Wer steckt hinter den Krawallen während des G20-Gipfels in Hamburg? Was treibt den „schwarzen Block“ und ähnlichen Kräfte zur Gewalt? Die linksradikale Szene ist diffus. Sie verzeichnet Zulauf. Das Aggressionspotenzial und die Brutalität wachsen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Stuttgart - Stahlkugeln und Steinschleudern, Betonplatten und Pflastersteine ersetzen bei Straßenschlachten, wie sie am Wochenende in Hamburg stattgefunden haben, politische Argumente. „Wir träumen nicht, das Bestehende zu verändern, uns genügt, wenn wir es brennen sehen.“ Solche Sprüche finden sich auf der linksradikalen Internetplattform Indymedia. Sie verraten, wes Geistes Kind die Krawalldemonstranten sind, die den Protest gegen den G-20-Gipfel in Hamburg zu Orgien der Zerstörung ausarten ließen. Ihre eigene Bilanz liest sich so: „Mit vielfältigen Aktionen bis zur offenen Revolte setzten wir in den vergangenen Tagen ein starkes Zeichen gegen den verhassten Kapitalismus.“ Zerstörungswut und brutale Attacken gegen Polizisten werden gerechtfertigt. Bei Indymedia heißt es dazu: „Plünderungen, Barrikadenbau, Angriffe auf staatliches Herrschaftspersonal etc. können Mittel im emanzipatorischen Kampf sein.“ Wer sind die Vermummten? In der linksextremistischen Szene wurde vor dem G-20-Gipfel massiv für Krawall geworben. Es sei „politisch wichtig, den Rahmen des Legalen zu überschreiten“, sagte Andreas Blechschmidt, ein Aktivist der Autonomen in Hamburg, im Vorfeld. „Randale? Klar! Hamburg abfackeln!“, propagierte der Rädelsführer einer Gruppe, die sich Roter Aufbau nennt. Nach Erkenntnissen des Bundesamts für Verfassungsschutz umfasst das linksextremistische Milieu fast 30 000 Personen. Vor allem die sogenannten Autonomen verzeichnen Zulauf. Diesen Gruppen geht es „bei allen Aktionen nicht etwa darum, gesellschaftliche Probleme zu lösen; sie versuchen vielmehr, gesellschaftliche Konflikte im Sinne ihrer revolutionären Ziele zu instrumentalisieren“. Das Weltbild, das hier kultiviert wird, ist diffus. Grundsätzlich sind demnach der Kapitalismus oder „imperialistische Mächte“ an sämtlichen Übeln auf dem Globus schuld. Diese Leute treibe ein „unbändiger Hass auf den Staat“, konstatiert der Berliner Extremismusforscher Klaus Schroeder. Welche Rolle spielt Gewalt? „Die eigene Gewalt wird als legitime Reaktion auf die vermeintliche ,strukturelle Gewalt‘ des ,kapitalistischen Systems‘ dargestellt“, heißt es im Kapitel über Linksextremismus des Verfassungsschutzberichts: „Steine auf Polizisten zu werfen gilt als legitime Notwehr.“ Die Zahl gewaltbereiter Linksextremisten sei zuletzt erheblich angestiegen. 8500 Personen zählen die Sicherheitsbehörden bundesweit zu dieser Klientel. Das Aufkommen an einschlägig motivierten Straftaten ist insgesamt eher rückläufig. 2016 gab es 5230 davon (im Vorjahr 5620). Vermehrt wurden jedoch Brandstiftungen (2016 insgesamt 134 nach 69 im Jahr 2015) und Sachbeschädigungen (2233, im Vorjahr 1731) registriert. Die Radaubrüder aus dem linken Milieu „schrecken auch vor körperlichen Attacken nicht zurück und nehmen sogar schwerste Verletzungen ihrer Opfer in Kauf“, berichten Verfassungsschützer. Selbst tödliche Attacken auf Polizisten würden „zumindest billigend in Kauf genommen“. Gewalt gegen Ordnungshüter werde „weithin als legitim“ betrachtet. Bei den Ausschreitungen in Hamburg erschien diese mit dem Deckmantel des Politischen getarnte Brutalität wie Banditengehabe. Wie linksradikal ist Hamburg? 1100 Aktivisten rechnen die Sicherheitsbehörden zum harten Kern des linksextremistischen Milieus in der Hansestadt. 500 davon werden der autonomen Szene zugeordnet, die sich in dem besetzten Theaterbau Rote Flora trifft. Autonome streben eine hierarchiefreie Gesellschaft an. Sie haben die Demonstration unter dem Schlagwort „Welcome to hell“ („Willkommen in der Hölle“) organisiert. Daneben verzeichnet die antiimperialistische Szene seit einigen Jahren vermehrt Zulauf. Ihre Ideologie beruht auf den Phrasen des Marxismus-Leninismus. Eine wichtige Rolle spielt auch die sogenannte Interventionistische Linke, die sich ebenfalls die „Überwindung des bürgerlichen Staatsapparats“ auf die Fahnen geschrieben hat. Die Gewalttäter seien in „dreistelliger Größenordnung“ zum G-20-Gipfel nach Hamburg angereist, sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). Hunderte seien von der Polizei zurückgewiesen worden. Neben Hamburg gelten Berlin, Frankfurt, Leipzig und Bremen als weitere Zentren dieser politischen Subkultur. Laut Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) reisten viele Krawalldemonstranten aus dem Ausland an. Was bringt eine neue Datei? Innenminister de Maizière vergleicht die linksextremistischen Gewalttäter mit Neonazis und islamistischen Terroristen. Anders als diese werden jene bisher aber nicht besonders überwacht. Aus der Union kommt die Forderung, einschlägige Personen in einer Gefährderdatei von Linksextremisten zu erfassen, um Informationen über sie, ihre Treffpunkte und Kontaktleute allen Sicherheitsbehörden leichter zugänglich zu machen. Eine entsprechende Datei gibt es seit 2012 bereits für Neonazis; 12 000 Personen sind erfasst. Für die Klientel der Roten Flora und Gleichgesinnte war das bisher nicht zu realisieren. Experten wie der Politologe Schroeder führen das auch auf den „direkten oder verkappten Zuspruch in rot-grünen Milieus“ zurück. In der Politik gebe es eben „nicht nur rechte geistige Brandstifter, sondern auch linke“.

 

Ein solcher Datenpool müsste idealerweise vernetzt sein mit vergleichbaren Dateien in anderen europäischen Ländern. Dafür plädiert Justizminister Maas. Die EU-Kommission ist gesprächsbereit. Die bessere Verknüpfung von Sicherheitsdatenbanken stehe ohnehin auf der Tagesordnung, sagte ein Sprecher am Montag. Allerdings müsse „die Reichweite einer solchen Datenbank“ erst „noch diskutiert werden“. Sofern einschlägige Gewalttäter bereits straffällig wurden, müssten sie in der europaweiten Datenbank erfasst sein, die mit dem Kürzel Ecris („European Criminal Records Information System“) benannt ist. Diese soll auch mit Passagierdateien, Visadatenregistern und dem Fingerabdrucksystem Eurodac verknüpft werden. Einen entsprechenden Beschluss streben die Justizminister der EU-Staaten bis Jahresende an. Die Neuerungen sollen dann bis 2020 in Kraft treten.