Sahra Wagenknecht meint, dass einheimische Jugendliche bei Lehrstellen Vorrang vor jungen Südeuropäern haben sollen. Die Meinung der stellvertretenden Vorsitzenden irritiert ihre Partei.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Die Linkspartei ist von ihrem Selbstverständnis her solidarisch und international. Deshalb ging der Parteichef Bernd Riexinger beim Besuch der Kanzlerin in Athen im Herbst 2012 mit den griechischen Demonstranten auf die Straße. Allerdings gibt es auch eine Klientel bei den Wählern der Linken und in den eigenen Reihen, die nationalem Egoismus nicht abgeneigt ist.

 

Diese Gruppe hatte Sahra Wagenknecht im Auge, als sie vor dem heutigen EU-Gipfel zur Jugendarbeitslosigkeit gegenüber der „Welt“ den Vorschlag von Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) zurückwies, junge Südeuropäer angesichts offener Lehrstellen hier auszubilden. Wagenknecht verwies auf rund eine Million arbeitslose 15- bis 35-Jährige hierzulande: „Bevor wir die Talente aus anderen Ländern abwerben, müssen wir eine Ausbildungsoffensive in Deutschland starten und die verlorene Generation ausbilden.“ Röslers Vorschlag sei eine „Ohrfeige für Hunderttausende junge Menschen, die in Deutschland leben und von denen viele nie eine Chance bekommen haben“.

Lehrstellen für Einheimische reservieren?

Das klang nach einer Reservierung der deutschen Lehrstellen für hier ansässige Menschen, und es kräuselte die friedliche Oberfläche des Einvernehmens in der Linken. Fraktionsvize Dietmar Bartsch konterte, dass die Linke „nicht arbeitslose Jugendliche in Griechenland, Spanien und Deutschland gegeneinander ausspielen“ werde. „Ich verstehe jeden Südeuropäer, der wegen der deutschen Kürzungspolitik daheim keine Perspektive sieht“, betonte der Außenpolitiker Stefan Liebich. Die Linken freuten sich „aber auch über jeden, der hier leben und arbeiten will“. Der Abgeordnete Jan Korte warnte davor, „mit Ressentiments zu spielen“. Und Bundesgeschäftsführer Matthias Höhn betonte sogar, Röslers Vorschlag sei in einem Europa ohne Grenzen eine Selbstverständlichkeit. Sahra Wagenknecht schob im „Neuen Deutschland“ relativierend nach, sie sei für ein Europa-weites Programm gegen Jugendarbeitslosigkeit. Röslers Vorschlag dagegen rufe „Migration aus Not“ hervor.

Erinnerung an Lafontaines „Fremdarbeiter“

Ihre ursprüngliche Formulierung erinnert an einen Satz, den Oskar Lafontaine 2005 bei einer Kundgebung in Chemnitz gesagt hat. Damals sprach er von einer staatlichen Verpflichtung „zu verhindern, dass Familienväter und Frauen arbeitslos werden, weil Fremdarbeiter zu niedrigen Löhnen ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen“. Lafontaine war damals Mitglied der Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit; die Linke gab es noch nicht. Von Fremdarbeitern hat Lafontaine seitdem nicht mehr geredet – aber das Thema hat er gesetzt. Vor Kurzem stieß er, unterstützt von seiner Lebensgefährtin Sahra Wagenknecht, seine Partei vor den Kopf, als er mit einem Austritt aus dem Euro liebäugelte. Auch das ist eine Forderung, die die Linke mehrheitlich ablehnt, mit der man aber am rechten Rand Stimmen sammeln kann.

Jugendarbeitslosigkeit wird zur Chefsache

Berlin - Die Kanzlerin hat geladen. Und alle, die in Europa mit dem Thema Jugendarbeitslosigkeit zu tun haben, kommen deshalb heute nach Berlin: Ratspräsident Herman Van Rompuy, viele Staats- und Regierungschefs der 28 EU-Staaten, ihre Arbeitsminister, Vertreter von Wirtschaft und Gewerkschaften sowie ein Kreis, dessen englisches Kürzel wiedergibt, was Europa angesichts von 5,5 Millionen jungen Leuten ohne Job wahrlich nicht schaden kann. Der Kreis umfasst die Chefs der nationalen Arbeitsagenturen und Arbeitsämter („Heads of public employment services“) und ist unter dem Kürzel „Hopes“ bekannt, was wiederum das Wort „Hope“, zu Deutsch: Hoffnung, enthält.

Die „Hopes“ nehmen an der Konferenz in Berlin teil, die nach Angaben aus Regierungskreisen ein „Treffen der Praktiker“ werden soll: Die Länder sollen voneinander lernen, was im Kampf für mehr Arbeit für junge Leute hilft, und dies dann national unter tatkräftiger Mitwirkung der „Hopes“ und ihrer Behörden umsetzen. „Über welche Erfahrungen verfügen Mitgliedstaaten, die heute eine geringe Jugendarbeitslosigkeit haben, und wie können wir eine Vernetzung der verschiedenen Arbeitsagenturen in Europa erreichen“, ist aus Sicht von Merkel eines der Themen der Konferenz.

Ob das Voneinanderlernen die Lage junger Portugiesen, Spanier, Griechen, Italiener oder Franzosen verbessern wird, weiß heute niemand. Merkel betont, dass sich rasche Erfolge nicht einstellen: „Da dürfen wir nichts Falsches versprechen, denn die große Zahl von jungen Arbeitslosen wieder in Arbeit zu bringen, wird eine gewisse Zeit dauern.“ Für Berlin steht auch fest, dass das Ziel allein mit Geld nicht zu erreichen ist. Schon länger mahnt deshalb die Bundesregierung die Krisenstaaten, ihre Arbeitsmärkte zu modernisieren, Existenzgründer zu ermuntern, Forschung zu stärken und Bürokratie abzubauen. Was das Geld anbelangt, hat sich die Kanzlerin bei Treffen mit EU-Staats- und Regierungschefs auf beachtliche Summen verständigt. Der Europäische Sozialfonds verfügt bis 2020 über 72 Milliarden Euro. Dazu kommt ein Sonderprogramm gegen Jugendarbeitslosigkeit von sechs Milliarden Euro für 2014 und 2015. Schon Anfang 2012 hatten die Chefs zudem beschlossen, aus EU-Mitteln 16 Milliarden Euro für die Jobförderung auszugeben, wovon derzeit acht Länder profitieren. Die Europäische Investitionsbank soll bis Ende 2013 einen Milliardenbeitrag an Krediten für südeuropäische Firmen bereitstellen.