Bistums geschrieben hätten. Seit einem Jahr warten sie auf Antwort.

Franz-Peter Tebartz-van Elst kann nicht mehr hinausgehen und auf die Fragen antworten. Er ist längst in Rom, wo ein Papst amtiert, dem zwei Zimmer reichen und ein gebrauchter Fiat.