Vytautas Landsbergis, der erste Staatspräsident Litauens nach der Unabhängigkeit von der Sowjetunion, warnt den Westen vor zu großer Naivität gegenüber russischem Großmachtstreben. Er sieht nicht nur sein eigenes Land akut durch den Nachbarn im Osten gefährdet.

Politik/ Baden-Württemberg: Christian Gottschalk (cgo)
Vilnius – Vor 25 Jahren hat sich Litauen von der Sowjetunion gelöst. Das war eine gefährliche Zeit, sagt Vytautas Landsbergis. Moskauer Einmarschpläne lagen damals in der Schublade. Gleichwohl: die Gegenwart mit einem Verrückten im Kreml sei viel gefährlicher, sagt der ehemalige Präsident Litauens.
Herr Landsbergis, im März vor 25 Jahren war Litauen die erste der ehemaligen Sowjetrepubliken, die ihre Unabhängigkeit erklärt hat. Sind die Litauer besonders mutig?
Wir sind sehr widerstandsfähig. Außerdem mögen wir weder Diktaturen noch Besatzer. Die Unabhängigkeit kam ja nicht von heute auf morgen. Seit Ende der 80er Jahre hatte sich so etwas wie eine Graswurzelbewegung gebildet. Deren Ziel war es, das unbestreitbare Recht durchzusetzen, in einem eigenen, demokratischen Staat zu leben. Das ist uns gelungen.
Gleichwohl hat Moskau Truppen geschickt, um das zu unterbinden . . .
Sowjetische Truppen waren immer da. Es hat auch Pläne gegeben, wie die Soldaten nach der Unabhängigkeitserklärung einschreiten sollten. Die Pläne sind Jahre später in den Archiven aufgetaucht. Aber wir hatten ein wenig Glück. Moskau war im März 1990 sehr mit sich selbst beschäftigt. Es sind einige Tage vergangen, in denen wir unser Parlament etabliert haben und alle Strukturen für ein unabhängiges Land.
Hatten Sie damals Angst, dass alles doch noch scheitern könnte?
Natürlich hätte uns Moskau militärisch zermalmen können. Aber es war unsere Entscheidung, diese Herausforderung anzunehmen. Und es war für die Sowjetunion nicht so leicht, die Maske der Demokratie abzunehmen, die sich Moskau damals gerade aufgesetzt hatte.
Wenn Sie die Situation damals mit der Situation heute vergleichen, welche ist gefährlicher?
Heute ist es viel schlimmer.
Was könnte heute passieren?
Es kann immer etwas passieren, vor allem wenn Verrückte an der Macht sind. Vielleicht stimmen ja die Gerüchte, dass Wladimir Putin gerade ein junger Vater geworden ist. Vielleicht wird er nun menschlicher. Wer weiß das schon.
Sie glauben also, Putin war elf Tage verschwunden, weil er Vater geworden ist?
Vielleicht. Vielleicht gibt es auch einen anderen Grund. Vielleicht hat er Angst. Es gibt Hinweise darauf, dass er gewarnt worden ist, er könne so enden wie der letzte Zar. Nikolaus II. wurde bekanntlich nach seiner erzwungenen Abdankung ermordet.
Gewarnt von wem?
Von Igor Girkin. Das ist einer der Kettenhunde, die Putin im Osten der Ukraine von der Leine gelassen hat. Und nun ist der Mann nicht mehr einverstanden mit den Befehlen seines Herrchens.