Petra Schmidt-Hieber hat den neuen Gerlinger Lyrikpreis ins Leben gerufen. Mit der engagierten Mäzenin von heute kann man sich gut über Literatur und über Reisen unterhalten.

Kultur: Stefan Kister (kir)

StuttgartGaius Cilnius Maecenas war ein reicher Mann. Er vergnügte sich mit Frauen und Knaben, tafelte gern, vor allem aber pflegte er das Gespräch mit Dichtern und Literaten. In seinem Palast am Rande Roms kamen sie zusammen, lasen aus ihren Werken mit Blick auf die Sabiner-Berge, Vergil, Properz, Horaz. Dass er der Berater von Kaiser Augustus war, kann man im Lexikon nachlesen, dass sein Name im Begriff des Mäzens immer noch fortlebt, verdankt er seiner Leidenschaft für die Dichtkunst, die er nach Kräften gefördert hat.

 

Gesellschaftliche Elite

So stellt man sich seither Mäzene vor: Angehörige einer gesellschaftlichen Elite, die aus einer Mischung aus Idealismus und Steuergewitztheit die Gesellschaft an ihrer Liebe zum Schönen teilhaben lassen und damit auch ein wenig den eigenen Nachruhm bewirtschaften. Und nun machen wir einen großen Sprung vom Rande Roms an den Stadtrand von Gerlingen. Hier wohnt die pensionierte Lehrerin Petra Schmidt-Hieber in einem schönen, von einem Palast gleichwohl eindeutig unterschiedenen Mehrfamilienhaus mit Blick auf die Ausläufer der Solitude-Hügel.

Sie hat keine Schrauben erfunden, kein Software-Imperium geerbt, ihr Mann leitet keinen Weltkonzern, sondern ist ein Kriminalkommissar im Ruhestand. Trotzdem tritt sie auf ihre Weise in die Fußstapfen des kunstsinnigen Römers, denn auch ihr ist es ein Anliegen, was Horaz einst an Maecenas pries: der lyrischen Dichtung einen Kranz zu weihen. Deshalb hat sie eine Stiftung gegründet und den Gerlinger Lyrikpreis ausgelobt, der von 2016 an im Zweijahres-Rhythmus an Lyriker aus dem Land vergeben werden soll.

Nüchterne Bodenständigkeit

Der Preis ist zunächst mit 5000 Euro dotiert, eine Summe, die bei den nächsten Ausschreibungen noch steigen könnte. Wer bereits in Literaturzeitschriften oder Anthologien veröffentlicht hat, kann sich bis zum 31. März mit noch unpublizierten Gedichten bewerben. Einer Jury, der unter anderem die Strippenzieherin des baden-württembergischen Literaturlebens Irene Ferchl und der Kritiker Michael Braun angehören, obliegt es, lyrischen Zeitvertreib vom literarischen Ernstfall zu scheiden. „Es sind tolle Leute, die bei mir Jury machen“, sagt die Stifterin. Und in dem „bei mir“ verbindet sich ein Anflug stolzer Genugtuung mit der nüchternen Bodenständigkeit des schwäbischen Idioms.

Von kulturellem Snobismus keine Spur

Gerade solche Zwischentöne machen diese Unternehmung über den immer ehrenwerten mäzenatischen Stimulus hinaus ungewöhnlich und sympathisch. Denn auch wenn im lichten Wohnzimmer des Ehepaars Bilder und Plastiken ein großes Interesse für Kunst verraten, so ist die Atmosphäre doch frei von jenem kulturellen Snobismus, mit dem mancher Sammeleifer nicht nur die Wände, sondern auch das eigene Ego aufzuwerten trachtet. Und so kann man mit Petra Schmidt-Hieber so gut wie über Lyrik auch über ihre zweite große Leidenschaft reden, die Reisen, die sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit ihrem Mann in ihrem Wohnmobil unternimmt.

Ganz normale Menschen also, beinahe scheint es der Gründerin der Petra Schmidt-Hieber Literatur-Stiftung ein wenig peinlich zu sein, sich so exponiert zu haben. Der Fotograf schlägt eine intellektuelle Pose im Lesesessel vor, sie zieht ein Plätzchen am Esstisch vor. „Seit frühester Kindheit habe ich eine intensive Beziehung zu Gedichten, in der Schule sollte ich immer vorlesen: ,niemand kann es so gut‘, hieß es immer.“

Hin und wieder schreibt sie auch selbst, ein Ventil, wie sie sagt: „Wenn es mir mal nicht so gut gegangen ist, habe ich mich hingesetzt und daraus etwas gemacht.“ Das klingt dann so: „Und gierig umkrallt Einsamkeit/die Stufen des Wegs,/erwürgt die Flucht./Und treibt mich zum Spiel/mit Dir/und Deinen Bildern.“ Lachend wischt sie den – nicht ganz ernst gemeinten – Vorschlag beiseite, sich damit für den Gerlinger Lyrikpreis zu bewerben.

Ein Faible für Jandl und Mayröcker

Baudelaire, Verlaine, Valéry haben die frühere Französischlehrerin durchs Leben begleitet. Deutsch hat sie auch unterrichtet, also kommen Rilke, Lasker-Schüler, Enzensberger e tutti quanti hinzu – Italienisch beherrscht die Sprachbegeisterte ebenfalls. Der wahrnehmungseuphorische Präzisionskünstler Nico Bleutge hat sie im Sommer bei einer Lesung in Leonberg beeindruckt. „Das ist Lyrik, wie sie mir vorschwebt, so etwas würde ich gerne unterstützen.“ Mayröcker und Jandl schätzt sie, weniger fängt sie mit dem dadaistischen Erbe an. Sollte sich aber „ihre“ Jury für jemanden aus dieser Richtung entscheiden, könnte sie auch damit leben.

Goethes „Ganymed“ nennt sie auf die Frage nach ihren Lieblingsgedichten: „Hinauf! Hinauf strebts!“, lautet darin ein atemloser Vers. Vielleicht steckt in dieser Aufwärtsdrift ja ein Impuls, der irgendwann dazu führt, dass man sein Vermögen lieber in hoch konzentrierte Gedichten als in die gängigen Formen gehobener Zerstreuung investiert. „Wir haben keine Kinder, leider,“ begründet Petra Schmidt-Hieber ihre Entscheidung, sich mäzenatisch zu engagieren. Nun pflegt sie den lyrischen Nachwuchs.