Der Führungsstreit bei den Linken geht in die nächste Runde: Die Vizebundesvorsitzende Katja Kipping und die Landes­chefin von NRW, Katharina Schwabedissen, streben gemeinsam an die Spitze.

Hannover - Eigentlich ist bei der Linken gar nichts passiert. Denn Ex-Parteichef Oskar Lafontaine ist lediglich nicht mehr bereit, etwas zu werden, was er noch gar nicht war: Kandidat für den Bundesvorsitz, der Anfang Juni in Göttingen gewählt wird. Er hatte zwar signalisiert, dass er unter bestimmten Bedingungen an die Spitze zurückkehren würde. Dieses Geschäft ist aber gar nicht erst zustande gekommen. Es blieb also zunächst alles beim Alten. Aber genau das war es ja, was bei der zerstrittenen Linken die Ausrufung des Ausnahmezustands bewirkte. Sahra Wagenknecht, Vizechefin von Partei und Bundestagsfraktion, brachte es auf den Punkt: „Wir befinden uns in der schwersten Krise in der Geschichte der Linken.“ Mögen die verfeindeten Lager der Linken auch sonst nicht mehr viel gemein haben: diesen Satz können sie wirklich alle unterschreiben.

 

In das Machtvakuum stößt jetzt ein Frauenduo

In das Machtvakuum, das die aus privaten Gründen zurückgetretene Gesine Lötzsch und ihr verbliebener Co-Vorsitzende Klaus Ernst nie füllen konnten und Lafontaine nicht mehr füllen will, stößt jetzt mit Aussicht auf Erfolg ein Frauenduo. Katja Kipping hat sich nach dem Rückzug Lafontaines nun doch bereit erklärt zu kandidieren. Sie will mit der nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden Katharina Schwabedissen eine Doppelspitze bilden. Die 34-jährige Kipping, bisher stellvertretende Bundesvorsitzende, gilt als ausgleichend, keinem Flügel derart zugeordnet, dass sie für den anderen untragbar wäre. Sie war in den vergangenen Monaten parteiintern gedrängt worden, hatte sich aber stets mit der Begründung verweigert, ihr sechs Monate altes Kind lasse eine derartige Belastung nicht zu.

Schwabedissen gilt im Duo als schwächerer Part. Die 39-Jährige hat eben erst als Spitzenkandidatin die Landtagswahl in NRW verloren.

Die Sache ist kein Selbstläufer

Um deren Erfolgsaussichten einschätzen zu können, lohnt ein Blick auf die Unterstützer, die mit ihnen eine gemeinsame Erklärung verfassten: Thomas Nord ist in Brandenburg verankert. Er gilt ebenso als Reformer wie die aktuelle Bundesgeschäftsführerin Caren Lay. Der Bundestagsabgeordnete Jan van Aken (Hamburg) und Vorstandsmitglied Brigitte Ostmeyer (Baden-Württemberg) strahlen in westdeutsche Landesverbände aus. Thüringens Landesvorsitzender Knut Korschewsky sprang dem Frauenduo sofort bei, nannte es ein „Angebot in die Zukunft“.

Dennoch ist die Sache kein Selbstläufer. Denn noch immer ist neben der wohl chancenlosen Bundestagsabgeordneten Sabine Zimmermann jener Mann im Spiel, den die Unterstützer Lafontaines ins politische Aus drängen wollen: Dietmar Bartsch. Der stellvertretende Fraktionsvorsitzende hatte im November seine Kandidatur angekündigt. Lafontaines Anhänger lasten Bartsch an, die Rückkehr des Saarländers verhindert zu haben. Lafontaine hatte eine Kampfkandidatur ausgeschlossen, Bartsch hatte sich aber geweigert, die Kandidatur aufzugeben. Weil aber die Doppelspitze mit mindestens einer Frau bestückt sein muss, steckten die Gespräche fest, zumal sich Lafontaine weigerte, Bartsch wenigstens als Bundesgeschäftsführer zu akzeptieren.

Bartsch hält seine Kandidatur aufrecht

Noch immer hält Bartsch seine Kandidatur aufrecht. Aber nicht nur der Widerstand der aufgebrachten Lafontaine-Fans im Westen muss Bartsch zu denken geben. Auch im Osten zerfallen jene Lager, die zuvor geschlossen zu Bartsch gehalten hatten. Nur aus Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern – Bartschs Heimatverband – kann er noch eindeutige Solidaritätsadressen vernehmen. Der mitgliederstärkste Landesverband Sachsen, bisher Bartsch zugetan, dürfte Kipping folgen, die aus Dresden stammt. Auch aus Thüringen muss Bartsch Sympathie für das Frauenduo registrieren. Unter den ostdeutschen Reformern sind aber vereinzelt auch Stimmen zu hören, die weniger begeistert von Kippings Strategie sind. Parteivorstandsmitglied Gerry Woop hält ihr vor, sie habe Bartsch das schmutzige Geschäft verrichten lassen, Lafontaine zu verhindern, um anschließend als unbelastete Alternative gegen Bartsch punkten zu können.

Unklar ist, was passiert, wenn sich beide Kandidatinnen nicht gemeinsam durchsetzen können. Ob sie mit Bartsch zusammenarbeiten würden, ließen sie offen. Interessant wird außerdem sein, wie sich Sahra Wagenknecht verhält. Sie hatte sich bisher zurückgehalten, weil sie Lafontaines Lebensgefährtin ist. Noch-Parteichef Ernst hat sich nun für Wagenknecht als Vorsitzende ausgesprochen. „Sie hat Ausstrahlung weit über die Partei hinaus. Ich halte sie für besonders geeignet“, sagte Ernst der „Süddeutschen Zeitung“. Wagenknecht selbst schloss am Mittwoch eine Kandidatur nicht mehr aus: „Ich hoffe, dass diese Variante nicht notwendig sein wird, und wir trotzdem eine gute Lösung finden“, sagte sie der Nachrichtenagentur dpa.

Über seine eigene Zukunft hat sich Ernst bisher noch nicht erklärt. Bartsch hat sich Ernst zum Feind gemacht. Ernst kann zwar im Osten kaum auf Gefolgschaft hoffen, aber im westdeutschen Gewerkschafterlager könnte er sehr wohl noch gegen Bartsch mobilisieren. Auch eine mit zwei Frauen besetzte Doppelspitze fand seine Sympathie. „Ja warum denn nicht?“, sagte Ernst. Auch Fraktionsvize Ulrich Maurer, ebenfalls erklärter Bartsch-Gegner, kann dem etwas abgewinnen: „Ich glaube, es ist an der Zeit, wenn die Linke überhaupt noch eine Chance haben will, dass sie jünger wird, dass sie weiblich wird und dass die Böcke sich vom Acker machen.“