Sie kommt nur nachts zum Lesen. Doch mit den Büchern, die Christina Häußler aus Marbach (Kreis Ludwigsburg) vorstellt, lädt sie ihre Zuhörerschaft zum Hinterfragen ein.
Ein bisschen plaudern über Gott und die Welt, witzige Sprüche raushauen oder auf andere Weise für Zerstreuung sorgen: Solche Podcasts gibt es bereits zuhauf. Doch auf reine Unterhaltung hat es Christina Häußler aus Marbach nicht abgesehen. Mit ihrem kostenlosen Hörformat „Die Leserinnen“ will die 46-Jährige nichts weniger als das gesellschaftliche System verändern – und erhält dabei viel Zuspruch.
Alle zwei Wochen spricht die Marbacherin über Bücher und zugleich über so viel mehr. Literatur ist für sie zu einem Mittel geworden, die Welt Stück für Stück besser zu verstehen und augenöffnende Einsichten zu erhalten. Deshalb verfolgt sie bei der Auswahl der Buchtitel einen klaren Schwerpunkt.
Kritik an den gesellschaftlichen Strukturen
Früher glaubte die dreifache Mutter, eine moderne, gut ausgebildete Frau könne alles haben. „Ich dachte, es läge an mir, wenn das nicht klappt. Ich müsste bloß besser planen“, erinnert sie sich. Doch mit der Corona-Pandemie kam der Alltag der Marbacherin gehörig ins Wanken. Zwischen Homeschooling, Wäsche, Kochen, Kinderbetreuung und Arbeit im Homeoffice musste sie feststellen, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ein Versprechen ist, das sich für die meisten Frauen nicht erfüllt. „Ich habe gemerkt, dass es nicht nur mein persönliches Problem ist, nicht alles zu schaffen, sondern dass es vielen so geht“, sagt Häußler.
Vor allem in den langen Telefonaten mit einer Freundin aus Berlin, als während der Pandemie vieles nicht möglich war, tauschte sich die Marbacherin aus. Dabei kamen die beiden zu dem Schluss, dass es die gesellschaftlichen Strukturen sind, die es Frauen, aber auch Männern schwer machen. Ihre Freundin empfahl ihr damals ein Buch, in dem es um die mentale Last geht, die vor allem Frauen im Familienalltag tragen. Dies wurde zu ihrem feministischen Erweckungserlebnis, sagt Christina Häußler. „Vorher konnte ich mit dem Begriff Feminismus nichts anfangen“, gesteht sie. Nun hat sie verstanden, dass es ihn braucht, um Gleichberechtigung für alle Geschlechter zu erreichen. Daher kämpft sie für Gerechtigkeit und Entscheidungsfreiheit, gegen diskriminierende Strukturen und das Patriarchat.
Schon mehr als 70 Folgen produziert
Kann man vieles nicht anders machen? Diese Frage treibt die 46-Jährige seither um. Zusammen mit ihrer Freundin erweckte sie den Podcast „Die Leserinnen“ zum Leben. Dinge infrage zu stellen, Einsichten zu teilen und Solidarität zwischen den Frauen zu schaffen, diese Ziele verfolgt die Sendung. Dabei stellt sie in jeder der mittlerweile mehr als 70 Folgen einen Roman oder ein Sachbuch mit feministischem Fokus vor. Immer wieder sind auch Autorinnen oder Expertinnen zu Gast.
Was auf den ersten Blick als spezielles Thema erscheinen mag, hat sich als sehr komplex entpuppt. In der Medizin, der Städteplanung, der Arbeitswelt, der Wissenschaft, der Kunst und unzähligen anderen Bereichen: Fast überall werden Frauen abgewertet, ignoriert oder benachteiligt, erklärt Häußler. Das gehe alle etwas an, auch Männer. „Aber es ist anstrengend, sich damit zu beschäftigen“, gibt sie zu.
Nur Zeit zum Lesen, wenn die Kinder schlafen
Seit eineinhalb Jahren betreibt Christina Häußler den Podcast allein. Ihre Freundin musste aus zeitlichen Gründen aussteigen. Obwohl auch der Alltag der Marbacherin, die sich ehrenamtlich als Stadträtin der Grünen im Gemeinderat engagiert, gut ausgefüllt ist, hält sie an der Sendung fest. Angesichts des Erstarkens reaktionärer Denkweisen und der drohenden Rücknahme von Frauenrechten in vielen Ländern ist es nach ihrer Ansicht mehr denn je geboten, sich für Gleichberechtigung stark zu machen. „Es ist gerade eine wichtige Zeit dafür, einen solchen Podcast zu machen“, betont sie. Dabei kommt Christina Häußler meist erst nachts Zeit zum eigentlichen Lesen, wenn ihre Kinder (13, 5 und 2 Jahre alt) bereits schlafen, gesteht sie.
Wert legt die Marbacherin darauf, dass es bei ihrem Podcast nicht um einen elitären Bücherzirkel geht. Sie sei weder Germanistin noch Gender-Forscherin, sondern einfach eine interessierte Leserin. „Und mit jedem Buch lerne ich ein bisschen mehr“, sagt sie.
Zuhören und mitdiskutieren
Podcast
Immer freitags erscheint alle zwei Wochen eine neue Folge des Podcasts „Die Leserinnen“. Jede ist einem Buch gewidmet. Der Podcast ist kostenfrei auf verschiedenen Plattformen abrufbar. Zu finden ist er beispielsweise bei Apple Podcasts, Spotify und Youtube.
Buchclub
Wer nicht nur zuhören, sondern im geschlossenen Rahmen mit anderen über Literatur diskutieren möchte, kann dem Buchclub von Christina Häußler gegen eine monatliche Gebühr beitreten. Alle Infos dazu gibt es unter https://www.dieleserinnen.de/der-buchclub