Politik: Matthias Schiermeyer (ms)
Sie vertiefen doch den Graben, statt ihn zu schließen?
Unsere Konzepte mögen eine Herausforderung sein, aber sie sind auch Angebote an SPD und Grüne. Wir wollen die politischen Verhältnisse insgesamt und damit auch die SPD stärker nach links rücken. Die Hoffnung habe ich noch nicht begraben. Es gibt doch nur zwei Optionen: Entweder die SPD ändert sich, was sie nur machen wird, wenn wir stärker werden und das Signal von dieser Wahl ausgeht, dass die Menschen die Wiederherstellung des Sozialstaats wollen. Wenn sie sich nicht drängen lässt, müssen wir in der Tat schauen, dass die Erosion der SPD nicht nach rechts, sondern nach links geht. Aber momentan stehen wir vor der Bundestagswahl.
Ihre Kritik schwächt Martin Schulz zusätzlich – daran können Sie doch kein Interesse haben?
Die Jacke zieh ich mir nicht an, die SPD hat sich selbst in diese Bredouille gebracht. Schulz hat große strategische Fehler gemacht, weshalb die SPD wieder auf dem alten Niveau von Sigmar Gabriel gelandet ist. Er hat angekündigt, mit sozialer Gerechtigkeit die Wahlen gewinnen zu wollen und dann keine Konzepte geliefert. Dann hat die SPD Schulz ein Programm gegeben, das weniger ambitioniert ist als bei Peer Steinbrück vor vier Jahren. Zudem hat Schulz mit allen Koalitionsoptionen gespielt – selbst mit der FDP. Das glaubt doch niemand, dass man mit der FDP soziale Politik machen kann. Da darf sich niemand wundern, wenn die SPD wieder runtergeht. Gleiches gilt für den Anspruch, Anführer einer großen Koalition zu sein. Die große Koalition ist völlig erschöpft. Das wirkt alles beliebig. Dann denken die Menschen eben: Dann können wir gleich Merkel wählen. Es ist ärgerlich, dass diese sich nun zurücklehnen kann.
Auf den letzten Metern wird das nicht zu korrigieren sein?
Die SPD hat noch fünf Wochen Zeit, deutlich zu machen, dass sie eine Alternative zu Merkel sein will.
Glauben Sie daran, dass über Jürgen Trittin hinaus jemand Rot-Rot-Grün bei den Grünen will?
Gerade hier in Baden-Württemberg waren die Grünen stark auf Schwarz-Grün orientiert und selbst über den Schulz-Hype überrascht. Dann haben sie sich etwas für Rot-Rot-Grün geöffnet, um sich nun wieder als Mehrheitsbeschaffer für Angela Merkel zu präsentieren. Das wirkt zurückhaltend ausgedrückt orientierungslos. Wenn die SPD einen anderen Kurs einschlägt und die Linke stark genug wird, können die Grünen – wenn es rechnerisch für Rot-Rot-Grün reicht – kaum sagen: Dann machen wir lieber Schwarz-Gelb-Grün. Für diese Richtung mag es zwar starke Kräfte in der Parteispitze geben. Ich hoffe aber, dass die grüne Basis das nicht mitmacht.
Wo sehen Sie Gemeinsamkeiten mit Grünen?
Was den Kohleausstieg und den Umbau zu regenerativen Energieformen angeht, gibt es schon Gemeinsamkeiten. In der Ökologiepolitik sind wir heute deutlich konsequenter als die Grünen. Wir wollen regenerative Energien in den Händen der Kommunen, demokratisch kontrolliert und verbunden mit sozialen Tarifen. Bei den jüngsten Landtagswahlen haben wir von den Grünen mehr Wähler gewonnen als von der SPD. Gerade für junge Leute sind sie zu angepasst und nicht mehr erkennbar als Partei, die gegen den Strom schwimmt. Sie wollen um fast jeden Preis regieren. Selbst vom Dieselskandal konnten sie nicht profitieren, weil sie einen Ministerpräsidenten haben, der da völlig unglaubwürdig ist.
Was wäre das zentrale trennende Element?
Bei der Sozialpolitik – Rente, Steuern, prekärer Arbeit – ist von den Grünen nichts zu erwarten. Das spielt für sie eine untergeordnete Rolle. Sie haben keinen sozialen Markenkern mehr, sondern verfolgen eher das Konzept eines grün angestrichenen Kapitalismus. Und außenpolitisch ist die ehemalige Friedenspartei doch sehr schnell bereit, Auslandseinsätze der Bundeswehr zuzulassen.
Wissenschaftlichen Untersuchungen zufolge buhlen Sie teilweise um dieselbe Klientel wie die AfD?
Mich haben die Ergebnisse etwas überrascht. Wir haben drei Gruppen, die überdurchschnittlich die Linke wählen: erstens Einkommensschwächere oder Erwerbslose an sozialen Brennpunkten, wo die AfD mit ihrer Sündenbockpolitik zu landen versucht. Wir müssen große Anstrengungen unternehmen, dass die von der Spaltung der Gesellschaft besonders Betroffenen nicht am Wert der demokratischen Gesellschaft für sie selbst zweifeln, sondern erleben, dass sich für sie etwas zum Positiven ändert, wenn sie wählen gehen. Zweitens wählen uns junge Menschen, gerade in den urbanen Zentren erleben wir einen großen Zuwachs. Drittens die Beschäftigten: Wir haben die besten Konzepte für Erzieherinnen, Pflegerinnen, Leiharbeiter oder Werkvertragsbeschäftigte zum Beispiel, doch das ist noch nicht überall durchgedrungen. Da müssen wir noch stärker werden.
In welchen Fällen sind Sie für eine Abschiebung von Asylbewerbern?
Für Papst Franziskus sind Abschiebungen keine Lösung. Wir halten es da mit dem Papst und sind anders als die CDU, die das Wort Christlich im Namen führt, gegen Abschiebungen.
Auch von Straftätern?
Der Rechtsstaat lebt davon, dass es keine Ausnahmen gibt. Alle Menschen haben die gleichen Rechte. Man kann nicht jemand abschieben, der noch nicht verurteilt ist. Erst recht nicht kann man in Regionen abschieben, wo Leib und Leben gefährdet ist – wie in Afghanistan.
Und wenn sie verurteilt sind…
... dann müssen sie hier ihre Strafe absitzen…
… und danach?
Auch dann gilt für sie der Rechtsstaat, der für Abschiebungen hohe Hürden setzt.