Linden-Museum Geraubte Kunst in Stuttgarter Vitrinen

Markus Himmelsbach soll das Linden-Museum von morgen mitgestalten. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Die Bestände des Linden-Museums kamen fast alle während des Kolonialismus nach Stuttgart. Markus Himmelsbach soll dafür sorgen, dass Licht in dieses dunkle Kapitel kommt. Damit wird man im Ausstellungsbetrieb Maßstäbe setzen – was bei Kollegen und Publikum für Irritationen sorgen könnte.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Manchmal gibt es nicht mehr als einen Namen. Müller, Meier, Koch. Dann beginnt für Markus Himmelsbach die Recherche. Wer war zum Beispiel dieser gewisse Carl Holz, über den im vergangenen Jahrhundert Schätze ins Linden-Museum gelangten? In Himmelsbachs Büro stapeln sich alte Wälzer, Sammlungsakten, Inventarbücher – und vor allem Ausgaben des „Deutschen Kolonialblatts“. Falls dieser Herr Holz in den deutschen Kolonien ein hohes Tier war, Offizier oder Aufseher bei einem Eisenbahnprojekt, dann stehen die Chancen nicht schlecht, dass im Kolonialblatt über ihn berichtet wurde.

 

Vor vier Wochen hat Markus Himmelsbach im Stuttgarter Linden-Museum seine Arbeit aufgenommen, die die Zukunft der Museen verändern könnte. Der 33-Jährige soll ein Konzept entwickeln, auf welche Weise man dem Publikum also vermittelt, dass die prächtige afrikanischen Tanzmasken aus Federschmuck oder die schönen Ketten in den Vitrinen vielleicht bei Raubzügen erbeutet wurden.

Die Sammler haben nicht darüber gesprochen, wie sie an ihre Objekte kamen

91 Prozent der Bestände sind während der Kolonialzeit ins Linden-Museum gekommen. Deshalb ist es für die Direktorin Inés de Castro eine „ethische Verpflichtung“, zu untersuchen, welche Geschichten hinter der Sammlung stecken, Geschichten, die selbstverständlich nicht dokumentiert wurden. Das nennt man Provenienzforschung. „Natürlich haben die Beteiligten nicht aufgeschrieben, dass sie etwas auf einer Strafexpedition mitgenommen haben“, sagt Himmelsbach. „Darüber, wie man an die Sachen kam, wurde reichlich wenig gesprochen.“

In den vergangenen drei Jahren hat das Linden-Museum bei dem Forschungsprojekt „Schwieriges Erbe“ die Herkunft von 25 000 Objekten aus Namibia, Kamerun und dem zu Papua-Neuguinea gehörenden Bismarckarchipel untersucht. Allein bei den 16 000 Stücken aus Kamerun kamen mehr als vierzig Prozent über einen militärischen Kontext in deutsche Hand.

Nun steht der nächste Schritt an: Das Linden-Museum soll einen Neubau hinter dem Hauptbahnhof erhalten – und Himmelsbach wird mithelfen, dass dieses Museum Maßstäbe setzt, indem es neue Perspektiven auf die Objekte ermöglicht. „Ein Schild zum Sammler oder der Herkunft hilft einem nicht weiter“, sagt Himmelsbach. Die Herausforderung sei vielmehr, Wege zu finden, „wie man Dinge transparent darstellen kann und auch Partizipation möglich ist“.

Auch heute geistert noch ein eurozentristisches Weltbild durch manchen Kopf

Damit rüttelt das Linden-Museum an einem durchaus heiklen Punkt. Denn bisher verstanden sich Museen selbstverständlich als objektive Wissensvermittler, die die Deutungshoheit über das haben, was sie ausstellen. Inés de Castro will das neue Linden-Museum dagegen „demokratisieren“ und „die Grenzen des Wir und des Andersseins neu bewerten“, wie sie es nennt. Man will nicht nur in die Vergangenheit schauen, sondern auch fragen, welche Auswirkungen der Kolonialismus heute hat und wo noch Stereotypen, Rassismus oder ungleiche Machtstrukturen existieren.

Denn bis heute geistert durch manchen Kopf noch immer die Vorstellung, dass Gesellschaften Entwicklungsstadien durchlaufen – und Europa selbstverständlich an der Spitze steht und dem Rest der Welt überlegen ist. Dieses Weltbild haben die Museen bisher untermauert, indem sie Völker klassifizierten und Entwicklungsstufen annahmen mit Europa auf höchstem Rang. „Dieses Überlegenheitsgefühlt gegenüber anderen Kulturen ist ein typisch eurozentristisches Modell“, sagt Himmelsbach, „so kann man es heute nicht mehr machen, das geht einfach nicht mehr.“

Die Stuttgarter Direktorin wollte nicht ans Berliner Humboldt-Forum

Das sagt sich leicht, doch die Praxis sieht anders aus. Selbst wenn immer mehr Museen versuchen, Provenienzforscher ins Haus zu holen, so ist der kritische Umgang mit der eigenen Disziplin noch keineswegs Standard. Ausgerechnet am Berliner Humboldt-Forum, dem „größten und bedeutendsten Kulturvorhaben Deutschlands“, wie Kulturstaatsministerin Monika Grütters es gern nennt, gab es in den vergangenen Jahren harsche Kritik. Man habe sich bei der Konzeption viel zu wenig mit der deutschen Kolonialgeschichte befasst. „Koloniale Amnesie“ wurde den Verantwortlichen vorgeworfen, sie hätten die Tragweite der Problematik überhaupt nicht erkannt.

Vermutlich deshalb wollte man Inés de Castro Anfang des Jahres nach Berlin locken, damit sie als Leiterin der Sammlungen diese Defizite ausräumt. Sie lehnte ab, in Stuttgart könne sie mehr gestalten.

Dass das Linden-Museum mit seinem Konzept Neuland betritt, beweist auch die Tatsache, dass Himmelsbachs Stelle von der Bundeskulturstiftung gefördert wird. Vorbilder hat der junge Historiker kaum, bisher gab es nur vereinzelte Ausstellungen, in die die Provenienzforschung zum Nationalsozialismus eingearbeitet wurde. Himmelsbach wird in den kommenden Monaten sicher häufiger seine Studierstube unterm Dach verlassen und diese Ausstellungen besuchen, um zu schauen, was sich von solchen Ansätzen übernehmen lässt.

Das Museum hat die Wahrheit nicht für sich gepachtet

Sicher ist: Im Linden-Museum von morgen wird es nicht mehr nur eine Wahrheit geben. „Mehrperspektivischkeit“, nennt es Himmelsbach. Denn wer weiß besser über die Objekte aus Namibia oder Kamerun Bescheid als die sogenannten Herkunftsgesellschaften, also die Menschen, die dort leben? Deshalb lädt das Linden-Museum schon jetzt immer wieder Vertreter dieser Länder ein, damit sie die Sammlung aus ihrer Sicht betrachten und vielleicht auch Angaben machen, welche Funktion ein Objekt hatte. „Auch ich habe nur den eurozentristischen Blick auf die Dinge“, sagt Himmelsbach, „deshalb ist die Einbeziehung der Ursprungsgesellschaften so wichtig.“

Ein Kurator und Museumsmann ist Himmelsbach nicht. Er ist Historiker. Der junge Mann, der in der Nähe von Lahr groß geworden ist, hat zunächst eine Ausbildung zum Computerfachinformatiker gemacht, dann aber noch ein Lehramtsstudium drangehängt mit dem Schwerpunkt Geschichte. „Ich bin schon früh in die historische Forschung eingestiegen“, erzählt er. Sein Professor habe über den Kolonialismus geforscht – und so tat er es auch und schrieb seine Doktorarbeit zu ethnografischen Museen. In den vergangenen Jahren hat er sich in einem Forschungsprojekt mit dem Freiburger Völkerkundemuseum befasst.

Der Graf von Linden belohnte Geschenke mit Orden und Titeln

Immerhin, seine oft mühsamen Recherchen könnten sich in Stuttgart etwas einfacher darstellen als sie es bisher war. Karl Graf von Linden(1838 bis 1910), der Namensgeber des Stuttgarter Museums, hat viele Persönlichkeiten angeschrieben, damit sie ihre Sammlungen ins Museum geben – am besten geschenkt. Im Gegenzug belohnte der Graf die Spender mit Titeln und Orden. Zu bedeutenden Persönlichkeiten lässt sich leichter Material finden. „Je niedriger der Dienstgrad“, sagt Himmelsbach, „desto weniger wird derjenige genannt und desto schwieriger ist es, Einträge zu finden.“

Bisher ist es Himmelsbach aber noch nicht gelungen, weitere Informationen zu Carl Holz herauszubekommen, der wertvolle Stücke der Mapuche-Indianer besaß. „Das Schiff ist untergegangen, sodass nur wenige Objekte ins Museum gelangten“, erzählt Himmelsbach. Die genauen Umstände, wie die Reste der Sammlung, Trommeln, Satteldecken und Bekleidung, ins Museum kamen, kennt Himmelsbach noch nicht. „Ein typischer Problemfall“, sagt er, „alles ist ewas kompliziert und das Entscheidende taucht in der Korrespondenz nicht auf.“

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