Die in Stuttgart lebende Linken-Politikerin Annette Groth ist Vorsitzende der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe. Sie beklagt das Schicksal der Flüchtlinge in Griechenland.

Stuttgart - Denkt sie an Griechenland, ist Annette Groth, die in Stuttgart lebende Bundestagsabgeordnete der Linken, hin- und hergerissen. Einerseits habe sie als Mitglied im Menschenrechtsausschuss und Griechenlandexpertin in der vergangenen Legislaturperiode ständig gegen das negative Image der Griechen in der Boulevardpresse gekämpft. Andererseits ist sie entsetzt – nicht über die Bevölkerung, sondern über den Umgang von Polizei und Vollzugsbehörden in Griechenland mit Flüchtlingen: „Da kommt es zu krassen Menschenrechtsverletzungen“, fasst sie eigene Rechercheergebnisse zusammen. Dieser Tage ist die 59-jährige Soziologin von den Bundestagsfraktionen zur Vorsitzenden der deutsch-griechischen Parlamentariergruppe bestimmt worden.

 

Ein Umstand, der sie freut, wie sie bei einem Redaktionsbesuch in der StZ betont: „Da muss ich doch die Arbeit ganz gut gemacht haben.“ Seit ihrem Einzug in den Bundestag 2009 ist sie Mitglied der Gruppe. Auf mehreren Reisen hat sie in Griechenland Flüchtlingslager besucht, zum Teil mit dem Menschenrechtsausschuss und dem Griechenlandbeauftragten der Regierung, Hans-Joachim Fuchtel (CDU).

„Es sind unbeschreibliche Zustände“

Vor Kurzem war sie allein mit ihrer griechischen Freundin und Ärztin, der Syriza-Abgeordneten Afroditi Stampouli, drei Tage im Land unterwegs, besuchte zwei Polizeigefängnisse in Athen und ein Flüchtlingslager in Komotini an der türkischen Grenze. In der Polizeihaft von Athen – 24 Menschen in vier Zellen – traf sie auf einen Togolesen, der wegen fehlender Papiere aufgegriffen worden war und seit 18 Monaten einsitzt: ohne Anklage, ohne zum Hofgang gelassen zu werden, ohne juristischen Beistand. Sie habe einen Ghanaer mit einem riesigen Furunkel getroffen, der dringend ärztlicher Behandlung bedürfe, und einen Syrer, der ihr auf Englisch sagte: „Ich kam über die Türkei nach Griechenland. Ich dachte ich sei in Europa, wo die Menschenwürde und die Menschenrechte etwas zählen.“ Sein Glaube sei erschüttert.

„Es sind unbeschreibliche Zustände“, sagt Annette Groth. Man verweigere den Inhaftierten rechtlichen Beistand und medizinische Fürsorge. Ein Lichtblick in Athen sei allein das gute Flüchtlingsprogramm der orthodoxen Kirche – ein Einzelprojekt. Im Flüchtlingslager von Komotini greift es nicht. 445 Männer sind hier inhaftiert: Bengalen, Pakistani, Afghanen, Georgier. „Die Welt ist da versammelt“, sagt Groth; die Atmosphäre sei bedrückend. Man höre die Hilferufe der Männer.

„Wir müssen die Drittstaaten-Regelung aufheben.“

Durch Gitterstäbe konnte die Besucherdelegation mit Inhaftierten sprechen, die sanitären Anlagen durften nicht besichtigt werden. Laut den Behörden seien in Komotini keine Minderjährigen; der griechische Flüchtlingsrat glaubt das aber nicht und schätzt ihre Zahl auf 70. Annette Groth sagt, sie habe mit einem jungen Afghanen gesprochen, der laut seinen Papieren 15 Jahre alt ist: „Er weinte ständig und hatte Angst, vergewaltigt zu werden.“ Die Inhaftierungen dauern in Komotini zwölf bis 18 Monate. Flüchtlinge trauten sich nicht, Asyl zu beantragen, weil die Polizei sie warnt, die Haft würde dann länger dauern.

Annette Groth glaubt, dass ähnliche Zustände wie in Griechenland auch in Bulgarien und Ungarn herrschen. „Die Staaten im Süden werden dafür bestraft, dass sie EU-Außengrenzen haben. Wir müssen zu einer gerechten Verteilung der Flüchtlinge in der EU kommen.“ Deutschland müsse Druck in Brüssel machen. Auch sollten die Dublin-Regeln, wonach Flüchtlinge in sicheren Drittstaaten bleiben müssen, aufgehoben werden. Es sei bezeichnend, sagt Groth, dass derzeit nach Griechenland wegen der „menschenunwürdigen Zustände“ in den Lagern nicht abgeschoben werde.

Auch als Mitglied im Migrationsausschuss des Straßburger Europarats will Groth die Stimme für die Belange der Flüchtlinge erheben und Druck auf Athen ausüben. Flüchtlingsarbeit sei „kein dankbares Thema“, sagt sie. Aber die Linke stelle sich ihm, fordere eine anständige Behandlung der Flüchtlinge europaweit und habe das im EU-Wahlkampf auch plakatiert.